Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde von Schloss Biesdorf,
seit vielen Jahren bietet unser Verein „Freunde Schloss Biesdorf“ Führungen durch das Schloss und seinen Park an.
Feste Termine sind die Führungen am jeweils zweiten Sonntag im Monat (im Anschluss an das vom Stadtteilzentrum Biesdorf im Schloss organsierte Sonntagskonzert). Die Führungen beginnen um 12:30 Uhr am Schlosseingang und kosten 4 Euro (Bezahlung vor Ort). In diesem Jahr finden diese Führungen zu folgenden Terminen statt:
13. April, 11. Mai, 13. Juli, 10. August, 12. Oktober.
Sie können sich zu diesen Führungen per Mail bei uns anmelden (info@freunde-schloss-biesdorf.de) oder einfach spontan vorbei kommen.
Im Rahmen unserer Veranstaltungsreihe mit der Volkshochschule Marzahn-Hellersdorf gibt es am 14. Juni um 10:00 Uhr eine besondere Führung durch den Schlosspark mit Besuch des Eiskellers.
Das 14 ha große Gartendenkmal – im Stil eines englischen Landschaftsgartens von Albert Brodersen in den 1890er Jahren gestaltet – ist eine der schönsten Grünanlagen Berlins. In der Weimarer Zeit wurde er öffentlich zugänglich, der südliche Teil war von 1945 bis 1958 ein sowjetischer Soldatenfriedhof. Seit den 1950er Jahren wurde der Park beliebter Ort für Kulturveranstaltungen und Ferienspiele der Kinder. Seine ursprünglichen Strukturen konnten wiederhergestellt und erneuert werden.
Für diese Führung ist eine Anmeldung unter info@freunde-schloss-biesdorf.de bzw. bei der Volkshochschule notwendig, da die Teilnehmerzahl begrenzt ist.
Zum Tag des offenen Denkmals gibt es am 13. und 14. September jeweils eine kostenlose Führung.
Wenn Sie für sich und Ihre Gäste eine individuelle Führung wollen: melden Sie sich unter der genannten E-Mail-Adresse und wir werden gemeinsam viel Interessantes über Schloss und Park, über seine Bewohner und Architekten, über Geschichte, Gegenwart und Zukunft des denkmalgeschützten Ensembles erfahren.
Wir freuen uns auf Ihr Kommen. Freunde Schloss Biesdorf
gemeinsam mit Bürgermeisterin Nadja Zivkovic und Kulturstadtrat Stefan Bley
Der Vorstand unseres Vereins hatte auf einer gemeinsamen Beratung im vergangenen Jahr der Bezirksbürgermeisterin Nadja Zivkovic und Kulturstadtrat Stefan Bley vorgeschlagen, eine Exkursion nach Beeskow ins dortige Kunstarchiv zu veranstalten. Am 4. März dieses Jahres wurde ein gemeinsamer Termin realisiert. Hintergrund der Exkursion war unser großes Interesse an der kontinuierlichen Unterhaltung einer guten Beziehung zum dortigen Kunstarchiv. Seit 2021 ist das Archiv mit dem Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR in Eisenhüttenstadt unter dem Dach „Museum Utopie und Alltag. Alltagskultur und Kunst in der DDR“ zusammen gefasst. Frau Zivkovic und Herr Bley besuchten das Kunstarchiv zum ersten Mal und freuten sich auf eine persönliche Bekanntschaft.
Museumsleiterin Andrea Wieloch und die wissenschatliche Mitarbeiterin Dr. Angelika Weißbach führten durch das offene Depot und erläuterten die Geschichte und den Bestand an Kunstwerken. Einzelne Bilder wurden einer intensiveren Betrachtung unterzogen. Frau Dr. Weißbach hob hervor, dass die Sammlung keinen Anspruch auf eine Ganzheit für Kunst aus der DDR erhebt. In einem anschließenden Gespräch, an dem auch der Beeskower Bürgermeister Robert Czaplinski und der Kulturamtsleiter Oder-Spree Arnold Bischinger teilnahmen, stellten die Berliner Gäste etliche Sachfragen. Dabei standen finanzielle Probleme im Vordergrund. Frau Zivkovic und Herr Bley konnten sich eine Übersicht über die Leistungsfähigkeit des Museums verschaffen.
Frau Wieloch bedankte sich für unseren Besuch und den schönen Austausch. „Wir freuen uns, wenn Sie die Tradition fortsetzen, ein anhaltendes engagiertes Interesse am Bestand und der Arbeitsweise des Kunstarchives zu beweisen.“ Der Vorsitzende unseres Vereins, Gernot Zellmer, bedankte sich seinerseits für die freundliche Aufnahme und das sehr informative Gespräch und ergänzte: „Ich werde dem Vorstand unseres Vereins vorschlagen, dass wir im Jubiläumsjahr 2026 (dann ist das wiederaufgebaute Schloss Biesdorf 10 Jahre alt) die Tradition aus den Jahren 2011 bis 2013 aufleben lassen und eine erneute Busexkursion zum Kunstarchiv Beeskow organisieren.“
Gruppenfoto, von links: Herr Matthies, Herr Bley, Herr Czaplinski, Herr Zellmer, Frau Zivkovic, Herr Freier, Frau Wieloch, Frau Schmidt und Herr Bischinger
Schon vor der Besichtigung des offenen Depots hatten sich Vorstandsvorsitzender Gernot Zellmer und Axel Matthies mit Wolfgang de Bruyn, dem Treuhänder der Günter-de-Bruyn-Stiftung, ausgetauscht zu Zielen und Perspektiven der Stiftung in Beeskow – wir hatten darüberberichtet. Herr de Bruyn schilderte uns ausführlich den gegenwärtigen Stand bei der Konsolidierung der Stiftung; insbesondere den Fortgang der Bauarbeiten am Einzeldenkmal Brandstraße 38, in das die Stiftung einziehen wird. Noch ist eine Menge zu tun; die eigentliche Arbeit der Stiftung wird erst 2026 beginnen. Übereinstimmung gab es aber schon bei Schnittmengen zwischen der Stiftung und unserem Verein: die märkische Geschichte und deren literarische Gestaltung. Wolfgang de Bruyn konnte prinzipiell zustimmen, dass Literaturwissenschaftler aus dem Umfeld der Stiftung zu uns nach Biesdorf kommen, um zu diesen Themen Vorträge zu halten.
BIESDORFER BEGEGNUNG mit Christine Stüber-Erratham 5. Februar 2025 im Schloss Biesdorf
Einen sehr kurzweiligen Abend anläßlich einer BIESDORFER BEGEGNUNG erlebten mehr als 50 BesucherInnen im voll besetzten Musiksaal des Biesdorfer Schlosses am 5. Februar 2025. Die erfolgreiche Eiskunstläuferin Christine Stüber-Errath erzählte äußerst unterhaltsam und beredt über ihre sportliche Karriere und die Jahrzehnte danach. Ihr Leben habe sie nach dem Hummelprinzip gestaltet: die Hummel weiß nicht, dass sie für das Fliegen viel zu schwer ist – sie tut es einfach. „Mir ging es oft genau so“, kommentierte die Sportlerin.
Begrüßung durch Moderator Klaus Freier
Christine war schon als Kind äußerst bewegungshungrig, tanzte nach jeder Musik und wurde beim Rollschuhlaufen als talentiert entdeckt. Sie kam zum SC Dynamo Berlin, die heutige Trainerlegende Inge Wischnewski wurde ihre Übungsleiterin. Das Kind wurde als würdig für den Leistungssport erkannt und auf die Kinder- und Jugendsportschule delegiert. Damit begann ein Leben nach Strenge und Disziplin. Frau Errath-Stüber zeigt gleich am Anfang ihres Vortrages noch eine ganz saubere Beinspreize.
Für sie begann in der Schulzeit jeder Tag gleich: Training ab 7.00 Uhr mit hoher Belastung, oft Eintönigkeit. Dann Schule, Training und physiotherapeutische Maßnahmen. Es war sehr langweilig, sie musste sich immer wieder neu motivieren, die Mutter half. Dazu kommen Verletzungen und Reha-Wochen. Das ist über die Jahre schwer zu ertragen und nur mit Erfolgen zu kompensieren. Die Konkurrenz ist zwar nicht zahlreich, aber immens stark. In Karl-Marx-Stadt trainierten bei Jutta Müller Gabi Seyfert und Sonja Morgenstern, später Anett Pötzsch. Als Neunjährige gesteht Christine dem Reporter Heinz Florian Oertel in einem Interview: Ich will Europameisterin werden! Sie wird Recht behalten.
Die Erfolge stellten sich ein. Christine wird mit 12 Jahren Dritte bei den DDR-Meisterschaften, das ist ihre erste Medaille. Sie wird sich auf den 2. Platz steigern und schließlich 1974 und 1975 auf dem obersten Treppchen stehen. Mit 16 Jahren wird sie zum ersten Mal Europameisterin, mit 17 Weltmeisterin. Insgesamt erringt sie 3 Europameistertitel, wird ein Mal Weltmeisterin und holt Bronze bei den Olympischen Winterspielen 1976 in Innsbruck.
Christine Errath bei ihrer Kür zur DDR-Meisterin 1974 im Sportforum Berlin. Foto Mittelstädt/Bundesarchiv
Diese Winterspiele werden für sie eine ganz besondere Herausforderung. Christine soll unbedingt eine Medaille holen, am besten natürlich Gold. Aber sie zieht sich im Herbst eine schwere Bänderverletzung zu. Eine Welt bricht zusammen. Ärzte und Physiotherapeuten geben ihr Bestes, Christine kämpft und kann sich zurück beißen. Sie bekommt vom Verband die Chance, ohne vorherige Qualifikation zu den Spielen gemeldet zu werden. Sie muss aber versprechen, ihre Karriere nicht – wie geplant – zu beenden, sondern weiter zu laufen. Nach einer schwer erkämpften Bronzemedaille schließt sie dennoch ihre Laufbahn ab und beginnt ein Germanistikstudium an der Humboldt-Universität. Straffrei kommt sie aber nicht davon: die Auszeichnungsreise mit der „Völkerfreundschaft“ nach Kuba wird gestrichen: es kann doch nicht jeder machen was er will! Wer will, kann sich ihre Olympia-Kür hier ansehen.
Nach dem erfolgreichen Germanistik-Studium beginnt Christine Errath als Journalistin zu arbeiten, zuerst im Kinder-Fernsehen, dann zunehmend beim Sport. Christine behält auch im Beruf ihre Popularität und beginnt eine neue Karriere als Fernsehliebling. Sie kann Schnurren über Oertel, Jutta Müller und viele andere erzählen. Als Fersehliebling nimmt sie auch an der „Nacht der Prominenten“ teil. Obwohl sie nicht schwindelfrei sei, wie sie sagt, entscheidet sie sich für eine Nummer mit den Seilakrobaten „Glorias“. Sie trainiert hart und segelt unfallfrei durch die Manege.
Den politischen Umbruch 1989/90 übersteht sie wie viele andere Menschen nicht ohne Veränderungen und Verluste. Sie ist verheiratet und hat zwei Kinder. Die Familie muss ernährt werden. Bald gibt es aber beim Mitteldeutschen Rundfunkt die Chance, die Co-Moderation bei der äußerst beliebten Sendung „Außenseiter – Spitzenreiter“ dauerhaft ins Programm zurück zu holen und sie ist wieder dabei. Von 1993 bis 2007 steht sie vor der Kamera. Eine besondere Gabe wird diagnostiziert: sie könne noch schneller sprechen als Regine Hildebrandt, die beliebte Ministerin aus Brandenburg. Nach 15 Jahren ist sie allerdings ausgelaugt. Sie steigt aus dem Job aus.
Inzwischen ist Frau Errath geschieden und die Kinder volljährig. Bei einem Routinebesuch bei ihrem Kieferchirugen verliebt sie sich in diesen. Sie sehen sich bald wieder. Die Heirat folgt auf dem Fuße. Seit vielen Jahren lebt Christine Stüber-Errath nun in Wildau; sie, die Berlinerin, die sich nie vorstellen konnte, ihre Heimatstadt jemals zu verlassen. Sie engagiert sich dort kommunalpolitisch. Silvester 2024 ist das Ehepaar wie immer im Urlaub, auch um Christines Geburtstag zu feiern. Am Neujahrstag meldet sich per Handy die Nachbarin mit der schlimmen Meldung: bei euch ist eingebrochen worden! Neben Wertsachen fehlen auch Medaillen. Über verschiedene, auch soziale, Medien hat die erfolgreiche Sportlerin die Diebe gebeten, wenigstens die Medaillen zurück zu geben. Sie muss noch warten…
Neben vielen kleinen Erinnerungsstücken hat Frau Stüber-Errath auch vier Kürkostüme mitgebracht. Mit denen hat es eine besondere Bewandtnis. Alle sind von der Mutter genäht, die sie jeder Pore am Körper der Tochter genauestens anpassen konnte. Die Stoffe der Kostüme hingegen hat Christine alle von ihren Reisen aus dem Westen mitgebracht. „Wir bekamen in der Regel 10 D-Mark pro Tag. Damit bin ich in die Läden gegangen und habe Ausschau gehalten nach attraktiven Stoffen. Ich bin ehrlich: die Stoffe passten besser und lagen eng am Körper.“
Das gelbe Kostüm rechts trug Christine zu den Olympischen Spielen 1976
Der Vortrag klang mit langem und sehr herzlichem Applaus der vielen ZuschauerInnen aus. Moderator Klaus Freier bedankte sich ebenso herzlich bei Frau Stüber-Errath. Er versuchte sie zu trösten mit dem Plakat zur Ankündigung der Europameisterschaften 1975 in Kopenhagen. Anschließend signierte sie für viele interessierte Gäste ihr Buch „Meine erste 6,0 – Die beeindruckende Lebenskür der Christine Stüber-Errath“.
Signierung ihres Buches mit vielen freundlichen Erinnerungen
Da zu diesem Vortrag nicht alle Nachfragen befriedigt werden konnten, wird es im Herbst eine weitere Veranstaltung im Schloss Biesdorf geben.
Vortrag von Dr. Christian Hufenam 12. Februar 2025 im Schloss Biesdorf
Der Berliner Ehrenbürger Otto Nagel lebte von 1952 bis zu seinem Tode 1967 in Biesdorf. Ein wichtiges Anliegen unseres Vereins ist es, die Erinnerung an diesen bedeutenden Maler, Publizisten und Kulturpolitiker auf vielfältige Weise wach zu halten, damit er in seiner Vaterstadt lebendig bleibt. Die Tatsache, dass 1924/25, also vor 100 Jahren, in Sowjetrussland die Erste Allgemeine Deutsche Kunstausstellung stattfand, die von Otto Nagel kuratiert wurde, war uns Anlass, den Kunstwissenschaftler Dr. Christian Hufen zu einem Vortrag im Rahmen unserer traditionellen Veranstaltungsreihe mit der Volkshochschule Marzahn-Hellersdorf einzuladen.
Im folgenden Bericht sind die kursiv gesetzten Textpassagen dem Redemanuskript entnommen, das uns Dr. Hufen freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat.
Dr. Christian Hufen
Erste Allgemeine Deutsche Kunstausstellung im Sowjetrußland
Heute vor 100 Jahren weilte Otto Nagel an der Wolga, über 2000 Kilometer vom heimatlichen Wedding entfernt. Es war die erste Auslandsreise des Kommunisten und Künstlers. Er war nicht als Privatmann gekommen, sondern als Ausstellungsmacher, mit rund 500 Werken deutscher Künstler, die in der Sowjetunion gezeigt werden sollten. Die Erste Allgemeine Deutsche Kunstausstellung, die 1924/25 in Moskau, Saratow und Leningrad zu sehen war, sollte die Annäherung beider Länder und den professionellen Austausch befördern. Nagel war der Ansprechpartner, der Publikum und Fachleuten die ausgestellten Werke erläuterte. Diese Reise stellte entscheidende Weichen für Beruf und Karriere. Persönlich-biografisch wurde sie zum Wendepunkt in seinem Leben. Der Kreml erteilte die Ausfuhrgenehmigung für eine junge Schauspielerin, die der Künstler und Kurator auf einem Empfang kennengelernt und, Hals über Kopf, in Leningrad geheiratet hatte: Valentina Nikitina, besser bekannt als Walli Nagel.
