Herbert Schirmer über das Kunstarchiv Beeskow

 

Der Vortrag von Herbert Schirmer am Montag, dem 14. März, im Biesdorfer Schloss zum Thema „Das Kunstarchiv in Beeskow – Potential, Projekte, Perspektiven“ war ein großes Symbol vor der Eröffnung des Schlosses am 9. September. Herbert Schirmer, der Begründer des Kunstarchivs Beeskow, offenbarte den 70 gekommenen Besucherinnen und Besuchern den Entwicklungsweg des Kunstarchivs seit Mitte 1990. Bevor wir ins Detail gehen wollen wir hervorheben, dass der Vorstandsvorsitzende unseres Verein, Dr. Heinrich Niemann, Herbert Schirmer auch als „Retter von Schloss Biesdorf“ vorstellte und begrüßte. Denn ohne den aufreibenden deutsch-deutschen Bilderstreit, in dessen Zentrum auch die Beeskower Kunstwerke und dabei der aktive Anteil Schirmers im Diskurs standen, hätte Schloss Biesdorf nicht den Förderzweck Galerie mit Kunstwerken aus Beeskow erhalten.

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Historische Zeit 1990

In seinem kurzweiligen Vortrag ließ Herbert Schirmer noch einmal die historische Zeit aufscheinen. Die am 18. März 1990 gewählte letzte DDR-Regierung hatte den Auftrag, das staatssozialistische Land abzuwickeln. Zu dieser Regierung gehörte Herbert Schirmer als Kulturminister. Schirmer war in der DDR im Kulturbereich tätig gewesen, seit 1985 Mitglied der CDU (ausgetreten 1992) und in der Endzeit der DDR politisch aktiv geworden. So gelangte er in die Regierung von Ministerpräsident Lothar de Maizière und wurde zum Retter der sogenannten Auftragskunst. Während andere Ministerialbereiche sich willig der Abwicklung unterwarfen (zur Erinnerung: Einigungsvertrag – Unterhändler DDR Dr. G. Krause), sah es Schirmer von Anfang an als seine Aufgabe, die Kunstwerke ordentlich zu sammeln, unterzustellen und zu konservieren.

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Burg Beeskow

 

Er erinnerte an den Kulturfonds der DDR, der über Jahrzehnte Künstler gefördert, privilegiert aber auch in vielen Notsituationen gestützt hatte. Er berichtete, wie nach den vorhandenen Listen die Kunstwerke in den Einrichtungen der Parteien und Massenorganisationen der DDR gesucht und gefunden wurden, aber nicht selten nur noch der helle Fleck auf der Tapete vom Schicksal der Bilder kündete. In dieser chaotischen Zeit, in der die meisten Menschen mit der Rettung ihrer eigenen Existenz beschäftigt waren und andererseits einige wenige das unbeachtete Kulturgut privatisierten (sicher oft in gut gemeinter Obhutsverantwortung), wollte Schirmer Pflichtbewusstsein zeigen.

Nach Sicherstellung eines Großteils der Kunstwerke war sein Plan, die staatlichen Museen zum Zielort dieser Artefakte zu machen. Vor allem aber Dresden und Berlin sperrten sich. So musste eine Länderlösung nach Vorbild der bundesdeutschen Strukturen gefunden werden.

Das „Sondervermögen“ geht nach dem Fundortprinzip in das Eigentum der jeweiligen neuen Bundesländer über. Die Länder Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Berlin entscheiden sich für einen Länderverbund. Der Kunstbestand kommt nach Beeskow. Auf der Festung Königstein entsteht eine vom Kunstfonds des Freistaates Sachsen betriebene Forschungs- und Erfassungsstelle, in Halle/Saale eine Dokumentationsstelle zur Erfassung von Kulturvermögen des Landes Sachsen-Anhalt und in den Meininger Museen lagert der Kunstbestand der Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe, der in das Eigentum des Freistaates Thüringen überging. Ein von der Treuhand finanziertes dreijähriges Programm sieht eine gemeinsame Bearbeitung des Bestandes vor. Leiteinrichtung ist die Burg Beeskow.

(Zitiert nach: www.kunstarchiv-beeskow.de)

 

Vielfältige anregende Ausstellungstätigkeit

Herbert Schirmer wird die Leiteinrichtung Burg Beeskow bis 1999 führen. Von der Leiteinrichtung geht nun eine rege Ausstellungstätigkeit aus. Durch Beeskow wird mehr als ein Dutzend Ausstellungen kuratiert, die auch außerhalb der Burg gezeigt werden. Einige Beispiele sollen zeigen wie vielfältig und differenziert sich diese Auftragskunst präsentieren und interpretieren lässt.