Otto Nagel 1925 in Saratow *)
Organisator der Ersten Allgemeinen deutschen Kunstausstellung und damit Auftraggeber von Otto Nagel war die Internationale Arbeiterhilfe (IAH) unter Leitung des deutschen Kommunisten Willi Münzenberg. Münzenberg war am Zustandekommen der berühmten Russischen Kunstausstellung beteiligt, die im Herbst 1922 in der privaten Galerie Van Diemen Unter den Linden eröffnete. Das Deutsche Reich und der preußische Staat waren daran interessiert, scheuten jedoch ein öffentliches Bekenntnis: die kulturpolitisch wichtige Gastausstellung, bei der erstmals in Deutschland auch Werke der russisch-sowjetischen Avantgardekunst zu sehen waren, durfte nicht im Kronprinzenpalais gezeigt werden, der 1919 eröffneten modernen Abteilung der Nationalgalerie.
Die Erste Allgemeine deutsche Kunstausstellung in Rußland war nun in doppelter Hinsicht eine Selbstermächtigung: Münzenbergs IAH organisierte im Alleingang die deutsche Gegenausstellung mit politisch engagierter Kunst. Sogar das Staatliche Bauhaus in Weimar beteiligte sich.
Otto Nagel und Eric Johansson, ein Genosse aus der „Roten Gruppe“, trafen Mitte September 1924 in Leningrad ein. Wie sich Johansson 1965 erinnerte, war der Zeitpunkt für ihre Ausstellung genau richtig: „Niemals, nirgendwo und vielleicht auch nicht wieder sind künstlerische Probleme so leidenschaftlich, freimütig und allseitig diskutiert worden wie in den Klubs und Verbänden der damaligen sowjetischen Künstler.“
Die Erste Allgemeine deutsche Kunstausstellung war die erste Schau zeitgenössischer Kunst aus dem Ausland, die in der international isolierten Sowjetunion gezeigt wurde. Zur Eröffnung am 18. Oktober 1924, in den Räumen des Historischen Museums in Moskau, sprach Anatolij Lunačarskij, der zuständige Volkskommissar für Bildung, anerkennend über die Entwicklung deutscher Kunst, die heute mit Leidenschaft, Zorn und Hoffnung vor allem propagandistisch orientiert sei.
Nach großem Erfolg in der sowjetischen Hauptstadt – es wurden 40.000 Besucherinnen und Besucher gezählt – reiste Otto Nagel über Leningrad nach Saratow, ins Autonome Gebiet der Wolgadeutschen. In Saratow entstanden einige Gemälde und Zeichnungen – die einzigen bekannten Kunstwerke, die Otto Nagel von seinen zahlreichen Reisen in die Sowjetunion von dort mitbrachte.
Ausstellungsaal in Saratow **)
Die Ausstellung lief von Januar bis März 1925. Nach den Erfahrungen in Moskau präsentierte der Kurator ein neues Konzept: weniger Werke in didaktischer Anordnung. Otto Nagel sortierte Bilder und Skulpturen unter vier Kunstrichtungen ein: Politische Kunst, Expressionisten, Abstrakter Expressionismus und Konstruktivisten.
Schließlich Leningrad. Dem Pressespiegel zufolge nahm die kunstinteressierte Öffentlichkeit der vormaligen Hauptstadt des Russischen Reichs kaum Notiz von der deutschen Wanderausstellung. Nagels Gemälde „Der Jubilar“ wurde angekauft und war in den Folgejahren auf diversen Ausstellungen in Moskau zu sehen. Nagels erste Ausstellung in der Sowjetunion schloss im Juni 1925.
Spätere Reisen in die Sowjetunion
Zum 10. Jahrestag der Oktoberrevolution 1927 überbrachte der sowjetische Botschafter in Deutschland Käthe Kollwitz eine Einladung, die sie gern annahm. Sie und ihr Gatte gehörten zu der über 100 Personen starken deutschen Delegation, die zu den Feierlichkeiten anreiste. Das Ehepaar Walli und Otto Nagel reiste mit dieser Gruppe. So steht es in der sowjetischen Literatur, nicht aber in den mir bekannten Schriften über Nagel.
Das Ehepaar Nagel hielt sich bis 1933 öfters, wenn nicht regelmäßig in der Sowjetunion auf. Zur großen Kollwitz-Ausstellung von 1932 reisten die beiden ohne Künstlerin an, die mit der Aufstellung ihrer Skulpturen der trauernden Eltern in Belgien beschäftigt war, auf dem Friedhof mit dem Grab des im Weltkrieg gefallenen Sohnes. Mit 142 ausgestellten Werken war es die größte sowjetische Schau zu Lebzeiten der Künstlerin. Auf deren ausdrücklichen Wunsch übernahm der „rote Kurator“ die Hängung. Als ihre Ausstellung in den Räumlichkeiten der Moskauer Künstlergenossenschaft eröffnet wurde, lag ein Katalog mit Beitrag von Otto Nagel vor, der abschließend auch an einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung teilnahm. Er preist Kollwitz als vorbildliche politische Künstlerin, die in ihren Blättern Not und Leidenschaft, Kampf und Streben der arbeitenden Klasse bezeuge.Nach zweiwöchigem Gastspiel in Moskau gelangte die Kollwitz-Ausstellung nach Leningrad.
Mit seiner Erfahrung als Vertrauensmann deutscher Künstler und Kulturschaffender, der persönliche und professionelle Kontakte zu Vertretern der östlichen Siegermacht besaß, wurde Otto Nagel nach Kriegsende zu einer Schlüsselfigur im „Kulturbund zur demokratische Erneuerung Deutschlands“. Der „rote Kurator“ und seine Frau konnten ab 1945 ein Netzwerk aktivieren, zu dem Personen zählten, die auf einflussreiche Positionen gelangt waren, in SMAD und sowjetischem Kulturbetrieb. Otto Nagel reiste Mitte der 1950er Jahre wieder nach Moskau, um Kunstschätze von nationaler Bedeutung zurückzuholen. Auch diese Mission war erfolgreich, wird aber selten erwähnt.
Otto-Nagel-Ausstellung 1960 in Moskau *)
Im Herbst 1960 reiste Otto Nagel wieder in die Sowjetunion, diesmal zur Eröffnung seiner eigenen Retrospektive. Sie war ihm zu seinem 65. Geburtstag von der Ost-Berliner Nationalgalerie ausgerichtet worden und hatte Zwischenstation in Stockholm gemacht. Am 27. September, schon an seinem 66. Geburtstag, wurde sie in Moskau eröffnet – mit eigenem Katalog und in Anwesenheit alter Bekannter. Gewiss auch mit ihrer Stimme wurde der – noch amtierende – Präsident der Ost-Berliner AdK im Oktober 1960 in die sowjetische AdK aufgenommen.
Lenins Totenmaske
Von seiner Rußlandreise zur Kollwitz-Ausstellung 1932 brachte das Ehepaar ein ungewöhnliches Souvenir mit in den Wedding. Die Rede ist von Lenins Totenmaske. Wiedergegeben ist der auf dem Sterbebett ruhende, zur Seite geneigte Kopf. Es scheint, als hätte Lenin gerade seinen letzten Atemzug getan. Weiter unten sind Sterbeort und -datum sowie der Name des Künstlers eingraviert: „Gorki 22. Januar 1924 4 Uhr nachts S. Merkurov“.
Totenmaske Lenins mit Widmung *)
Diese Totenmaske Lenins ist mit einer Zueignung versehen: „An Otto Nagel und Wally freundlich gewidmet S. Merkuroff 12. Mai 1932 Moskau“.Die abenteuerliche Geschichte der Totenmaske nimmt ihren Lauf. Der Witwe zufolge wurde sie in einem Berliner Keller verstaut und überstand den Bombenkrieg dort unversehrt. Nach der Befreiung brachten die Nagels den Kopf, vermittelt wohl durch Kulturoffizier Alexander Dymschitz, ihren Leningrader Bekannten, zur Sowjetischen Militärverwaltung in Karlshorst und tauschten ihn – ein Angebot, das sie nicht ablehnen konnten – gegen ein Spanferkel ein.
Märchenhaft auch die nächsten Wendungen: Nagels Exemplar der Totenmaske kehrt 1948 nach Moskau zurück, weil der erste Abguss in den Kriegswirren verloren gegangen sei, heißt es. Später hört Walli, im Leninmuseum wäre nun der Gips aus dem Besitz der Lenin-Witwe ausgestellt und fordert die für Berlin bestimmte Maske zurück – mit Erfolg. Otto Nagel hatte seine Tätigkeit als Kulturfunktionär im Verband Bildender Künstler und als Präsident der Akademie der Künste der DDR gerade beendet, als der Künstler und Genosse im Januar1963 ans Rednerpult des VI. Parteitags der SED tritt. In Anwesenheit des sowjetischen Staats- und Parteichefs Nikita Chruschtschow übergab er, auch in Wallis Namen, die symbolträchtige Totenmaske der Regierung seiner Republik, angeführt von Staats- und Parteichef Ulbricht. Das wertvolle Objekt gelangte ins Museum für Deutsche Geschichte, also ins Zeughaus. Dort liegt es auch heute noch, wohlbehalten und wenig beachtet.
Randnotiz
In seinem Vortrag berichtete Dr. Hufen, dass ihm bei seinen Recherchen Erstaunliches auffiel:
Nicht bloß DDR-Kunst wurde ins Depot verbannt, sondern auch vieles, was von der reichen Tradition „proletarisch-revolutionärer Kunst“ der Weimarer Republik die Nazizeit überdauert hatte und im Osten bis 1990 als nationales Erbe galt. Grosz, Vogeler und Nagel – unsere Staatlichen Museen, die Stadt Berlin und die vollständig steuerfinanzierte Akademie der Künste verwalten deren Bilderschätze und Nachlässe. Überall fehlt eine Dauerausstellung mit ihren Werken.
*) Die Fotos wurden für den Vortrag freundlicherweise vom Archiv der Akademie der Künste bereit gestellt. **) Das Foto hat freundlicherweise Sergey Fofanow dem Vortragenden zur Verfügung gestellt.
Seit mehreren Jahren hat sich unser Verein bemüht, Otto Nagel, den Ehrenbürger Berlins, als Persönlichkeit, die in unserem Bezirk gelebt hat, auf der Homepage des Bezirksamtes zu nennen. Nun ist es gelungen. Bezirksstadtrat Stefan Bley teilte uns mit: „..auch wenn die Schritte im Amt nur langsam vorangehen, so schaffen wir doch zumindest kleine Erfolge: Der Eintrag zu Otto Nagel auf der Homepage des Bezirkes ist abgeschlossen.“ Dazu sendete er uns den öffnenden Link. Wir geben ihn nun gern an Sie weiter:
Die Webseite bietet einen visuellen Rundgang mit vielen Details zu Architektur, Parkgestaltung, Geschichte und zum Kulturort. Sie soll das Interesse an dem denkmalgeschützten Schlossensemble wecken und zu einem Besuch anregen. Ein Audioguide bietet die Möglichkeit, vor Ort über ein Handy Informationen zu den Sehenswürdigkeiten zu hören. Die Inhalte der Webseite sind auch auf einem Flyerbeschrieben, der an verschiedenen Orten in Marzahn-Hellersdorf ausliegt. Zwei Karten als Wegeleitsystem zeigen die Parkzugänge und die Standorte der Sehenswürdigkeiten im Park (Download als PDF).
Als am 16. November 2007 im Schloss Biesdorf eine Festveranstaltung zu Ehren von Albert Brodersen (1857 – 1930) aus Anlass seines 150. Geburtstages stattfand und anschließend die Lindenallee im Schloßpark in Albert-Brodersen-Allee umbenannt wurde, war das ein beachtliches Zeichen. Damit hatten das Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf, das Landesdenkmalamt Berlin und die damalige Stiftung Ost-West-Begegnungsstätte Schloss Biesdorf e.V. an einen Mann erinnert, dessen Spuren aus der Geschichte Berlins weitgehend getilgt sind. Der damalige Bezirksstadtrat Norbert Lüdtke und insbesondere Dr. Klaus-Henning von Krosigk, stellvertretender Landeskonservator in Berlin, würdigten den Berliner Gartendirektor Brodersen (1910 – 1925), den Gestalter des Schlossparks Biesdorf und vieler weiterer Grünanlagen in Berlin, überzeugend. Dr. von Krosigk hatte bereits gemahnt, dass es notwenig sei, sich mit Brodersens reichem Lebenswerk auseinander zu setzen, es vertieft zu ergründen und durch gezielte Inwertsetzung zu erhalten und neuerlich zu beleben. Bald darauf legte er selbst eine biografische Skizze vor.
Albert Brodersen stammte aus Holstein. Sein Vater war Gutsverwalter und später Rentamtsmeister. Albert absolvierte nach der Schulzeit eine praktische Ausbildung in verschiedenen renommierten Gärtnereien. Nach zahlreichen Studienreisen, die ihn nach England, Italien, Frankreich, nach Wien, Paris, Moskau und Budapest führten, schloss er 1884 seine Ausbildung in Potsdam-Wildpark ab. Er heiratete 1887 Dorothea Körner, die Tochter des Besitzers der bekannten Landschaftsgärtnerei Körner in Steglitz und führte nach dessen Tod zusammen mit seinem Schwager das Unternehmen weiter. In diesen Jahren entstanden rund 20 größere landschaftliche Anlagen überwiegend für Industrielle im Rheinland, aber auch in Berlin, in der damaligen Neumark und in Schlesien. Seine bekanntesten Arbeiten sind der Park am Haus Lerbach bei Bergisch-Gladbach, der Schlosspark in Berlin-Biesdorf für die Familie Siemens, der Königspark in Guben und zahlreiche Villengärten in Potsdam, am Grunewald und am Wannsee. Der bekannteste Villengarten dürfte der von Max Liebermann sein. Aber auch städtebauliche Projekte, die Anlage von Pferderennbahnen im Grunewald und in Köln sowie anderer Sporteinrichtungen gehören zu seinem Werkverzeichnis.
Albert Brodersen – Gemälde von Max Liebermann (1920)
Seine hervorragenden Kontakte und sein ausgezeichneter Ruf als Landschaftsgärtner führten dazu, dass er 1910 zum Berliner Städtischen Gartendirektor berufen wurde. Bereits 1909 war ihm der Titel des „Königlichen Gartendirektors“ verliehen worden. Im Rahmen der planmäßigen Stadtbebauung war er nun am Ausbau und an der Umgestaltung der ursprünglichen Berliner Schmuckplätze zu Gartenplätzen und praktischen Parkanlagen beteiligt. So wurde in den Jahren von 1913 bis 1916 der Teil des Viktoriaparks westlich der Möckernstraße von ihm angelegt. Weitere Tätigkeitsfelder waren die Bepflanzung der Straßen mit Alleebäumen und die Einrichtung von Spielplätzen und Schulgärten. Im Kern ging es darum, das steinerne Berlin in seiner maßlosen Verdichtung umzubauen, grüne Lungen zu schaffen und der Bevölkerung gesündere Lebensverhältnisse zu sichern. Dabei war Brodersen ein sehr erfahrener und äußerst gebildeter Gärtner, der sich in allen praktischen Bereichen des Gartenbaus bestens auskannte und sich in der teilweise erbittert und polemisch geführten Debatte um eine neue Gartenkunstbewegung stets offen und diplomatisch zeigte.
Wegen der ökonomischen und politischen Verhältnisse während und nach dem Ersten Weltkrieg war es dem Gartendirektor Brodersen kaum vergönnt, eigene Ideen zu verwirklichen. Er musste eher den Mangel verwalten und ab 1920, der Bildung von Groß-Berlin, völlig neue Verwaltungsstrukturen in den Bezirken aufbauen. Die 15 Jahre seiner Amtszeit erwiesen sich dennoch für die Berliner Grünplanung als fruchtbar. Es entstanden viele Spielplätze und Sportanlagen. Den Kleingärten und städtischen Friedhöfen schenkte Brodersen zunehmend Aufmerksamkeit. So blieb es seinem Nachfolger Erwin Barth überlassen, in der kurzen Blütezeit der Weimarer Republik für Berlin die bis heute gültigen sozialen Grünräume zu erstreiten und zu gestalten. In Barth’s Amtszeit fällt die Entstehung des noch von Albert Brodersen entworfenen Volksparks Rehberge, der ab 1926 auf einem 120 ha großen Sand- und Sumpfgelände angelegt und im Sommer 1929 eröffnet wurde.
Die Rehberge nach dem Notwinter 1918/19.., Foto: Landesarchiv Berlin
.. und heute, fast 100 Jahre später Foto: Jürgen Ritter
Diese Parkanlage markiert einen Höhepunkt in der Gestaltung von Volksparks in Berlin, zu denen weiterhin der Volkspark Jungfernheide, der Körnerpark in Neukölln, die Parklandschaft am Ober- und Orankesee, der Volkspark Wuhlheide und natürlich der Schlosspark Biesdorf gehören. Letzterer ist seit 1927 im Besitz der Stadt Berlin. Klaus von Krosigk lobte die wirkungsvolle Verteilung von Licht und Schatten sowie die feine und abwechslungsreiche Geländemodellierung, die den Park so attraktiv machten. Interessant aus heutiger Sicht: die Anlage der Volksparks in der Weimarer Republik war überwiegend eine Arbeitsbeschaffung für Kriegsheimkehrer.
Wirkungsvolle Verteilung von Licht und Schatten sowie eine feine Modellierung der Landschaft; hier in Biesdorf
Klaus von Krosigks Formel, dass Albert Brodersen ein Gärtner der Zeitenwende – weg von höfischen Schmuckplätzen, hin zu grünen Volksparks – gewesen war, der in seiner Wirkung und gestaltenden Kraft für das Grün Berlins immer noch unterschätzt wird, hat an ihrer Richtigkeit nichts verloren. Wir erinnern an ihn. Im Oktober 1925, vor 100 Jahren, trat der Berliner Gartendirektor in den Ruhestand. Am 4. Januar 1930, vor 95 Jahren, starb Albert Brodersen an einem Herzschlag in Berlin.
Anlässlich des Tages des Ehrenamtes werden in unserem Bezirk seit 2003 Menschen geehrt, die sich langjährig, kompetent und mit großem persönlichen Engagement um Sachverhalte und Dinge kümmern, für die im Alltag der Ämter und Verwaltungen oft kein Platz oder keine Zeit ist, ohne die aber ein vielfältiges gesellschaftliches Leben nicht denkbar ist.
In diesem Jahr wurde am 6. Dezember auch unsere Schatzmeisterin Marianne Schmidt mit dem Ehrenamtspreis der BVV Marzahn-Hellersdorf ausgezeichnet. Und wie bei den vielen anderen Ausgezeichneten gab es auch bei ihr gute Gründe für diese Ehrung.
Bei der Veranstaltung im Don-Bosco-Zentrum
Marianne Schmidt ist seit 2016 Mitglied unseres Vereins „Freunde Schloss Biesdorf“ und wurde schon in ihrem ersten Jahr in den Vorstand gewählt. In dieser Funktion hat sie sich gleich zweifach, als Finanzökonomin und als Kunstinteressierte, mit hohem Engagement, kreativen Ideen, zuverlässigem Handeln und Teamgeist in die Arbeit des Vereins eingebracht. Seit nunmehr sechs Jahren ist sie unsere Schatzmeisterin. Sie nimmt diese Aufgabe mit hoher fachlicher Kompetenz, Zielstrebigkeit und Verlässlichkeit wahr.
Die Buch- und Rechnungsprüfer des Vereins heben in ihren Prüfberichten regelmäßig die Detailliertheit und Tiefe der Kostenanalyse von Marianne Schmidt sowie ihr Bestreben hervor, Einsparpotenziale aufzuzeigen und zu nutzen.
Im Jahre 2019 bildete sich nach entsprechenden Vorarbeiten unseres Vereins der „Initiativkreis Otto Nagel 125“, dem sich mehr als 60 Personen und Organisationen mit dem Ziel angeschlossen hatten, den Ehrenbürger Berlins Otto Nagel anlässlich seines 125. Geburtstages in das Gedächtnis seiner „Vaterstadt“ zurück zu holen. Zur Finanzierung dieses Projektes erhielt der Verein eine Zuwendung der Senatsverwaltung für Kultur und Europa sowie eine Spende der Berliner Sparkasse, an deren Ausreichung Marianne Schmidt maßgeblichen Anteil hatte. Sie hat die Verwaltung und Abrechnung dieser finanziellen Mittel fachlich kompetent, gewissenhaft, in profunder Kenntnis der gesetzlichen Bedingungen und ohne Beanstandungen der Mittelgeber realisiert.
Marianne Schmidt (li.) mit BVV-Vorsteher Stefan Suck, Sozialstadträtin Juliane Witt und Bürgermeisterin Nadja Zivkovic
Aus dem Projekt „Otto Nagel125“ entstand dann das Vorhaben einer Buchpublikation. Im Mai 2023 konnte unser Verein das Buch „Otto Nagel (1894 – 1967). Maler, Publizist, Kulturpolitiker“ vorstellen, das Beiträge von 13 Autoren enthält, die auf Honorare verzichteten. Unser Verein konnte dieses Buchprojekt dank einer Zuwendung aus dem Bezirkskulturfonds und einer Spende der Berliner Sparkasse realisieren. Auch hier ging der von Marianne Schmidt erbrachte Aufwand – sowohl der Akquisition der Mittel als auch bei ihrer bestimmungsgerechten Verwendung und Abrechnung – weit über den Rahmen ehrenamtlicher Tätigkeit hinaus.
Wir wünschen Marianne weiterhin Kraft und Gesundheit bei der Bewältigung der Ziele, die sich unser Verein gestellt hat.
Die Feier im Don-Bosco-Zentrum an der Otto-Rosenberg-Straße klang bei vielen guten Gesprächen und einem ansprechenden Büfett angenehm aus.
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P.S. Mit dem Ehrenamtspreis wurde in diesem Jahr auch Wolfgang Brauer, der langjährige Vorsitzende unseres Partners Heimatverein Marzahn-Hellersdorf, ausgezeichnet. Wir gratulieren herzlich.
Die „BIESDORFER BEGEGNUNG“ am 28. August 2024 fand erstmals nicht im Schloss Biesdorf, sondern im Sportmuseum Marzahn-Hellersdorf in der Eisenacher Straße statt – einer kleinen, aber feinen, ehrenamtlich geleiteten Einrichtung, die immer einen Besuch wert ist. Das Thema des Abends war „Sportstadt Berlin“ – so kurz nach der Fußballeuropameisterschaft in Deutschland und Olympia in Paris eigentlich ein naheliegendes Thema. Die Veranstaltung wurde gemeinsam mit dem Bezirkssportbund Marzahn-Hellersdorf organisiert, die Mitarbeiter der Geschäftsstelle hatten den Abend perfekt vorbereitet.
Blick in die Ausstellung des Sportmuseums
Berlins Leistungs- und Breitensportszene ist riesig – hier befindet sich der größte deutsche Olympiastützpunkt, mehr als 800.000 Mitglieder aller Altersstufen sind in über 2.400 Sportvereinen aktiv. Sechs erfolgreiche Profi- Vereine kämpfen um Meistertitel und Medaillen. Großveranstaltungen im Spitzen- und Freizeitsport halten die Stadt über das ganze Jahr hinweg in Atem. Politiker, Sportwissenschaftler, Trainer, Ehrenamtliche in den vielen Vereinen – alle wirken an unterschiedlicher Stelle mit, dass der Sport eines der bedeutendsten und am stärksten wahrgenommenen Aushängeschilder für Berlin ist und bleibt.
In Vertretung der eigentlich für den Abend angekündigten Sportsenatorin Iris Spranger setzte die für den Sportbereich verantwortliche Staatssekretärin Franziska Becker in ihren einführenden Worten die Schwerpunkte für die nachfolgenden Gespräche und Diskussionen: eine erfolgreiche Leistungsbilanz der Berliner Spitzensportler, eine gut aufgestellte Infrastruktur für den Breiten- und Leistungssport, viel Unterstützung aus Wirtschaft und Sportwissenschaft. Aus aktuellem Anlass verwies sie auf das Interesse Berlins an einer Olympiabewerbung – die Stadt sei bereit dafür.
Mit Doris Nabrowsky vom Vorstand des Hellersdorfer Athletik Clubs Berlin (ACB), dem zweitgrößten Marzahn-Hellersdorfer Sportverein, konnte eine kompetente und sehr engagierte unmittelbar Beteiligte viele Punkte der Staatssekretärin bestätigen, verwies aber auch auf bestehende Probleme bei der Organisation der umfangreichen Angebote des Vereins für Leistungs- und Breitensport. Angefangenen beim (berlinweit) recht hohen Sanierungsbedarf für bestehende Sportanlagen, dem Nachholebedarf bei notwendigen Neubauten im Rahmen der wachsenden Stadt, dem Thema der Unterfinanzierung der Trainer und Übungsleiter bis zur zunehmenden Bürokratie bei der Beantragung von Fördergeldern im Sportbereich – eine breite Palette von Themen, mit denen sich die Sportverantwortlichen im Ehrenamt täglich an der Basis beschäftigen müssen. Und wenn dazu noch Probleme der ungeklärten Einbürgerung hoffnungsvoller Nachwuchstalente wie beim ebenfalls anwesenden Dreispringer Arsen Tschantshapayan (Norddeutscher Meister, Ranglistendritter in der deutschen U23) kommen, wird es noch komplizierter. Die Staatssekretärin hatte aufmerksam zugehört und sicher einige Themen mitgenommen …
Von den Besuchern der Veranstaltung wurde das Thema der aus ihrer Sicht ungerechten Verteilung der Gelder im Sportbereich angesprochen. Während im Profifußball bereits unterklassige mittelmäßige Spieler ein recht bekömmliches Auskommen mit ihrem Sport haben, ist das in fast allen anderen Sportarten nicht der Fall. Die wenigsten Sportler in anderen Sportarten, darunter auch viele Weltklasseathleten, sind mit den Geldern aus Förderung und Sponsoring ausreichend unterstützt, in vielen Fällen ist die Einheit von Sport und Ausbildung nicht umfassend gewährleistet. Christine Stüber-Errath, einzige Berliner Eiskunstlaufweltmeisterin, äußerte sich dazu mit Vehemenz und deutlich kritischem Akzent. Leistungen in Sportarten, die weniger im Rampenlicht stehen, werden aus ihrer Sicht zu wenig gewürdigt und gefördert, vielfach funktioniert der Nachwuchsbereich nur durch das Engagement der Eltern bzw. der ganzen Familie. Das Fördersystem im Leistungssport ist aus ihrer Sicht an vielen Stellen ungerecht und überholungsbedürftig, sie hofft auf positive Veränderungen im Rahmen der angedachten Reform der Sportförderung. Darüber hinaus verwies sie darauf, dass viele anerkannte Leistungen aus dem DDR- Sport ihrer Auffassung nach in Vergessenheit geraten sind bzw. nicht ausreichend gewürdigt würden und belegte dies an Beispielen aus ihrer Disziplin, dem Eiskunstlaufen.
Auf dem Podium saßen: Dreispringer Tschantshapayan, Frau Nabrowsky, Frau Stüber-Errath, Staatssekretärin Becker, Herr Teichmann und Moderator Dr. Freier
Weitere Themen der Beiträge aus dem Publikum waren der Kinder- und Jugendsport, die Möglichkeiten der sportliche Betätigung bereits im Kita- Bereich, die Situation im Schulsport (insbesondere Schwimmunterricht) und die Möglichkeiten, die dem Bezirk zur Verfügung stehen, um breitenwirksam alle sportlichen Interessen zu unterstützen. Hierzu waren die Ausführungen der Bürgermeisterin Nadja Zivkovic und des Sportbezirksstadtrats Stefan Bley hilfreich und informativ. Einen Termin für die Fertigstellung des geplanten Kombibades für den Stadtbezirk Marzahn-Hellersdorf konnte die Bürgermeisterin – auch nach mehrfachem Nachfragen – aber noch nicht benennen …
Während der Diskussion, vorne Bürgermeisterin Zivkovic und Sportstadtrat Bley
Mit sehr persönlichen und detaillierten Beiträgen trug Alexander Teichmann, der Präsident von ttc eastside Berlin zum Gelingen des Abends bei. Den wenigsten dürfte bekannt sein, dass das Tischtennis- Frauenteam des ttc eastside die erfolgreichste Berliner Sportmannschaft ist (10facher Deutscher Meister, 9x Pokalsieger, 4x Triple-Gewinner von Meisterschaft, Pokal und Championsleague) – da kommt selbst Bayern München ins Staunen. Insbesondere die Stabilität und Langfristigkeit, mit der im nicht einfachen Umfeld des Leistungssports in Berlin im Frauentischtennis begeisternder Sport auf höchstem Niveau möglich gemacht wird, hat das Publikum beeindruckt. Die Championsleague-Spiele der Mannschaft kann man übrigens auch in dieser Saison in der Halle im Freizeitforum Marzahn anschauen – ein Muss für jeden Fan …
Zum Abschluss des Abends berichtete Christine Stüber-Errath noch lebhaft und mit vielen Geschichten aus Ihrer Karriere – aufgrund der fortgeschritten Zeit leider viel zu kurz. Wir haben mit ihr vereinbart, dass wir ihr in 2025 einen separaten Abend im Schloss Biesdorf widmen werden. Ihr aktuelles Buch „Meine erste 6,0“ konnte erworben werden, natürlich mit persönlicher Widmung – davon wurde reichlich Gebrauch gemacht.
Alles in allem ein intensiver, diskussionsreicher Abend mit positivem Echo bei den Teilnehmern. Insbesondere das eindrucksvoll erlebte Engagement und die Motivation, ein Umfeld zu schaffen, in dem sportliche Betätigung für viele Menschen aller Altersstufen möglich ist, hat den Abend maßgeblich mitbestimmt. Und dies an vielen Stellen ehrenamtlich und trotz der deutlich genannten Probleme, die immer wieder neue Lösungen erfordern. Wir wünschen allen Teilnehmern der Veranstaltung und dem Bezirkssportbund alles Gute und viele weitere sportliche Erfolge – im Großen und im Kleinen!
PS: Eine am Schluss unter den Anwesenden der Veranstaltung durchgeführte Blitzumfrage, ob sich Berlin für die Olympischen Spiele bewerben solle, ergab keine Mehrheit für ein solches Projekt. Noch viel Überzeugungsarbeit also für die Verantwortlichen aus Politik und Sport, um dies zu ändern ….
Beeskow, die Kreisstadt von Oder-Spree, verfügt mit dem Kunstarchiv Beeskow über einen außergewöhnlichen Schatz. Das Kunstarchiv ist Bestandteil des Museums Utopie und Alltag, das das Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR in Eisenhüttenstadt und das Kunstarchiv Beeskow vereint. Es bewahrt mit 170.000 Objekten der Alltagskultur und 18.500 Werken der bildenden und angewandten Kunst sowie des Laienschaffens einen in seinem Umfang und in seiner Zusammensetzung außergewöhnlichen Bestand zur Kulturgeschichte der DDR. Nicht zu vergessen die Burg selbst mit ihren zahlreichen Veranstaltungen und Ausstellungen sowie dem Regionalmuseum.
Nun erhalten der Landkreis und die Stadt einen weiteren Schatz. Die Günter-de-Bruyn-Stiftung, gegründet 2021, wird Sitz und Geschäftsstelle in Beeskow ansiedeln. Der Schriftsteller hatte in einem notariellen Testament aus dem Jahre 2014 von Todes wegen verfügt, dass der Sohn Dr. Wolfgang de Bruyn sein Erbe wird und ihn mit der Auflage beschwert, eine gemeinnützige, unselbständige Stiftung zu errichten. Die Stiftung hat die Aufgabe, die ideellen und gegenständlichen Zeugnisse der Wohn- und Arbeitsstätte des märkischen Schriftstellers Günter de Bruyn, die ehemalige Schäferei im Tal des Blabbergrabens, unter literarischen wie zeitgeschichtlichen Aspekten als Gesamtkomplex für die Nachwelt zu bewahren, werterhaltend zu pflegen und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Die Stiftung soll in das Einzeldenkmal Brandstraße 38 ziehen, das dafür grundlegend saniert und im Frühjahr 2025 bezogen werden soll. Das Archiv und die Forschungsbibliothek von Günter de Bruyn, darunter 12.000 Bücher, werden dann vielfältige Recherchemöglichkeiten für die wissenschaftliche Arbeit zu Leben und Werk des Autors sowie für bildungspolitische Vorhaben bieten. (Ein Vorlaß de Bruyns befindet sich bereits im Deutschen Literaturarchiv Marbach.) Eine Gästewohnung für Forschende wird im Obergeschoss ausgebaut.
In de Bruyns ehemaligem Wohnhaus bei Görsdorf an der Blabber, seinem Refugium abseits der Welt, oder besser Fluchtort, wird von nun an das Stipendium „Abseits“ vergeben und realisiert.