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Erste öffentliche Präsentation des Sammlungs- und Dokumentationszentrums Kunst der DDR. Lothar de Maiziere und der brandenburgische Kulturminister Steffen Reiche sprechen zur Eröffnung. Die Ausstellung zählt 66.000 Besucher.

 

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„… ein stetiges Wechselbad der Gefühle! Erfreuliche Neuentdeckungen, mitunter nur eine Enttäuschung gegenüber alten Bekannten, die man gezielt und erwartungsvoll gesucht hatte und sie nun wie durch eine andere Brille sehen konnte.“
(Otto Kummert, Zur Ausstellung)

 

buechsenwurst 2008_2009   2008/2009

Das Stillleben wurde in der Kunst der DDR nicht durch Aufträge geförderte, es diente in der Mehrheit individuellen Studienzwecken, wobei heute noch das Handwerkliche überzeugt. Die Ausstellung mit 49 Gemälden und 10 Grafiken zeigt, dass die Grenzen vom Stillleben zu anderen Kunstgattungen immer fließend waren. Neu sind Gegenstände aus der Arbeitswelt: Zentralheizung statt Biedermeiermöbel, Glühlampe statt Kerze, Thermoskanne statt Weinkrug, Büchsenwurst statt ganzer Fisch.

 

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Im Werkbestand des Kunstarchivs Beeskow befinden sich rund 300 Porträts, darunter Gemälde und Kleinplastiken, auf denen Politiker, Künstler und Geistesgrößen dargestellt wurden, aber auch einfache Menschen aus Betrieben und aus dem Alltag, aus der Nachbarschaft und den Nachbarländern, ebenso wie Kinder und Alte. Die Ausstellung „Helden auf Zeit“ fragt nach dem Stellenwert dieser Porträts in der Kunst der DDR, und sie befragt die Künstler, die das Porträt als wichtige Ausdrucksform in ihrem künstlerischen Schaffen betrachteten.

 

Nach dieser Übersicht legte Herbert Schirmer einen „Werbeblock“ ein und lud zu dieser brandneuen Ausstellung:

Junge Kunst im Auftrag 2016

Wir hatten über dieses Projekt, das Bernd Ludewig innerhalb unserer Vortragsreihe im Januar 2015 vorstellte, berichtet.

Bevor der Referent im abschließenden Teil einige persönliche Wertungen der Beeskower Kunst vornahm, berührte er das Thema des Neubaus für die sachgerechte Unterbringung der Kunstwerke. Während der Architektenwettbewerb längst abgeschlossen ist, konnte bisher keine Finanzierung erschlossen werden. Im Gegenteil: das Brandenburgische Kultusministerium hat mit einem Gutachten zur Zukunft des Archivs eher Unruhe geschürt. Das Gutachten will nicht ausschließen, dass ohne einen Neubau Beeskow in einen Dreiverbund mit den Museen Junge Kunst in Frankfurt/O. und Dieselkraftwerk Cottbus überführt wird. Damit bliebe Beeskow unqualifizierter Ort der Aufbewahrung oder lediglich „Bilderstau“, wie die Kunstwissenschaftlerin Marlene Heidel in ihrem Buch „Bilder außer Plan“ formuliert hatte. Das Kunstarchiv verlöre damit seinen besonderen Auftrag, das gesamte hinterlassene Auftragswerk wissenschaftlich zu erschließen. Es bestehe allerdings die Hoffnung, so Schirmer, dass das jetzige Kreisarchiv, 150 Meter entfernt von der Burg gelegen, in den nächsten Jahren diese Funktion übernehmen könnte. Der Baukörper sei für die Aufgabe hervorragend geeignet.

 

Persönliche Bildbewertungen

Seine bemerkenswerte Betrachtung ausgewählter Kunstwerke stellte Schirmer in den Spannungsbogen Erfüllungsbilder – Problembilder. Eins seiner Lieblingsbilder, das hatte er vor kurzem bereits in einer Fernseh-Kultursendung betont, ist die „Heimkehr des verlorenen Sohnes“ von Hans Jüchser aus dem Jahre 1952.

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Es hing bis zum Schluss im Arbeitszimmer des langjährigen Vorsitzenden der CDU der DDR Gerald Götting. Wer solch ein Bild besitzt, so Schirmer, hat Kunstverstand.

 

Ein bei vielen älteren Ostdeutschen gut erinnertes Bild ist „Jugendweihe“ von Rolf Schubert aus dem Jahre 1978. Das Bild hatte dadurch für Diskussionen gesorgt, dass es das nahezu gläubig verkündete Zukunftsversprechen jeder Jugendweihefeier mit dem anschließenden Familienbesäufnis kollidieren ließ.