Haus der Blabberschäferei, der einstige Fluchtort des Schriftstellers Günter de Bruyn. Foto Franziska Hauser
Es wird jährlich für zehn Wochen von August bis Mitte Oktober angetreten und ist mit je 3.000 Euro dotiert. Es ist als Tandem-Stipendium ausgeschrieben und ermöglicht so den direkten kreativen Austausch unterschiedlicher Genres miteinander: ob literarisch, publizistisch, wissenschaftlich, foto- und bildkünstlerisch oder auch handwerklich. Die Ortsbindung ist Pflicht. Das erste Tandem, Judith Zander und Sven Gatter, sie Dichterin, er Fotograf, hat das Stipendium 2023 bereits erfolgreich absolviert. Das Stipendium schreibt die Günter-de-Bruyn-Stiftung gemeinsam mit der Stiftung Kleist-Museum, Frankfurt (Oder), der Burg Beeskow (Landkreis Oder-Spree) und dem Literarischen Colloquium Berlin (LCB) aus.
Man muss dem Landkreis Oder-Spree ein Kompliment machen. In finanziell angespannten Zeiten haben die verantwortlichen LokalpolitikerInnen Mut bewiesen und für die Günter-de-Bruyn-Stiftung votiert. Dazu war es erforderlich, erhebliche Fördergelder für die Restaurierung des denkmalgeschützten Fachwerkgebäudes Brandstraße 38 einzuwerben.
Das Einzeldenkmal Brandstraße 38 vor der Sanierung. Foto: MOZ
Bereits 2017 hatte der Landkreis Courage gezeigt. Als damals die Länder Berlin und Mecklenburg-Vorpommern nach 15 Jahren ihren Ausstieg aus dem gemeinsamen Projekt Kunstarchiv Beeskow verkündeten, steckten die Brandenburger den Kopf nicht in den märkischen Sand. Innerhalb von zwei Jahren wurden die Bestände generalinventarisiert und 2019 im Gebäude des ehemaligen Kreisarchivs als offenes Kunstdepot sachgerecht archiviert. Mit Unterstützung des Landes Brandenburg übernahm der Landkreis dann beherzt die alleinige Betreiberschaft und garantierte die Zukunft des Kunstarchivs Beeskow. Nun beherbergt der Landkreis einen weiteren überregional wirkenden kulturellen Leuchtturm.
Günter de Bruyn (1926 bis 2021) war ein herausragender deutscher Schriftsteller, der zunächst in der DDR publizierte und nach dem Beitritt Leserinnen und Leser aus dem vereinigten Deutschland in Scharen in den Bann zog. Er beschäftigte sich zunehmend mit preußischer und märkischer Geschichte, nachdem er 1968 die Blabberschäferei nahe Görsdorf, ein ödes Anwesen etwa 15 Kilometer westlich von Beeskow, gekauft hatte. Erstes Ergebnis dieser Neuorientierung war der Roman „Märkische Forschungen“, der 1978 im Mitteldeutschen Verlag erschien.
Die Erstausgabe von 1978
De Bruyn setzte sich in den 1980er Jahren für die christliche Friedensbewegung ein und kritisierte wiederholt die Zensur vor Buchveröffentlichungen. Nach 1990 genoss er die Freiheit des Wortes und mischte sich wiederholt in kulturpolitische Diskurse ein. Er veröffentliche zahlreiche Bücher, die brandenburgische Regional- und Kulturgeschichte und das romantische Berlin ab 1800 zum Thema hatten. De Bruyn wurde mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnet, darunter der Heinrich-Mann-Preis (DDR), der Thomas-Mann-Preis, der Heinrich-Böll-Preis und der Jean-Paul-Preis. Zu seinem 90. Geburtstag beschenkte er sich mit dem Roman „Der neunzigste Geburtstag“.
Schließlich wurde er kurz vor seinem Tod 2019 zum Ehrenbürger der Gemeinde Tauche und des Landkreises Oder-Spree ernannt. Der Essayist Gustav Seibt schrieb eine sehr originelle Wertung über Günter de Bruyn, darüber, was ihn ausmache: „Am ehesten wohl ein skeptischer, sündenbewusster, untrüglicher Blick auf die Menschen, ein zurückhaltender, unüberhörbar katholischer Ton, der sich bei de Bruyn aufs Glücklichste mit stadtberliner Nüchternheit, mit Humor und altmodischem Patriotismus verbindet. De Bruyn war Katholik, ein in Berlin nicht seltenes, aber doch Exklusivität bedeutendes Herkommen. Es machte ihn immun gegen die Verlockungen irdischer Ideologien und bewahrte ihm den ideologiefreien Blick auf zwischenmenschliche Verhältnisse.“ (SZ vom 8.10.2020)
Günter de Bruyn im Garten der Schäferei. Foto picture/alliance zb
Welche gemeinsamen Schnittmengen die Günter-de-Bruyn-Stiftung und das Kunstarchiv Beeskow finden werden, bleibt abzuwarten. Günter de Bruyn hat den Staat DDR eher ertragen als getragen. Andererseits war Sohn Wolfgang de Bruyn, der nun Treuhänder der Stiftung ist, langjähriger Kulturamtsleiter in Oder-Spree. Er kennt die Geschichte und die Geschichten des Kunstarchivs bestens und aus eigenem Erleben. Die Stiftung wird ein Publikum anlocken, das bisher noch nicht da war. Daraus werden sich für die Stadt und das kulturelle Leben ganz neue Perspektiven entwickeln.
Als die reguläre Mitgliederversammlung des „Freunde Schloss Biesdorf“ e.V. am 10. Juni 2024 zusammen trat war klar, dass der langjährige Vorsitzende Dr. Heinrich Niemann nicht mehr kandidieren würde. Nach 16 Jahren endete eine Ära. Der stellvertretende Vorsitzende des Vereins, Prof. Gernot Zellmer, würdigte dessen Leistung.
Prof. Gernot Zellmer als Versammlungleiter und Dr. Heinrich Niemann bei der Ergänzung zum Jahresbericht
„Am 28. Mai 2008 wurdest Du zum Vorsitzenden der damaligen ‚Stiftung Ost-West-Begegnungsstätte Schloss Biesdorf‘ gewählt. Der Verein war von 2002 – 2007 Bauherr der denkmalgerechten Sanierung der Außenhülle des Erdgeschosses, des Turms und des Portikus. Schon 2005 hatte das Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf unserem Verein das Mandat zur Wiederherstellung des Obergeschosses und der Grundsanierung von Sockel‐ und Erdgeschoss des Schlosses erteilt. Im Zuge der Gewinnung notwendiger Fördermittel wurde Ende 2008 beschlossen, das Schloss künftig als Bildergalerie zu nutzen.
Deine Vision vom wieder aufgebauten Schloss Biesdorf wurde Leitlinie deines Handelns als Vorstandsvorsitzender: Im Schloss werden in einer Galerie die Kunstwerke aus dem Kunstarchiv Beeskow an einem attraktiven Standort und mit modernen Mitteln der Kommunikation einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Berlin erhält eine neue, innovative und touristisch attraktive Stätte für Kunst und Kultur. Hier werden auch Werke von Otto Nagel Platz finden.
Das denkmalgeschützte Ensemble Schloss und Park Biesdorf wird im Osten Berlins seine volle Schönheit entfalten, das in der näheren und ferneren Umgebung seinesgleichen sucht. Die Raumstruktur und Ausstattung der Galerie wird auch künftig vielfältige Veranstaltungen nicht nur ermöglichen, wie sie Bürger Biesdorfs und die Besucher aus nah und fern heute kennen, sondern auch erforderlich machen.
Als 2010 der Bezirk die Verantwortung für den Wiederaufbau des Schlosses übernahm, musste der Verein eine neue Rolle bei der Verwirklichung der Vision finden. Du hast sie in einer aktiven Öffentlichkeitsarbeit gesehen, um Kenntnisse zur Geschichte des Denkmalensembles zu vermitteln, die Sanierung nachvollziehbar zu machen und Perspektiven für die künftige Entwicklung und Nutzung aufzuzeigen.
Wir haben Führungen zum Tag der Gärten und Parks und zum Tag des offenen Denkmals angeboten. Du hast damals wie heute Vorträge an diesem Tag gehalten. Ende 2008 erschien der erste Band einer Schriftenreihe zur Geschichte von Schloss und Park, das Vorwort stammte von dir. Solche Publikationen als Form der Öffentlichkeitsarbeit lagen und liegen dir immer sehr am Herzen.
Du hast großartige Unterstützung von Oleg Peters bekommen, der Leben und Werk von Heino Schmieden erforscht und beschrieben hat. Daraus ist ein dickes Buch entstanden.
Tatkräftige Hilfe erfuhrst du auch von Frank Holzmann, der die Tagebücher des Wilhelm von Siemens besser als jeder andere kennt und mit seinem Verein BALL e.V. die praktische öffentliche Nutzung des Schlosses vorgelebt hat. Frank war es 2012 gelungen, eine Ausstellung mit Werken von Otto Nagel ins Schloss zu holen, wobei die Akademie der Künste keine Einwände gegen die vorhandenen klimatischen Bedingungen hatte.
Und für unsere Homepage hattest du Axel Matthies an deiner Seite, der gestützt auf sein profundes Wissen über Kunst und gesellschaftliche Prozesse interessante Artikel über Ausstellungen im Schloss und anderswo, über Künstler und – entsprechend deinem immer wieder vorgetragenen Wunsch – über Vorträge veröffentlicht, die in unseren Veranstaltungen gehalten wurden.
Du hast ein Faible für Jubiläumsdaten in Lebensläufen von Menschen, die eng mit der Geschichte des Schlosses verbunden sind – Albert Brodersen, Wilhelm von Siemens, Heino Schmieden u. a. – und für Jahrestage von Ereignissen bei der Entstehung und Nutzung des Denkmalensembles. Daraus resultierten Vorschläge für Vortragsthemen z. B. in unserer Veranstaltungsreihe mit der Volkshochschule Marzahn-Hellersdorf, die es dank deiner Initiative seit 2011 gibt.
Gemeinsam mit Klaus Freier hast du unser Veranstaltungsformat „BIESDORFER BEGEGNUNG“ erfolgreich ausgestaltet: Die Liste der Gesprächspartner reicht von Klaus Lederer über Matthias Platzeck und Monika Grütters bis zu Wolfgang Berghofer.
In deine Amtszeit fällt 2018 die Veränderung unserer Satzung und die Umwandlung der Stiftung in den Verein „Freunde Schloss Biesdorf“, denn mit Wiedereröffnung des Schlosses waren die Ziele der Stiftung erfüllt.
Lieber Heiner, dieser kurze Rückblick zeigt, dass du deutliche Spuren im Leben unseres Vereins hinterlassen hast, für die wir dir sehr dankbar sind, und wir hoffen sehr, dass weitere hinzukommen. Ganz besondere Spuren sind auch deine literarischen Werke; so die Zueignung für das neue Schloss Biesdorf anlässlich der feierlichen Eröffnung am 9. September 2016. Deinem Beispiel folgend habe ich mich an einen Vierzeiler gewagt:
Dir, lieber Heiner, nochmals vielen Dank, für das Wirken an des Vorstand’s Spitze. Und bleib, wir sagen es ganz frei und frank, dem Vereine weiter eine Stütze!“
Langer und herzlicher Beifall der Mitglieder des Vereins und der Gäste drückte die Zustimmung zu Gernot Zellmers Worten aus.
Wir bedankten uns bei unserem Vorsitzenden mit Karten für die Semperoper, hier für eine Vorstellung „Die Liebe zu den drei Orangen“.
Anschließend wurde Gernot Zellmer als neuer Vorsitzender gewählt. Stellvertretende Vorsitzende sind Klaus Freier und Axel Matthies. Schatzmeisterin bleibt Marianne Schmidt ebenso wie Annette Nieczorawski und Ninon Suckow auch künftig Beisitzerinnen sind.
Schlussfoto mit Frau Scheel, Stadträtin Witt, Herrn Prof. Zellmer und Stadtrat Bley (v.l.)
Im Mai/Juni 2023 und im März dieses Jahres fanden zwei Ausstellungen zu Otto Nagel im Wedding und im Schloss Biesdorf statt. Initiator und Gestalter war der Leistungskurs Kunst erst der 11. Klassenstufe und nun der 12. Klassenstufe des Otto-Nagels-Gymnasiums unter Leitung der Kunstlehrerin Frau Wolfram-Gagel. Beide Ausstellungen, die sich verschiedenen Themen stellten, waren inhaltsreich und aussdrucksstark. Die öffentliche Anteilnahme im Wedding war eher gering, im Schloss Biesdorf dagegen stark, was sich auch im Gästebuch manifestierte.
Die Eröffnung der Ausstellung mit Werken Otto Nagels aus einer Privatsammlung am 17. Mai 2023 im Weddinger Kurt-Schumacher-Haus war eindrucksvoll verlaufen. Um die 60 Menschen, vor allem Schülerinnen und Schüler des Biesdorfer Otto-Nagel-Gymnasiums, gaben der Vernissage einen würdigen Rahmen. Joachim Günther, der Vorsitzende des gastgebenden Kulturforums Stadt Berlin der Sozialdemokratie e.V., und Nadja Schallenberg, eine Enkelin Otto Nagels, eröffneten mit prägnanten kurzen Redebeiträgen die Ausstellung. Sie sagten, sie seien sehr froh, dass Otto Nagel in seinen Wedding zurück kehre.
Joachim Günther und Nadja Schallenberg (re.)
Frau Wolfram-Gagel, die verantwortliche Lehrerin im Kunst-Leistungskurs, stellte das Projekt ihrer Schülerinnen „Lebenskreise – Otto Nagel“ vor. Aufgabe und Ziel war eine eingehende Auseinandersetzung mit den ausgestellten Werken Otto Nagels. Diese waren in Themen aufgeteilt, die als Lebenskreise bezeichnet wurden:
Nagel als Ehemann: Im Dialog mit Walli. Werk: Walli in der Waschküche, 1934
Nagel als Kurator in Saratow: Ein Dialog mit der Zeichnung. Werk: Gleisbau in Saratow, 1925
Nagel als Politiker in der DDR: Im Dialog mit der Zeichnung. Werk: Tagesordnung Volkskammer, 1950
Armut und Arbeitslosigkeit: Im Dialog mit der Grafik. Werk: Bettelleute, 1921
Der Hungerwinter in Berlin: Im Dialog mit Arbeitern. Werk: Passant im Regen an der Litfaßsäule, 1947
Armut und Hunger zur Zeit der Weimarer Republik: Im Dialog mit den Bettelnden in der Grafik. Werk: Städtisches Arbeitslosenzentrum im Wedding, 1926
Im Ergebnis, so erklärten die Schülerinnen, seien eigene Malereien und Grafiken sowie Podcasts entstanden, die einen fiktiven Austausch mit den Werken und den darin abgebildeten Menschen präsentieren. Die in den Podcasts erzählten Geschichten basierten sowohl auf einer Literatur- und Internetrecherche als auch auf Interviews mit Zeitzeugen und Zeitzeuginnen. Die Werke selbst hatten ansprechende Qualität, nicht wenige eine sehr gute.
Bilder zum Lebenskreis „Ehemann“
Am 6. März 2024 wurde dann im Heino-Schmieden-Saal des Schlosses Biesdorf die Ausstellung „Werte Weitergabe Solidarität“ des Leistungskurses Kunst der 12. Klassenstufe eröffnet. Mit kleineren Arbeiten Otto Nagels aus Privatbesitz hatten sich die Schülerinnen und Schüler auseinander gesetzt und sie insbesondere auf den Wert Solidarität hinterfragt. Dazu hatten sie intensiv recherchiert, ihre Familien und Freunde interviewt und ganz individuelle Grafiken, Malereien und Fotos geschaffen – etwa 30 Arbeiten. Die Vernissage war hervorragend organisiert und mit Leidenschaft durchgeführt.
Teil der Vernissage war ein fiktives Gespräch zwischen Otto Nagel und seiner Tochter Sibylle beim Malen dieses Bildes (Foto: ONG)
Ein Höhepunkt: gemeinsam sangen Schülerinnen des Leistungskurses Kunst und der Marzahner Kammerchor das Solidaritätslied von Brecht/Eisler. Ein Lied, das den Älteren sehr vertraut ist, aber nicht mehr zur aktuellen Lebenswelt gehört.
Vorwärts und nicht vergessen
und die Frage konkret gestellt
beim Hungern und beim Essen:
Wessen Morgen ist der Morgen?
Wessen Welt ist die Welt?
Ein Lied, das anrührte; man sah den Jungen und den Älteren die Emotion, vielleicht sogar aufgewühlte Stimmung an…
Die Schülerinnen und…
..und der Marzahner Kammerchor (beide Fotos: ONG)
Mit diesen beiden Ausstellungen brachte der Leistungskurs Kunst des Otto-Nagel-Gymnasiums ihren Namensgeber wieder in die Gegenwart – und dies in dem Bezirk, in dem der Maler und Grafiker seinen Lebensabend verbrachte und die Schülerinnen und Schüler ihre Schulausbildung gerade beenden.
Ein Bild, das heraus ragte: Liviana Marcusson – Verloren
Nagels Werte in seinen Arbeiten sind von hoher Aktualität – so zeigt sich die Solidarität in Nagels ausgestellten Grafiken in der Darstellung der Schwächsten der Gesellschaft. Ähnliche Motive fanden sich auch in den Arbeiten der Schülerinnen und Schüler wieder. Sie setzten Nagels Werke malerisch in Farbe um und entwickelten die Themen weiter, indem sie z.B. die Porträts eines Bettlers bzw. einer Prostituierten in eine moderne Stadtlandschaft einfügten.
Neben dem Schlüsselwert der Solidarität spielten die Werte Heimat, Freundschaft, Demokratie, Familie und Nachhaltigkeit eine bedeutende Rolle für den Kurs, diese setzten sie sowohl grafisch auch als malerisch in realistischer bis expressiver Manier um. Diese Arbeiten boten Anlass für den Austausch. In sehr persönlichen, offenen Interviews mit der Generation der Großeltern wurden Brücken zwischen den Generationen geschlagen. Ein Teil der Schülerarbeiten rief zur Solidarität auf für eine demokratische und nachhaltige Gesellschaft für alle Menschen. Die Arbeiten stehen für einen offenen und zugleich verbindenden Diskurs – für eine lebenswerte Welt. In Kunstgesprächen über die Arbeiten brachten die jungen Künstlerinnen und Künstler ihre Werte und ihre Anliegen an die Besucher weiter.
„Mit der Ausstellung wurde deutlich“, so Frau Wolfram-Gagel, „dass es wichtig ist, Verantwortung für das eigene Leben und somit für die Gesellschaft zu übernehmen. Unsere Schülerinnen und Schüler zeigten Verantwortung, indem sie in ihren Malereien und Grafiken ausdrucksstark darstellten, was ist – ganz wie ihr Namensgeber Otto Nagel vor einem Jahrhundert.“
Frau Wolfram-Gagel war Impulsgeberin und Partnerin der SchülerInnen
(Hier können Sie weitere Informationen zu den Ausstellungen abrufen.)
Eine Frage, die im Raum stehen bleibt: Was wird aus den vielen künstlerischen Arbeiten, aus den Interviews und Podcasts, die entstanden sind? Es steckt sehr viel Anstrengung und Aufwand in den beiden Ausstellungen. Es wäre schade, wenn alles nur im Archiv landete. Es gibt dazu Austausch und Überlegungen zwischen unserem Verein und dem Gymnasium. Für uns als „Freunde Schloss Biesdorf“ waren die beiden Ausstellungen eine große Freude. Otto Nagel, einer der großen realistischen Künstler aus Berlin, der Ehrenbürger seiner Stadt, muss in ihr kulturelles Gedächtnis zurück kehren. Berlin war die industrielle Hauptstadt Europas und Nagel einer ihrer großen Chronisten. Nagel hat die Kehrseite von Babylon Berlin, die tägliche harte Arbeit und den Kampf ums Überleben gezeigt. Diese Sicht aus der proletarischen Perspektive dürfen wir niemals vergessen. Sie gehört immer noch zur DNA Berlins.
Vielleicht lässt sich eine Anregung formulieren: Können nicht alle Absolventen des Otto-Nagel-Gymnasiums in den oberen Klassenstufen einen kleinen Lehrblock zu Otto Nagel absolvieren? So lässt sich am Ende der Schulbildung eine besondere Beziehung zum Namenspatron herstellen, die über die Erinnerung an die Schulzeit hinaus reicht und viele Ehemalige des ONG weiter vereint. Wir „Freunde Schloss Biesdorf“ könnten dazu einen eigenen Beitrag leisten.
Die Pflegearbeiten am Schlossteich im Frühjahr dieses Jahres zeitigten umgehend positive Folgen: ein Teichrallenpaar brütet, es waren (am 24. Mai) 7 Küken zu besichtigen. Über die Teichralle berichtet Wikipedia: „Die europäische Brutpopulation wird auf mindestens 900.000 Paare geschätzt. In den meisten Staaten Europas sind die Bestände stabil. In Deutschland wurden Bestandsrückgänge und Arealeinbußen festgestellt, so dass das Teichhuhn hier zurzeit (seit 2006) in der Vorwarnstufe der Roten Liste gefährdeter Arten geführt wird.“
Gezielte engagierte Maßnahmen haben die Qualität des Gewässers erheblich verbessert und die Teichralle zum Brüten motiviert. Hoffen wir, dass alle Küken durchkommen. Die Teichralle brütet meist zwei Mal – viel Glück.
Blick über den Schlossteich
Altvogel mit Küken (Foto: Ullrich Hieronymi)
Die Küken sind um den 22. Mai geschlüpft, hier etwa 10 Tage alt. (Foto: Ullrich Hieronymi)
Diesen Gastbeitrag stellte uns die Autorin Annette Voigt zur Verfügung. Er illustriert die Wege der Familie von Siemens in Deutschland. Anna Zanders ist eine Tochter Werner von Siemens‘ und eine Schwester Wilhelm von Siemens‘.
Albert Brodersen und Anna Zanders gestalteten von 1898 bis 1910 gemeinsam den Park Haus Lerbach in Bergisch Gladbach. Anna Zanders war zwar in der Großstadt Berlin aufgewachsen, liebte aber die Natur mehr als die Stadt. Die Neugestaltung des Parkgeländes lag ihr sehr am Herzen, sodass sie daran maßgeblich aktiv beteiligt war. Anna Zanders war passionierte Gärtnerin und stets sprach sie mit Wärme von ihrem Park. Im Park-Wald kannte sie jeden Baum, so berichteten ihre Gäste. Sie selbst pflanzte Bäume und verpflanzte aber auch große, ausgewachsene Bäume. „Die Axt ist das wichtigste Gerät des Gärtners“ oder „Man muss dicht pflanzen und dann durchforsten“, so soll sie sich öfters in punkto Parkpflege geäußert haben.
Schloss und Park Lerbach, Foto: Thomas Merkenich
Ihren straffen Arbeitsalltag begann sie morgens früh mit einem ausgedehnten Rundgang durch den Park. Danach tauschte sie sich regelmäßig sowohl mit ihren Gärtnern als auch mit ihrem Parkgestalter Albert Brodersen aus. Die erörterten Aufgaben hielt sie in Kladden fest. Eine Notiz von August 1930 lautet z. B.: „Östlich vom Gartenhaus eine Fliedergruppe gepflanzt, großen trockenen Nussbaum geschlagen, zwei neue Pflanzen rechts vom ‚Milchweg‘, im kleinen Waldstück Sträucher und Bäume geschlagen“ oder von Juli 1932: „Erdbeeren in den Sorten König Albert und Sankt Josef sind zu pflanzen“.
Nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes Richard 1906 tat ihr der Park und die Leitung des Gutes gemäß ihrer eigenen Aussage in dieser schweren Zeit gut und brachten ihr „wohltuende Ablenkung“. Um den Park-Umbau, der für sie zur Lebensaufgabe wurde, kümmerte sie sich nun alleine. Bis zu ihrem 81. Lebensjahr kurz vor ihrem Tod 1939, so berichtete ihre Schwester Hertha, war sie mit Verbesserungen in ihrem Park beschäftigt. Im Park halfen ihr eine Vielzahl an erfahrenen Gärtnern. Bis 1910 hatte sie den Gartengestalter Albert Brodersen an ihrer Seite, wobei Brodersen sich an den Grundsatz hielt, das Schöne mit dem Nützlichen zu verbinden. Dies kam Anna Zanders gelegen und gemeinsam legten sie den Nutzgarten, den Obst- und Gemüsegarten an, geometrisch und mit Natursteinmauern terrassiert. Die Terrassierung glich die bestehenden Höhenunterscheide in dieser Gartenpartie aus. Ab 1906 wuchsen hier viele verschiedene Apfel- und Birnbäume. Bei den Birnen wählte Anna Zanders gerne französische Sorten aus wie „Gute Luise“ (seit 1778 kultiviert) „Alexander Lucas“ (Züchtung von 1874) oder „Gräfin von Paris“ (1889 in einer französischen Gartenfachzeitschrift vorgestellt). Bei den Äpfeln bevorzugte sie regionale Sorten, u.a. „Boskop“, „Ontario“ (1922 von der „Deutschen Obstbau-Gesellschaft“ empfohlen), „Freiherr von Berlepsch“ und die „Rheinische Winterrambur“.
Anna Zanders 1906, Foto: Zanders-Stiftung
Anna Zanders war überzeugte Vegetarierin und versorgte sich mit frischem Gemüse und Obst aus ihrem hauseigenen Garten. Das Obst, neben Äpfeln und Birnen unter anderem Pflaumen, Reineclauden (spezielle, meist grüne Mirabellensorte), Pfirsiche und Kirschen verwendete man zum direkten Verzehr, Einmachen, Saften und Backen. In der Nähe des Gemüsebeets befanden sich die Kräuterbeete, die von hochstämmigen Beerensträuchern eingerahmt waren Es gab einen Walnussbaum in der Mitte eines kleinen Rondells und einen Maulbeerbaum am Eingang zum Wirtschaftsbereich, zu dem die Glas-Gewächshäuser für Wein, das Gärtnerhaus und der Geräteschuppen zählten. Im Gärtnerhaus wurden die Blumen für die Terrassenbeete gezogen und in der Arbeitshalle überwinterten die Kübelpflanzen. Der mächtige Ginko-Baum am Haupteingang in der Nähe des Turms stammt, so sagt man, von Albert Brodersen. Anna Zanders hatte oft Gäste in Haus Lerbach, die auch den Park schätzten. Ihr häufiger Gast Friedrich Paulsen mochte besonders die frühmorgendliche friedliche Stimmung im Park. Er schrieb in den 1930er Jahren u.a.: „Der Garten war 40 Jahre lang Gegenstand sorgsamer Pflege. Er lag in einem Tal, das ein nicht eben wasserreicher Bach durchzog, ein Teich war von jeher aufgestaut, einen zweiten hatte man im vergangenen Jahr auf einer feuchten und wenig ertragreichen Wiese angelegt“.
Bach im Park, Foto: Thomas Merkenich
Viele stellten und stellen sich die Frage, warum Anna Zanders ausgerechnet einen Landschaftsgärtner aus Berlin mit der Parkumgestaltung beauftragte, der nach ihren Worten „den Park sehr einfühlsam gestaltete“. Anna Zanders kannte Albert Brodersens deutschlandweiten guten Ruf. Zuerst begegnete sie Brodersen auf dem Berliner Gut Biesdorf ihres Bruders Wilhelm von Siemens. Wilhelm war 1888 mit seiner Familie nach Biesdorf gezogen, dessen Gutspark Albert Brodersen ebenfalls in einen englischen Landschaftsgarten umwandelte. Biesdorf befand sich da seit einem Jahr im Besitz der Familie von Siemens und war Mittelpunkt für gesellige Treffen, Gartengesellschaften und Familienfeiern, an denen auch Anna Zanders teilnahm. In einem Brief vom 24.05.1889 erwähnte ihre Schwester Herta Harries Anna eine solche Gartenfeier in Biesdorf, zu denen auch Albert Brodersen häufig eingeladen war. Am regelmäßig stattfindenden „Kreativen Netzwerk“, in dem es um die Belange der Gemeinde Biesdorf ging, nahmen sowohl Brodersen als auch Anna Zanders teil. Dies belegt eine der erhaltenen Teilnahmelisten.
Eine weitere Verbindung zu Haus Lerbach besteht darin, dass Brodersen mit Gabriel von Seidl, dem Architekten von Haus Lerbach, gut bekannt war. Ludwig Bopp, Seidels Bauleiter von Haus Lerbach, entwarf übrigens 1902 für Gut Biesdorf das Beamten-Wohnhaus mit sechs Mitarbeiterwohnungen und erbaute auf Empfehlung Anna Zanders 1904 das Obergärtnerhaus im Park von Biesdorf. Als Anna Zanders Albert Brodersen mit der Neugestaltung des Parkes Lerbach beauftragte, war der selbständiger Landschaftsgärtner. Seit 1894 betrieb er zusammen mit seinem Schwager Gustav Körner die Landschaftsgärtnerei seines Schiegervaters. Diese Landschaftsgärtnerei „Körner & Brodersen“ gestaltete seinerzeit über zwanzig Parkanlagen und Villengärten unter anderem im Rheinland, in Berlin, im heutigen Polen und am Wannsee, dort z. B. den Villenpark des Malers Max Liebermann. Alfred Lichtwerk, Direktor der Hamburger Kunsthalle, bemerkte Liebermann gegenüber, dass Brodersen „ein Landschaftsgestalter sei, dem es Spaß mache, Probleme zu wälzen und aus dem Zeichnen ins Bauen zu kommen“. Man schätzte also Albert Brodersen als sehr versierten Landschaftsgärtner, der sich im Gartenbau exzellent auskannte und der die bestehende Schönheit einer Landschaft dazu nutzte, diese in seinen Parkgestaltungen klar sichtbar zu machen.
Albert Brodersen, gemalt 1920 von Max Liebermann, Foto: wikimedia
Brodersen veröffentlichte im damals einflussreichen Magazin „Die Gartenkunst“ und vergrößerte somit sein Renommee. 1910 verfasste er hier einen Artikel zum Park Haus Lerbach. Diese von der Gartenfachwelt geschätzte Zeitschrift wurde seit 1899 von der Deutschen Gesellschaft für Gartenkunst und Landschaftskultur (DGGL) herausgegeben, die auch heute noch besteht. Brodersen beschrieb in diesem Artikel, dass im Lerbacher Park von 1898 -1910 immer wieder viel an Gehölzen und Pflanzen verändert wurde. Große Bodenmodellierungen waren erforderlich. Da die alte Burg am Weiher wenig Ausblick in die Umgebung des Parks bot, wurde diese daher in Form eines Landsitzes an anderer Stelle erhöht errichtet; „mit einer herrlichen Fernsicht“ wie Brodersen bemerkte. Pflanzungen umschlossen zur Zeit der Parkentstehung eine Wiese, und das Landhaus (später als Schloss bezeichnet) hatte gemäß Brodersen einen zentralen Einfluss auf die Umgebung der Landschaft. Brodersen beendete seinen Bericht wie folgt: „Bei der Betrachtung der Parkbilder wird erkannt werden, dass die gute Wirkung von Haus und Park erreicht wurde durch die sorgsame Rücksichtnahme auf vorhandene alte Bäume“. In seiner „Skizze zum Englischen Gärten“ (1899 ebenfalls im Magazin „Gartenkunst“ veröffentlicht) äußerte er sich sowohl zu englischen als auch zu deutschen Parks. Im Winter hielt er die englischen für „mannigfaltiger und freundlicher auf Grund der Anpflanzung vieler immergrüner Pflanzen“. Die deutschen Gartenkünstler kritisierte er, dass diese „zu einseitig in eine bestimmte Richtung, nur nach einer Schule“ agierten. In Deutschland, so Brodersen, würden zu wenig Gartenkünstler „Schule machen“, d.h. „solche Werke zu schaffen, denen man nacheifert“. Eine Schullandschaft war für Brodersen eine Musterlandschaft, „in dem alles harmonisch zusammenstimmt und deren Schönheitsgefühl stark entwickelt ist“. Brodersen lehnte Parkgestalter ab, die Pflanzen ohne Rücksicht auf die Umgebung anordneten und ohne die Gesamtwirkung eines Parks zu berücksichtigen.