Rolf Schubert, Jugendweihe. 1978

 

Die Normalität solcher Feiern in Ost wie West erfuhr Schirmer bei einer Gastausstellung in Krefeld. Eine Dame sagte ihm im feinsten Rheinländisch: „Ja meinen Sie denn, dat sieht bei unseren Firmungsfeiern völlich anders aus?“ Das war zwar keine Antwort auf die damalige Diskussion im DDR-Kontext, entkleidete diese aber dem heiligen Schauer der Ideologie.

Ein interessantes und kaum erinnertes Bild ist „In der Kaufhalle“ von Harald Metzkes aus dem Jahre 1980. Die tausendfach erlebte Kaufhalle wirkt hier beengend, ja bedrohlich, postmodern erinnernd an den Film „Modern Times“ von Chaplin.

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Als überzeugten Künstler von Erfüllungsbildern bezeichnete Schirmer den Maler Günther Brendel. Von Brendel sind in Beeskow 31 Werke dokumentiert. Zu ihnen gehört „Soldat mit Frau und zwei Kindern“ aus dem Jahre 1987, das ausdrücklich dem 75. Geburtstag von Erich Honecker gewidmet ist.

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Günther Brendel war in der Öffentlichkeit als künstlerischer Dokumentarist der Errichtung des neuen Stadtzentrums in der damaligen Hauptstadt der DDR sowie des Stadtbezirks Marzahn bekannt geworden.

Herbert Schirmer verwies ergänzend stolz auf Arbeiten von Fritz Cremer und Gustav Seitz im Bereich der Plastik, im Bereich Grafik nannte er die Namen Carlfriedrich Claus, Herta Günter und Manfred Butzmann, die beispielhaft mit Arbeiten vertreten seien. Diese Substanz, so Schirmer, werde ausreichen für eine Reihe von qualifizierten Ausstellungen im Schloss Biesdorf. Gerade im Bereich der Grafik gelte es noch viele Perlen zu bergen. Er hob die Forschungen einer wissenschaftlichen Mitarbeiterin zum grafischen Gesamtwerk in Beeskow hervor; wir werden im Herbst in einem Vortrag darüber berichten.

 

Entschlossene Diskussion

Die anschließende intensive Diskussion offenbarte sowohl die großen Erwartungen als auch die Sorgen der künftigen Schlossbesucher. Unverständnis bestand einhellig darüber, dass ein halbes Jahr vor der feierlichen Eröffnung des Schlosses weder ein Konzept noch erkennbare Arbeitsschritte des Betreibers bekannt geworden seien. Da konnte auch die Information nicht besänftigen, dass der künftige Betreiber erst seit Februar dieses Jahres vertraglich verantwortlich ist und intensiv daran arbeitet, sein Konzept im April öffentlich zu machen. Befürchtungen wurden auch dahin gehend geäußert, dass das Konzept Galerie mit Werken aus dem Kunstarchiv Beeskow aufgeweicht werden könnte; trotz Einladung durch unseren Verein war niemand von der Grün Berlin GmbH zu diesem bedeutsamen Termin erschienen. Immerhin ging es darum, den genius loci, den Geist des Ortes einmal tief zu atmen. Viele hätten, so eine Besucherin, für Schloss Biesdorf gekämpft. Jetzt, wo der schwierige Pfad erfolgreich beschritten worden sei, erwarte man eine engagierte Übernahme und Betreibung.

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Herbert Schirmer schloss mit einem Plädoyer für die Beeskower Kunstwerke. In allen Epochen sei Kunst unter den verschiedensten gesellschaftspolitischen Bedingungen entstanden. Die Kunstwerke aus der DDR hätten im Nenner Substanz. Sie brauchten sich nicht verstecken, für Beeskow bestehe überhaupt kein Grund an Selbstaufgabe zu denken. Die drei Patronatsländer dächten nicht einmal daran, mehrfach vorhandene Grafikblätter zum Verkauf frei zu geben, um Geld einzunehmen oder Platz zu gewinnen. Er freue sich über das schön rekonstruierte Schloss Biesdorf und auf viele intelligent arrangierte Ausstellungen durch den künftigen Betreiber. Dieser Abend, das spürten die Besucher, hatte noch einmal namhaft und nachhaltig ihre Interessen zum Ausdruck gebracht – die Spannung vor der Eröffnung ist deutlich.

 

(Axel Matthies)

vom: 19.03.2016