Blick in den Park Lerbach, Foto: Thomas Merkenich
Brodersen stammte nicht wie viele seiner Gärtnerkollegen, z. B. Peter Lenné, aus einer Gärtnerdynastie. Er musste sich sein fundiertes Fachwissen erst an Hand vielschichtiger Ausbildungen erwerben. Er absolvierte unter anderen Ausbildungen am „Königlichen Pomologischen Institut in Proskau/Schlesien, in renommierten Gärtnereien wie in der „Eichbornschen Gärtnerei“ in Breslau, der „Dannemannschen Handelsgärtnerei“ in Görlitz, den Berliner Gärtnereien „August Borsig“ oder „Schütt“. 1884 bestand er sein Examen als Königlicher Obergärtner im Potsdamer Wildpark. Zahlreiche Studienreisen nach England, Italien, Frankreich, Wien, Moskau oder Budapest vervollständigten seine Qualifizierung als Landschaftsgärtner. Seine Bekanntheit, sein guter Ruf und seine Verdienste um den deutschen Gartenbau verhalfen ihm 1909 zum Titel als Königlicher Gartendirektor. 1910 berief man ihn zum städtischen Gartendirektor der Reichhauptstadt Berlin. Im Nachruf im Magazin „Die Gartenwelt“ (24.01.1930) zu seinem Tode 1930 lobte man ihn als Gartenkünstler „mit einem klaren Blick für die gegebene Schönheit eines Geländes und der wusste, diese mit einfachen Mitteln in geschicktester Weise zu nutzen und zu steigern.“ Der Verfasser dieses Nachrufes, Prof. Erwin Barth, als Berliner Gartendirektor Nachfolger von Albert Brodersen im Jahre 1925, würdigte ihn als einen Menschen mit einem großen Herzen, kinderlieb, humorvoll, hilfsbereit und als Familienmensch. Anna Zanders und Albert Brodersen verband in ihrer gemeinsamen Parkgestaltung die Liebe zum natürlich gestalteten Garten. Beide besaßen diesen Blick für die bestehende Landschaft. Sie schufen gemeinsam dieses grüne Refugium, den Park Haus Lerbach.
(Annette Voigt)
Anmerkung: Ausgangspunkt für den fruchtbaren Kontakt mit Frau Annette Voigt aus der nordrheinwestfälischen Stadt Bergisch-Gladbach waren die von Albert Brodersen gestalteten englischen Landschaftsgärten in Biesdorf und am Haus Lerbach in Bergisch-Gladbach. Als engagierte Kennerin der Gartenkunst – Frau Voigt ist u.a. regelmäßig als ehrenamtliche Helferin in den historischen Parks in Wörlitz und Branitz tätig – suchte sie vor etwa zwei Jahren den Kontakt zu unserem Verein. Die Geschichte des Parks Lerbach ist in vielem vergleichbar mit Biesdorf: Er war im Besitz von Anna Zanders, geb. Siemens (1858-1939), einer Schwester von Wilhelm von Siemens. Sie hat den Park bis zu ihrem Tod erhalten und entwickelt. Sein Schicksal wurde später ungewiss; 2021 erfolgte ein Besitzerwechsel. Anna Zanders hatte Brodersen in Berlin kennengelernt, so bei Treffen im Schloss Biesdorf, und für den Park Lerbach gewonnen. Wir konnten Frau Voigt unser Wissen über Brodersen und die Geschichte des Biesdorfer Gartendenkmals vermitteln. Wir unsererseits haben so interessante Details über Albert Brodersen und diesen anderen Ort der Siemens-Familie erfahren.
Am 16. Februar 2024 fand ein erstes Gespräch des Vereinsvorstandes mit Herrn Stefan Bley, dem seit der Wiederholungswahl des Berliner Abgeordnetenhauses verantwortlichen Stadtbezirksrat für Kultur in Marzahn-Hellersdorf statt. In einer persönlichen Führung durch Park und Schloss Biesdorf konnten wir sein Interesse an der Geschichte des Schlossensembles wecken und ihm die wichtigsten Ereignisse und Personen aus der über 150jährigen Geschichte dieses Kleinods der Berliner Architekturgeschichte nahebringen.
Bürgermeisterin Zivkovic und Bezirksstadtrat Bley mit unserem Vorstand im Schlosspark
Gleichzeitig konnten wir die Gelegenheit nutzen, Herrn Bley die umfangreichen Leistungen unseres Vereins (2001 als „Stiftung Ost-West-Begegnungsstätte Schloss Biesdorf“ gegründet) beim Wiederaufbau dieser Biesdorfer Sehenswürdigkeit nahe zu bringen. Anschließend war Zeit für ein Gespräch mit Herrn Bley und der Bezirksbürgermeisterin Frau Zivkovic. Die im Gespräch von Frau Scheel vorgetragene beeindruckende Bilanz der Entwicklung der Galerie im Schloss Biesdorf seit Übernahme in die kommunale Verantwortung zeigt die Möglichkeiten, die für den Bezirk Marzahn-Hellersdorf und darüber hinaus mit diesem neuen Ort der Kultur, Geschichte und Begegnung entstanden sind. Ausgehend von den viel beachteten Ausstellungen der Vergangenheit freuen wir uns auf das für 2025 angekündigte große Ausstellungsprojekt mit dem Kunstarchiv Beeskow.
Hinsichtlich der geplanten Klimatisierung der Ausstellungsräume im Schloss (als Voraussetzung zur Einhaltung der klimatechnischen Forderungen potentieller Leihgeber für empfindliche Kunstexponate) mussten wir leider zur Kenntnis nehmen, dass die Bemühungen, Fördermittel der Stiftung Klassenlotterie zu akquirieren, bisher ohne Erfolg geblieben sind. Herr Niemann hat in unserer Vorstandssitzung angeregt, dass unser Verein – gestützt auf seine Erfahrungen bei der Beantragung von Fördermitteln – hierbei Unterstützung anbietet.
Wir stehen hinter dem Anliegen der Galerieleitung, einen festen Ansprechpartner aus dem Bereich Facility Management genannt zu bekommen, der sie regelmäßig zu notwendigen baulichen und Instandhaltungsmaßnahmen berät. Bezüglich des Projektes „Instandsetzung der Fontäne im Parkteich und Reinigung des Gewässers“ hoffen wir, dass uns Frau Zivkovic – wie zugesagt – Erfreuliches zum Stand der Realisierung mitteilen kann.
Wir drücken auch die Daumen, dass die angedachte Wiederbelebung des Biesdorfer Blütenfestes Anfang Mai 2024 erfolgreich realisiert werden kann und haben unsere Unterstützung angeboten.
Erneut bekräftigten wir unsere im Gespräch vorgetragene Position, dass unter dem Punkt „Prominente, Bekannte und Künstler“ im Kurzporträt Marzahn-Hellersdorf auf der Webseite des Bezirks auch der Name des Berliner Ehrenbürgers Otto Nagel genannt werden sollte, der von 1951 bis 1967 in Biesdorf lebte und wirkte. Wir haben zum Ausdruck gebracht, dass wir uns über gemeinsame Aktivitäten mit dem Bezirk freuen würden (u.a. auch gegenüber dem Bezirk Mitte/Wedding, der Senatskulturverwaltung und der Akademie der Künste), um für den verdienten Künstler, Kulturpolitiker und Publizisten in seiner Vaterstadt Berlin wieder einen Ort zur dauerhaften öffentlichen Präsentation seiner Werke zu finden.
Wir konnten beim Gespräch das Ziel unseres Vereins erläutern, das 10jährige Jubiläum der denkmalgerechten Wiederherstellung des Schlosses Biesdorf 2026 und das 100jährige Jubiläum der Übernahme des Schlossensembles in kommunales Eigentum der Stadt Berlin im Jahre 2027 zu nutzen, um gemeinsam mit allen Beteiligten den Dokumentations- und Informationsstand zu Schloss und Park Biesdorf auf einen neuen Stand zu bringen.
In dem ersten Gespräch mit dem neuen verantwortlichen Bezirksstadtrat und der Bürgermeisterin konnten wir nach übereinstimmender Auffassung der teilnehmenden Vorstandsmitglieder ein hohes Interesse an der Weiterentwicklung des Denkmalensembles Schloss und Park Biesdorf feststellen. Dieses Interesse und die übermittelten Informationen seitens des Bezirksamtes lassen uns hoffen, dass in naher und ferner Zukunft weitere gemeinsame Projekte und Vorhaben umgesetzt werden können, um die Entwicklung von Schloss Biesdorf als Kultur- und Begegnungsort mit regionaler und überregionaler Strahlkraft weiter zu gestalten.
Wir möchten Sie auf eine Ausstellung im Schloss Biesdorf aufmerksam machen, die fünf KünstlerInnen mit Arbeiten zeigt, die im Kunstarchiv Beeskow (Museum Utopie und Alltag) deponiert sind. Die fünf sind: Linde Bischof, Volker Henze, Walter Herzog, Wolfgang Leber und Ursula Strozynski. Alle haben ihren Platz in der Kunstgeschichte der DDR.
Karte für die Ausstellung
Das Besondere an dieser Ausstellung, die im Erdgeschoss stattfindet ist, dass alle fünf in Gesprächen zum Thema „Einen Ausdruck finden für dieses Leben“ bereit gestanden haben. Format dafür sind die Berliner Zimmer des Stadtmuseums Berlins. Die Künstlerin Sonya Schönberger hat das Berliner Zimmer entwickelt: ein interaktives, seit 2018 fortlaufendes wachsendes Archiv aus Videointerviews mit Berliner*innen ganz unterschiedlicher Herkunft, Hintergründe und Generationen. Sie sprechen an von ihnen selbst gewählten Orten von ihrer Biografie und dem, was sie aktuell bewegt. Die Klammer ist die Stadt, in der sie leben. Leider ist von den fünf KünstlerInnen nur jeweils eine Grafik zu sehen. Kuratorin Dr. Angelika Weißbach begründet dies mit der Konzentration auf die Videoerzählungen. Zwei Grafiken seien gezeigt:
Im Rahmen unserer gemeinsam mit der VHS Marzahn-Hellersdorf organisierten Veranstaltungsreihe gab es am 17. Januar 2024 im restlos gefüllten Heino-Schmieden-Saal des Schlosses Biesdorf einen Vortrag zu diesem Thema. Die Spuren wurden in den „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ gesucht. Dieses in vier Bänden erschienene Werk hat Theodor Fontane (1819-1898) in den Jahren 1862 bis 1882 geschrieben. Die Spurensuche bezog sich auf die Gemeinden des 1815 gegründeten Landkreises Niederbarnim, die 1920 in Berlin eingemeindet wurden und überwiegend den damaligen Stadtbezirken Pankow, Weißensee, Prenzlauer Berg und Lichtenberg zugeordnet wurden. Der Vortragende Prof. Gernot Zellmer wollte die Frage beantworten, welche dieser Orte Fontane bei seinen Wanderungen besucht hat, was ihn an diesen Orten interessierte und was er Erinnerungswertes für die Nachwelt aufgeschrieben hat.
Prof. Gernot Zellmer sprach vor vollbesetztem Saal
Der Landkreis Niederbarnim war damals, wie die Reichshauptstadt Berlin, eine extrem dynamisch wachsende Region. Die industrielle Revolution war insbesondere seit der Reichsgründung auf einem Höhepunkt angelangt: die Produktion wuchs unaufhörlich und mit ihr die Suche nach Arbeitskräften. Mit speziellen Kärtchen wies Prof. Zellmer darauf hin, wie die von Fontane besuchten Orte expandierten.
Die Frage, wann und warum Fontane die Orte im Niederbarnim besuchte, lässt sich für sechs Dörfer leicht beantworten, denn Fontane hatte ihnen in seinem Werk einen speziellen Aufsatz gewidmet. Sehr ausführlich hat er über seine Besuche (1862 und 1870) in Friedrichsfelde (das bis 1699 noch Rosenfelde hieß) berichtet, das für ihn als „Charlottenburg des Ostens“ gelten durfte. Fontane schreibt – vor 1700 beginnend – über die Besitzer des Gutes, über die in diesen Jahren erfolgten Umgestaltungen des 1719 erbauten Schlosses und des Parks. Detailliert schildert er die Innenausstattung des Schlosses zum Zeitpunkt seiner Besuche, die zum großen Teil auch heute noch zu bewundern ist.
Das Schloss Friedrichsfelde in einer Darstellung aus dem Jahre 1828
Anlass für die Fahrt nach Malchow im Jahre 1878 war die Aussage in einem Essay über den brandenburgisch-preußischen Staatsmann Paul von Fuchs (1640 – 1704), dass dieser in der Gruft zu Malchow beigesetzt wurde. Fontane gesteht, dass dieser Hinweis eine „Malchow-Sehnsucht“ in ihm weckte. Er beschreibt zunächst den Reiseweg: Omnibusfahrt bis zum Alexanderplatz, Pferdebahn bis Weißensee und dann per pedes nach Malchow. (Ein anschauliches Beispiel, wie Fontane zu seinen Wanderzielen gelangte, wobei er auch mit der Postkutsche, dem Schiff und später der Eisenbahn unterwegs war.) Zu seinem Bedauern war die Gruft zugeschüttet, aber mit Hilfe des Pfarrers Albert Hosemann (1840 – 1906), der ab 1885 Superintendent in Biesdorf war, erhält er anhand des Kirchenbuches und des Taufregisters einen Einblick in die Lebensumstände des Paul von Fuchs. Eine Berliner Ehrentafel am ehemaligen Gutshaus erinnert noch an dessen Besitzer. Die Kirche wurde 1945 von der Waffen-SS gesprengt und später nicht wieder aufgebaut.
Gedenktafel in Malchow
Im Juni 1860 wandert Fontane mit seinem Verleger Wilhelm Hertz nach Buch, das 15 Kilometer entfernt liegt. Er beschreibt den Park und das Schloss, dessen große Einfachheit er hervorhebt: „Das Haus gleicht einem einfachen altmodischen Kleid, aber der Park, der es einfasst, ist ein reicher Mantel, der die Frage nach dem Schnitt des Kleides verstummen lässt.“ Neben der Kirche interessiert ihn insbesondere die Gruft, deren Besichtigung er zum Anlass nimmt, um über die märkischen Adelsfamilien zu erzählen, die über fünf Jahrhunderte die Entwicklung des Dorfes Buch geprägt haben. Das Schloss wurde 1964 abgerissen, während die Kirche Anfang der 1950er Jahre rekonstruiert wurde (allerdings ohne den Turm, dessen Wiederaufbau gegenwärtig im Gange ist). Im wunderschönen Park gibt es seit 2023 wieder das von Fontane beschriebene Grabmal für Julie von Voß (1766-1789) zu sehen, das 1956 mutwillig zerstört wurde.
Grabmal Julie von Voß
Nach Falkenberg reiste Fontane, um in der Leichenhalle der Dorfkirche die Särge der Eltern des Bruderpaares Wilhelm und Alexander von Humboldt zu besichtigen. Auch diese Kirche wurde 1945 von der Waffen-SS gesprengt. Eine 1969 errichtete Gedenkmauer erinnert an die Familiengruft der von Humboldts.
In seinem Aufsatz über den Müggelsee, den er 1860/61 mehrmals aufsuchte, erwähnt Fontane auch das aus wendischen Zeiten stammende Rahnsdorf. Viele Jahre später erschien ein Aufsatz mit dem Titel „Rahnsdorf“, in dem er feststellt, dass „Rahnsdorf … seiner schönen Lage halber, immer eine Anziehungskraft für die Residenzler (hatte), die hier, in einer zerstreuten Villenkolonie, die heiße Jahreszeit zuzubringen liebten.“ Fontane erzählt dann im Weiteren allerdings die Geschichte des Fähnrichs Alexander Andersen, der unter dem Vorwurf der Spionage 1870 von einem französischen Kriegsgericht zum Tode verurteilt worden war.
Blick auf Rahnsdorf, vorn die historische Ruderfähre
Auslöser für Fontanes Reise 1860 nach Blankenfelde war die Beschreibung der dortigen Kirche in einer Chronik aus dem Jahre 1707, die Joachim Ernst von Grumbkow (1637 – 1690) als Erbbegräbnis seiner Familie ausgewählt hatte. Aus der Beschriftung des Grabsteins, den er neben der zugeschütteten Gruft entdeckte, zieht Fontane den richtigen Schluss, dass von Grumbkow woanders beerdigt sein muss. Der Grabstein ist heute an der Nordseite der Kirche angebracht. An dem von Grumbkow finanzierten Anbau der Kirche findet man noch eine Sandsteinplatte mit dem Familienwappen aus jener Zeit.
Auf der weiteren Spurensuche findet man dann Orte, über die Fontane berichtet, ohne ihnen einen speziellen Aufsatz zu widmen. In seinem Essay über den Müggelsee stellt er auch das Dorf Friedrichshagen vor. Er berichtet dann allerdings ausführlich nur über die Müggelbaude, ein Gasthaus am anderen Ufer der Spree. (Seit 1872 stand an dieser Stelle das „Müggelschlößchen“, das im April 1945 zerbombt wurde.) Der große märkische Dichter schreibt: „Die Spree, sobald sie sich angesichts der Müggelberge befindet, bildet ein weites Wasserbecken: den Müggelsee, der mit zu den größten und schönsten unter den märkischen Seen zählt.“ Und weiter: „Am Müggelsee selber, den nichts wie Sandstreifen und ansteigende Fichtenwaldungen einfassen, erhebt sich ein einziges Haus: die Müggelbude. Auf einer vorspringenden Sanddüne gelegen, die sich vom Westufer aus in die Müggel hinein erstreckt, ist sie der geeignetste Punkt, um den See und seine Ufer zu überblicken; ist Leuchtturm, Fischerwohnung und Fährhaus zugleich, aber vor allem ist sie doch Gasthaus.“
Das historische Müggelschlößchen zur Kaiserzeit
Julie von Voß, über die Fontane im Aufsatz „Buch“ erzählt, hat viele Jahre im Schloss Niederschönhausen verbracht. In den „Wanderungen“ gibt es zahlreiche Hinweise auf diese königliche Residenz, aber keine detaillierte Beschreibung.
Ebenfalls im Aufsatz „Buch“ beschreibt Fontane in einer Fußnote Stücke der Ausstattung der Dorfkirche in Hohenschönhausen (heutige Taborkirche), die nur noch in geringem Maße erhalten sind.
Mehrfach verweist Fontane in den „Wanderungen“ auf den Turm der Kirche zu Stralau, den er als „malerische Feinheit Schinkels“ beschreibt. Untersuchungen im Jahre 1886 ergaben allerdings, dass der Turm kein Werk von Schinkel, sondern von Langerhans ist. Friedrich Wilhelm Langerhans war seit 1805 Baustadtrat in Berlin und spezialisiert auf die Rekonstruktion von Kirchenbauten.
Spuren führen auch nach Französisch Buchholz, Pankow und Weißensee, die Fontane als Zwischenstationen auf seinen Wander- und Reisewegen benennt.
Die Dörfer Blankenburg, Karow, Marzahn und Wartenberg verdanken zum Beispiel ihre Erwähnung in den „Wanderungen“ dem Umstand, dass sie im wechselnden Besitz märkischer Adelsfamilien waren, von denen Fontane erzählt. Biesdorf und Lichtenberg werden von Fontane als Ausflugsziele der Herren von Schloss Friedrichsfelde genannt.
1883 – nach der Vollendung der „Wanderungen“ – trug sich Fontane mit dem Gedanken, ein vierbändiges Werk „Geschichten aus Mark Brandenburg“ zu schreiben. Bei den vielfältigen Überlegungen zum möglichen Inhalt spielten auch Kirchen- und Kirchhofsdenkmäler in den märkischen Dörfern eine Rolle. Auf diese Weise hätten neben den schon genannten niederbarnimschen Dörfern auch Spuren nach Heinersdorf, Kaulsdorf und Rosenthal geführt. Aber durch die 1878 begonnene Arbeit an seinem erzählerischen Werk (über 20 Romane) hatte Fontane keine Zeit, seine Brandenburger Geschichten zu vollenden.
Anlässlich des Tages des Ehrenamtes werden in unserem Bezirk seit 2003 Menschen geehrt, die sich langjährig, kompetent und mit großem persönlichen Engagement um Sachverhalte und Dinge kümmern, für die im Alltag der Ämter und Verwaltungen oft kein Platz oder keine Zeit ist, ohne die aber ein vielfältiges gesellschaftliches Leben nicht denkbar ist.
In diesem Jahr wurde am 1. Dezember auch unser langjähriger stellvertretender Vorstandsvorsitzender Dr. Klaus Freier mit dem Ehrenamtspreis der BVV Marzahn-Hellersdorf ausgezeichnet. Und wie bei den vielen anderen Ausgezeichneten gab es auch bei ihm gute Gründe für diese Ehrung.
Dr. Klaus Freier bei der Auszeichnung
Dr. Klaus Freier prägt unseren Verein „Freunde Schloss Biesdorf“ durch die Organisation von Führungen durch das Schlossensemble und die Gestaltung des Veranstaltungsformats „Biesdorfer Begegnung“. 2019 koordinierte er maßgeblich unser gemeinsames Projekt „Initiativkreis Otto Nagel 125“, das mit vielen Partnern das Ziel verfolgt, den Berliner Ehrenbürger und großen Künstler Otto Nagel wieder in das Gedächtnis der Berliner zurück zu holen. Mit seiner wesentlichen Initiative und unter seiner Federführung entstand das in diesem Jahr erschienene Buch „Otto Nagel (1894 – 1967) – Maler Publizist Kulturpolitiker“.
Die Feier im Talcenter Marzahn klang bei vielen guten Gesprächen und einem sehr ansprechenden Musikprogramm angenehm aus. Wir wünschen Klaus weiterhin viel Kraft und ein glückliches Händchen bei unseren kommenden Projekten.
Einen außergewöhnlichen Abend in einem besonderen Ambiente gab es am 17. November 2023 im Schloss Biesdorf. Der langjährige stellvertretende Vorsitzende des Vereins „Freunde Schloss Biesdorf“, Gernot Zellmer, war anlässlich seines 80. Geburtstages von seinem Verein „Freunde Schloss Biesdorf“ zu einer „Biesdorfer Begegnung“ eingeladen worden.
Die Familie, Freunde, viele ehemalige Kollegen und Mitstreiter sowie Vereinsmitglieder waren der Einladung gefolgt und feierten gemeinsam mit dem Jubilar. Nachdem Professor Zellmer seinen „Weg nach Biesdorf“ humorvoll und mit vielen Episoden und Dokumenten gespickt vorgetragen hatte, würdigte unser Verein sein Vorstandsmitglied mit einer Ballade, die weiter unten nachzulesen ist. Zum Schluss des Vortrages wurde Herr Zellmer zum „echten Biesdorfer“ ernannt und ein entsprechender Pokal überreicht.
Von seinen ehemaligen Kollegen und Mitstreitern der Hochschule für Ökonomie wurde Prof. Zellmer anschließend hochnotpeinlichst zu seinem fachlichen und ehrenamtlichen Lebenslauf befragt. Mit seinen Antworten auf die im Rahmen einer „Promotion C“ gestellten Fragen wies er mit viel Humor Lebenserfahrung, Klugheit und immer wieder großem Einsatz für die von ihm bearbeiteten Themen und Aufgaben die gebotene Sachkunde und Erfahrung nach – die „Promotion“ wurde ihm zu Recht mit dem Prädikat „summa cum laude“ zuerkannt.
Freunde und Familienmitglieder gratulierten Gernot Zellmer in sehr herzlichen und berührenden Worten und betonten vor allem, dass er neben seiner großen beruflichen Belastung immer Zeit für Familie, Freunde und Geselligkeit hatte – als Familienmensch, Sportler, DJ, Skatspieler, Büttenredner… Zum Abschluss des Abends gab es die Möglichkeit, dem Jubilar persönlich zu gratulieren und mit den anderen Teilnehmern ins Gespräch zu kommen. Und sicher wurden dabei auch Themen und Projekte besprochen, in die sich Gernot Zellmer mit seiner Erfahrung, seiner Tatkraft und seinem Engagement weiterhin einbringen wird – im Verein und anderswo…. Herzlichen Dank, lieber Gernot – und weiterhin alles Gute für Dich und Deine Familie.
Fotos von der Begegnung
Eingangsvortrag des Jubilars
Vortrag der optimistischen Ballade durch ein Vorstandsquartett
Am Beginn der Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung von Marzahn-Hellersdorf am 21. September 2023 übergab, verbunden mit einer kleinen Ansprache an die Bezirksverordneten, der Vereinsvorsitzende Dr. Heinrich Niemann dem Vorsteher der BVV, Herrn Stefan Buck (CDU), ein Exemplar unserer Publikation „Otto Nagel (1894 – 1967) Maler – Publizist – Kulturpolitiker“. Otto Nagel, der Maler des Berliner Proletariats und des „alten“ Berlin und Berliner Ehrenbürger, lebte von 1951 bis zu seinem Tode 1967 in der heutigen Otto-Nagel-Straße in Biesdorf. Das Buch entstand aus einer Idee des 2019 zu seinem 125. Geburtstag gebildeten „Initiativkreis Otto Nagel 125“ und vereint Texte aus dessen Arbeit. Es kommen 13 Autoren zu Wort, darunter aus unserem Bezirk und aus dem Geburtsort Otto Nagels, dem Berliner Wedding. Eine Schülerin schildert die beeindruckende Arbeit des Biesdorfer „Otto-Nagel-Gymnasiums“ mit ihrem Namenspatron. Der Sohn der Haushälterin des Künstlers erinnert sich an die würdige Strenge des „Professors“. Dr. Niemann erinnerte an die Aufgabe, in Berlin wieder einen Ort zu finden, wo die Werke Otto Nagels ständig zu sehen sind. Begrenzte Ausstellungen sind kein Ersatz. Er würdigte den Beitrag der Vereinsmitglieder Prof. Gernot Zellmer, Dr. Klaus Freier und Axel Matthies zum Entstehen des Buches und wünschte, daß das Buch helfen möge, in unserem Bezirk die Erinnerung an Otto Nagel wach zu halten.
BVV-Vorsteher Stefan Buck (li.) und Dr. Heinrich Niemann
Der schon länger in unserer Reihe mit der Volkshochschule geplante Vortrag am 31. Mai 2023 hatte auch einen aktuellen Bezugspunkt. In den ersten Maitagen war gerade als Teil des seit einigen Jahren geplanten neuen Wegeleitsystems im Schlosspark Biesdorf auch eine kleine Metalltafel in der Nähe der drei jungen Birken installiert worden. Sie erinnert nun endlich die Besucher neben dem 2021 gelegten Stein an den sowjetischen Militärfriedhof, der von 1945 bis zu seiner Umbettung 1957/58 in der südlichen Hälfte des Schlossparks bestand. Auf insgesamt vier Grabfeldern für Offiziere, Soldaten, Zivilpersonen und Kinder waren bis 1955 mehr als 450 Menschen bestattet worden. Neben Gefallenen der letzten Kämpfe in Berlin sind es nach dem Ende des Krieges verstorbene Soldaten und Zivilpersonen der sowjetischen Militärgarnison in Berlin. Die Beerdigten kamen aus acht Sowjetrepubliken, vier autonomen Republiken und vier selbständigen Gebieten.
Tafel mit Birke im Schlosspark
Nachdem am 21. April 1945 die Rote Armee in Marzahn die Grenze Berlins erreicht hatte, waren in den letzten Kriegstagen in den Grenzen der Stadt noch etwa 20.000 sowjetische Soldaten gefallen. An ungezählten Orten wurden diese Toten auf sogenannten Notfriedhöfen (d.h. außerhalb von regulären Friedhöfen) bestattet. Allein im heutigen Bezirk Marzahn‐Hellersdorf gab es neben dem Schlosspark Biesdorf (46 Gräber), dem als Lazarett genutzten Krankenhaus Wuhlgarten (134) oder dem stillgelegten Friedhof in der Kaulsdorfer Brodauer Straße (185) noch etwa zehn weitere solche Bestattungsorte, die später aufgelöst wurden. So wurden die Gräber an dem 1946 gebauten Obelisken an der Brodauer Straße 1948 zum Ehrenmal im Treptower Park verlegt. Im Vortrag konnten namentliche Beispiele von gefallenen Offizieren genannt werden, die schon im Mai 1945 im Schlosspark Biesdorf beerdigt wurden.
Den Schlosspark Biesdorf als Friedhof für die Sowjetische Armee, insbesondere für die 295. Schützendivision, auszugestalten, war Gegenstand verschiedener Befehle der Sowjetischen Militärverwaltung in Deutschland, so die Befehle 184 von 1945 und 582 von 1946. In einem gut dokumentierten, zum Teil sehr heftigen Briefwechsel sowjetischer Kommandeure mit den deutschen Dienststellen im damaligen Bezirksamt Lichtenberg über die verzögerte bauliche Einrichtung ist nachzulesen, wie wichtig und auch anspruchsvoll die Einrichtung dieses Friedhofs im Schlosspark Biesdorf für die sowjetische Seite wurde (vgl. auch die Beiträge von Lutz Heuer oder Oleg Peters in den Publikationen unseres Vereins sowie von Rolf Semmelmann im „Lesebuch Marzahn‐Hellersdorf“). So erfolgte im Auftrag der SMAD seit 1946 nach Plänen des Architekten und Mitarbeiters beim Bauamt des Magistrats Hassenteufel schrittweise die Instandsetzung des brandzerstörten Gebäudes des Schlosses Biesdorf (wahrscheinlich Brandstiftung der Nazis am 21. April 1945). Das Obergeschoss wurde abgetragen und eine stabile Zwischendecke eingezogen, eine Feierhalle und Verwaltungsräume eingerichtet. Um den südlichen Teil des Parks wurde eine Klinkermauer gezogen. Zeitweilig war auch die Rede von der Errichtung eines Ehrenmals im Schlosspark.
Das Bezirksamt in Lichtenberg (immer wieder wird Johannes Mielenz als Leiter des damaligen Garten‐ und Friedhofsamtes genannt) wollte den Park Schritt für Schritt zu einem Volkspark gestalten. Dazu zählt die 1955/56 errichtete Freilichtbühne mit etwa 2000 Plätzen. 1956 kam es zu einem Treffen in der sowjetischen Kommandantur in Karlshorst mit Vertretern des Bezirksamts Lichtenberg. Es wurde Konsens erzielt, im nördlichen Bereich des Friedhofs in Marzahn am Wiesenburger Weg (Parkfriedhof) einen sowjetischen Ehrenhain und Friedhof zu bauen und die Gräber aus Biesdorf umzubetten. So entstand der einzige ausländische Gefallenenfriedhof in Berlin, der nach deutschen Entwürfen (Bildhauer Erwin Kobbert) gestaltet wurde. Am 7. November 1958 konnte dieser neue Friedhof eröffnet und damit der südliche Teil des Schlossparks Biesdorf wieder Erholungszwecken zugeführt werden. In einem Protokoll von 1992 der zuständigen Berliner Senatsverwaltung und der sowjetischen Garnison von Berlin zum Friedhof Berlin‐Marzahn, Wiesenburger Weg, zu dem eine Liste der bestatteten Menschen gehört, wird vermerkt: „Im Jahre 1957 wurden auf den Friedhof 486 Menschen, die im Zeitraum von 1945 bis 1957 gefallen und gestorben sind, vom sowjetischen Militärfriedhof Berlin‐Biesdorf umgebettet.“
Gräber der Roten Armee auf dem Parkfriedhof Marzahn
Wie wichtig und aktuell für das Schlossensemble die Erinnerung an diesen Zeitabschnitt ist, sprach Dr. Heinrich Niemann am Ende seines Vortrags an. So bleibt das Gedenken in unserem Bezirk an die Befreiung Deutschlands vom Faschismus lebendig und die Aufgabe, den Krieg als Mittel der Politik zu ächten und zu verhindern. In diesem Fall trug darüber hinaus der zeitweilige Friedhof entscheidend zum Erhalt dieses historischen Ortes bei. Sonst wäre wohl das brandzerstörte Schloss Biesdorf unmittelbar nach dem Krieg nicht erhalten geblieben. Mit seinem noch intakten „provisorischen“ Dach konnte es fast 70 Jahre später in seiner historischen Gestalt wieder aufgebaut werden. Auch der kostbare Altbaumbestand des Parks aus der Entstehungszeit blieb durch die geschützte Friedhofnutzung weitgehend erhalten.
Nachbemerkung: Auch auf der Informationstafel vor dem Schlosseingang sollte nun an den Friedhof erinnert werden. Der Erinnerungsstein mit seiner Inschrift, dessen Beschmutzung inzwischen von Bürgern beseitigt wurde, bedarf einer baldigen Instandsetzung. Dr. Lutz Prieß stellte wertvolle historische Quellen zu Verfügung.
Die Eröffnung der Ausstellung mit Werken Otto Nagels aus einer Privatsammlung am 17. Mai 2023 im Weddinger Kurt-Schumacher-Haus ist wunderbar verlaufen. Um die 60 Menschen, vor allem Schülerinnen und Schüler des Biesdorfer Otto-Nagel-Gymnasiums, gaben der Vernissage einen würdigen Rahmen.
Joachim Günther, der Vorsitzende des gastgebenden Kulturforums Stadt Berlin der Sozialdemokratie e.V. und Nadja Schallenberg, eine Enkelin Otto Nagels, eröffneten mit prägnanten kurzen Redebeiträgen die Ausstellung. Sie seien sehr froh, dass Otto Nagel in seinen Wedding zurück kehre.
Joachim Günther und Nadja Schallenberg (re.)
Anschließend brachten zwei Schülerinnen und zwei Schüler mit Songs von Bertolt Brecht und Kurt Weill den Zeitgeist der 1920er Jahre in die Ausstellung. Das war eine sehr gut einstudierte Performance, die viel Beifall bekam.
Musikalische Performance 1920er Jahre
Sodann stellte Frau Wolfram-Gagel, die verantwortliche Lehrerin im Kunst-Leistungskurs (11. Klassenstufe), das Projekt ihrer Schülerinnen vor. Aufgabe und Ziel war eine eingehende Auseinandersetzung mit den ausgestellten Werken Otto Nagels. Diese waren in Themen aufgeteilt, die als Lebenskreise bezeichnet wurden:
Nagel als Ehemann: Im Dialog mit Walli. Werk: Walli in der Waschküche, 1934
Nagel als Kurator in Saratow: Ein Dialog mit der Zeichnung. Werk: Gleisbau in Saratow, 1925
Nagel als Politiker in der DDR: Im Dialog mit der Zeichnung. Werk: Tagesordnung Volkskammer, 1950
Armut und Arbeitslosigkeit: Im Dialog mit der Grafik. Werk: Bettelleute, 1921
Der Hungerwinter in Berlin: Im Dialog mit Arbeitern. Werk: Passant im Regen an der Litfaßsäule, 1947
Armut und Hunger zur Zeit der Weimarer Republik: Im Dialog mit den Bettelnden in der Grafik. Werk: Städtisches Arbeitslosenzentrum im Wedding, 1926
Im Ergebnis, so erklären die Schülerinnen, seien eigene Malereien und Grafiken sowie Podcasts entstanden, die einen fiktiven Austausch mit den Werken und den darin abgebildeten Menschen präsentieren. Die in den Podcasts erzählten Geschichten basierten sowohl auf einer Literatur- und Internetrecherche als auch auf Interviews mit Zeitzeugen und Zeitzeuginnen. Hierkönnen Sie die Podcasts hören.
Als Beispiel sei hier die Hängung zum Lebenskreis “ Nagel als Ehemann: Im Dialog mit Walli“ gezeigt:
Zum Verständnis die dazugehörige Karte (der Lebenskreis trägt eine andere Bezeichnung)
Unter den Gemälden und Zeichnungen der Schülerinnen war wirklich eine Menge an guter Qualität zu besichtigen. Mir sprang eine Zeichnung von Carla ins Auge, die eine Straßenszene zeigt. Die Zeichnung hat eine expressionistische Note und besticht durch eine sehr gute Komposition und gedimmte Farbigkeit, die den Blick klar über das Kunstwerk führt. Man blickt auf eine komplexe Arbeit, die dennoch Details inkludiert. Respekt.
Straßenszene von Carla
Zum Abschluss überreichte Frau Wolfram-Gagel ihren Schülerinnen eine Rose. Der Abend klang bei vielen Gesprächen aus. Er war eine gelungene Symbiose von Heimkehr in den Wedding des Künstlers Otto Nagel und tiefgreifender Beschäftigung seines Werks durch Schülerinnen des Biesdorfer Gymnasiums.
Die Schülerinnen mit Rose, links Frau Wolfram-Gagel
Die Ausstellung ist noch bis zum 14. Juni im Wedding zu sehen. Es ist vereinbart, dass die Ausstellung im Frühjahr 2024 im Schloss Biesdorf präsentiert wird. Dann mit weiteren Arbeiten des jetzigen Kunst-Leistungskurses in der 12. Klassenstufe.
Am 24. Mai 2023 wurde innerhalb der Ausstellung „Lebenskreise – Otto Nagel. Nagels Werk aus der Sicht von Schülerinnen und Schülern“ in der Galerie Kurt-Schumacher-Haus in der Weddinger Müllerstraße 163 die Publikation
Otto Nagel (1894 – 1967). Maler – Publizist – Kulturpolitiker
vorgestellt. Herausgeber ist unser Verein „Freunde Schloss Biesdorf“. Im Vorwort des neuen Buches heißt es u.a.:
Die hier versammelten Autorinnen und Autoren eint nicht nur ihre Beziehung zu Otto Nagel als Maler, der auf ganz eigene Weise mit seinen Menschenbildern die Lebenslage des Proletariats besonders in den 1920er Jahren festgehalten und mit seinen Ansichten das „alte“ Berlin festhielt, auch mit der Vorahnung seiner Zerstörung. Sie führte auch das Motiv zusammen, die anderen Seiten des Lebens von Otto Nagel genauer zu beleuchten. Seine andauernde Tätigkeit als Publizist, politischer Netzwerker und Kulturorganisator in der Weimarer Republik und in kulturpolitischen Funktionen der jungen DDR, so als Präsident der neu gegründeten Akademie der Künste, macht sein Leben so besonders…
Dem Aufspüren, Nachgehen und Aufschreiben vor allem dieser Lebensphasen dienen die vorliegenden Texte. Unausbleibliche Wertungen aus dem geschichtlichen Nachhinein erfolgen mit Sorgfalt und Respekt vor dem Lebenswerk Otto Nagels. Dabei festigten sich die Kontakte und Bindungen zwischen den Akteuren der wichtigen Lebensorte Otto Nagels in Berlin: dem Wedding und Biesdorf.
Die Schutzgebühr für den Band beträgt 8,00 Euro. Er ist erhältlich bei der Buchhandlung Kohs am S Kaulsdorf, im Café Schloss Biesdorf, voraussichtlich bei Thalia im Eastgate, im Bezirksmuseum Marzahn-Hellersdorf im Dorf Marzahn und auch über den Verlag Walter Frey. Über weitere Vertriebswege informieren wir Sie demnächst.
Wie einer Pressemitteilungdes Bezirksamtes Marzahn-Hellersdorf vom 3. Mai 2023 zu entnehmen ist, wurde bereits im Jahre 2013 begonnen, eine Ausschilderung des Schlossparks Biesdorf vorzubereiten. Im November 2020 fand ein Gespräch von zwei Mitgliedern unseres Vereins Freunde Schloss Biesdorf e.V. mit dem Leiter des Fachbereichs Grün im Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf von Berlin zum Thema Beschilderungskonzept für den Schlosspark Biesdorf statt. Das dezente Design war schon erarbeitet. Wir befürworteten den Ansatz, an allen Zugängen des Parks Übersichtspläne aufzustellen und an sinnvollen Stellen Wegweiser im Park zu installieren. Außerdem sollte als Außenwerbung ein von den Straßen aus gut sichtbares Willkommensschild an der Ecke Alt-Biesdorf/Blumberger Damm hinter der Parkmauer aufgestellt werden.
Wir nahmen gerne das Angebot zu einem Ortstermin im Park an, bei dem die konkreten Aufstellorte und deren Beschriftungen festzulegen waren. Diese Begehung fand auf Einladung des Bauleiters Landschaftsbau des Bezirksamtes zusammen mit der Gruppenleiterin der Unteren Denkmalschutzbehörde und der Firma eckedesign im November 2021 statt. Die Vertreterin der Firma eckedesign protokollierte die gemeinsam abgestimmten Aufstellpunkte für Übersichtspläne und Wegweiser und deren Ausrichtung. In den folgenden Wochen bis Anfang 2022 fand ein reger Mail-Austausch zu den Inhalten der Wegweiser und deren Optimierung statt.
Wir konnten durch unsere Ortskenntnis für die Aktualisierung des Wegeplans sorgen (eine im Plan noch enthaltene alte Wegverbindung gab es schon seit einiger Zeit nicht mehr und an den Neubauten neben der westlichen Parkgrenze war inzwischen der Kleine Parkweg entstanden).
Nach längerem Warten ist
nun in den letzten Apriltagen 2023 das Leitsystem verwirklicht worden. An allen
fünf Zugängen befinden sich die Übersichtspläne. Die Wegweiser sind gut zu
erkennen, fügen sich in den Park ein und werden hoffentlich ausreichend
Orientierung für die Besucher sowohl zu den interessanten Punkten des Parks als
auch zurück zu den Ausgängen und Verkehrsanbindungen (S- und U-Bahn, Bus) bieten.
Übersichtsschild an einem Eingang
Neu wurde eine sehr informative Hinweistafel in der Nähe der Anfang Mai 2020 gepflanzten drei Birken aufgestellt, die an den einstigen sowjetischen Friedhof erinnern.
In Berlins historischer Mitte ist in den letzten Jahren viel gegraben und vermessen worden. Es gibt Debatten über die Gestaltung des ehemaligen Molkenmarktes, neu gebaute Häuser verbuchen für sich, über dem ehemaligen Cöllnischen Fischmarkt oder dem Petriplatz zu residieren. Fast alle lebenden Menschen kennen die historische Mitte nur von Fotos; ihnen fehlt in der Regel die Vorstellungskraft für diese versunkene Welt. Als Ende der 1960er Jahre die Bausubstanz des Fischerkietzes abgetragen wurde, war Berlin als mittelalterliche Doppelstadt praktisch unhistorisch geworden. Heutige Debatten sind geprägt vom Willen, die alte Stadt ein wenig sichtbarer werden zu lassen.
Am 2. April ging im Museum Eberswalde eine Ausstellung mit Berlin-Bildern von Otto Nagel zu Ende, die auch an die alte Mitte erinnert. Sie trug den Titel „Otto Nagel – Menschensucher und Sozialist“ und zielte vor allem auf geschärfte biografische Details, die sich aus einer gesicherten Quellenlage im Archiv der Akademie der Künste ergaben. Ich nehme drei Werke des Künstlers zum Anlass, um die historischen Lokationen zu erkunden.
Ausgewählt habe ich:
Hauseingänge in der Friedrichsgracht II, 1965
Blick auf das Gasthaus „Nussbaum“, um 1954
Am Köllnischen Fischmarkt, 1965
Hauseingänge in der Friedrichsgracht II, 1965
Als im Jahre 2019, anläßlich des 125. Geburtstages seines Namensgebers, das Otto-Nagel-Gymnasium die Pastellzeichnung „Hauseingänge in der Friedrichsgracht II“ erwarb, bewegte mich die Frage, ob die originale Lokation noch rekonstruierbar sei und ob das Internet eine entsprechende Recherche hergäbe.
Das gerade erworbene Pastell
In der Erinnerung war mir der historische Fischerkiez präsent. Mein Vater hatte mich um 1960 ein oder zwei Mal dort nach der Maidemonstration hingeführt. Das Viertel erschien mir schäbig und ungemütlich. Die Häuser waren verfallen und nicht selten blickten trübe Gestalten aus den Fenstern. Ich wollte nur schnell weg. Mein Vater stammte vom Gesundbrunnen, er war dem Weddinger Otto Nagel nahe und kannte alle Bildmotive, die der Maler dort gefertigt hatte. Bald wurde der Fischerkiez endgültig abgerissen und Hochhäuser an seine Stelle gesetzt. Die Zeitungen feierten die Veränderungen. Mir war durch eine Kommilitonin der Komfort der Hochhäuser bekannt. Ich konnte mich für die Bilder Otto Nagels und die Welt dahinter nicht begeistern.
Nun, Jahrzehnte später, erinnerte ich mich wehmütig. Um so größer wurde der Wunsch, Dinge zu entschlüsseln, sie zurück zu holen, die leichter zu haben gewesen wären.
Otto Nagels Pastellbild „Hauseingänge in der Friedrichsgracht II“ zeigt zwei Hauseingänge, beide mit Doppeltüren und Oberlicht ausgestattet. Zu beiden führen zwei steinerne Stufen. Die linke Tür ist rotbraun gestrichen, die rechte grün. Zu erkennen sind außerdem zwei Zugänge in das Souterrain und ein Kellerfenster.
Gibt es Bilder von Nagel, die diese Motive in breiterer Perspektive zeigen? Natürlich. Zuerst wäre da das Titelbild auf dem Band „Berliner Bilder“: das Panorama der Fischerinsel.
Das Panorama-Bild der vorderen Friedrichsgracht (Abb.: Henschelverlag)
Vorne ist ein Kanal zu sehen und hinter den verschachtelten kleinen Häusern ragen die Türme der Nikolaikirche und das Rote Rathaus hervor. Finden sich hier die beobachteten zwei Hauseingänge? Wenn man das Panorama genau betrachtet, stehen in der Bildmitte sogar vier Häuser mit Doppeltüren und Oberlicht. Die Häuser stehen relativ nahe zum Mühlendamm, also am Anfang der historischen Friedrichsgracht. Die Inselbrücke ist nicht zu sehen, aber sie muss nah sein. Otto Nagel hatte für die Skizzierung des Panoramas das Gewerkschaftshaus in der Wallstraße genutzt. Das Haus lag genau gegenüber und war der ideale Aussichtspunkt. Das Gewerkschaftshaus war Anfang der 1920er Jahre von dem Architektenbüro Max Taut und Franz Hoffmann entworfen und 1932 von Walter Würzbach erweitert worden.
Nagels Motto als Künstler war stets: zeigen, was ist! Man kann also davon ausgehen, dass alles, was Nagel zeichnet oder malt, auch existiert. Bald fand ich im Netz noch ein weiteres Bild dieses Teils der Friedrichsgracht. Es ist ein Gemälde von Anna Gumlich-Kempf aus dem Jahre 1910. Bei ihr gibt es noch keine grüne Tür.
Anna Gumlich-Kempf, Friedrichsgracht. Um 1910
Wie nun weiter mit der Feststellung der Doppeltüren? Das Beste wäre, nach historischen Fotos zu suchen, die die Friedrichsgracht zeigen. Davon gibt es im Netz viele Angebote. So bietet etwa die Homepage „Historischer Hafen Berlin“ reichlich Anschauungsmaterial. Bald fand ich Fotos mit den Häusern und lernte, dass diese Häuser, es sind vier, aus der Zeit des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg stammen: sie wurden in der Periode nach Ende des 30jährigen Krieges 1648 und bis zum Tod des Kurfürsten 1688 errichtet.
Die Häuser aus der Zeit des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg
Nun kann man auch die gesamte Häuserzeile zwischen Inselbrücke und Fischerstraße identifizieren: Es sind die Adressen Friedrichsgracht 1 bis 11. Das war offensichtlich Otto Nagels Lieblingsplatz, denn hier ist das Foto mit ihm als Künstler im Fischerkiez entstanden. Er sitzt hier vor den Kurfürstenhäusern, wie diese umgangssprachlich genannt wurden.
Otto Nagel vor den Häusern mit Doppeltür
Die weitere Recherche wird nun einfacher. Am Ende erkennt der Suchende, dass das Pastell „Hauseingänge in der Friedrichsgracht“ die Hauseingänge der historischen Adresse Friedrichsgracht 8 und 9 abbildet.
Die Häuser Friedrichsgracht 9 (li.) und Friedrichsgracht 8 in der Fotografie
Die gleichen Häuser auf dem Pastell Otto Nagels aus dem Jahre 1965
Abschließend ein Vergleich der Zeile Friedrichsgracht 1 bis 11 im frühen 20. Jahrhundert und heute.
Die vordere Friedrichsgracht bis zur Fischerstraße um 1910
Der gleiche Abschnitt heute. Die Fläche wird genutzt vom STZ Kreativhaus
Blick auf das Gasthaus „Nussbaum“, um 1954
Die Gaststätte „Nussbaum“ ist heute bekannt als Nachbau im Nikolaiviertel. Das Nikolaiviertel bildet im Wesentlichen Alt-Berlin ab. In Wirklichkeit lag der „Nussbaum“ in Alt-Cölln in der Fischerstraße, also auf der südwestlichen Spreeseite, etwa 800 Meter entfernt. Die Fischerstraße gibt es heute nicht mehr. Sie lag aber gleich um die Ecke, wie der Berliner sagt, von den gerade besprochenen Kurfürstenhäusern. Sie ging von der Friedrichsgracht ab.
Friedrichsgracht, Ecke Fischerstraße. Rechts die Kurfürstenhäuser, vorn das Eckhaus, das die Bezeichnung Fischerstraße 20 trägt.
Direkt neben dem Eckhaus schließt sich die Adresse Fischerstraße 21 an.
Fischerstraße 21
Der „Nussbaum“ war die Lieblingskneipe von Heinrich Zille und er wird einige Male mit Otto Nagel den Staub der Straßen hier herunter gespült haben. Zille arbeitete 15 Jahre am Dönhoffplatz als Lithograph und lief nach der Arbeit oft durch den Fischerkietz. In den 1920er Jahren, in denen Zille und Nagel befreundet waren, war Pinselheinrich allerdings schon recht krank, der Arzt hatte ihm zum Alkoholverzicht geraten. Dennoch wurde der „Nussbaum“ auch für Otto Nagel, wie für viele Berlin-Maler, ein besonderes Motiv. Das hier gezeigte Pastell stammt nach Einschätzung des Archivs der Akademie der Künste aus dem Jahre 1954. Das Gasthaus wurde bereits 1943 bei schweren Bombenangriffen zerstört, wie auch ein Teil der vorderen Friedrichsgracht. Da auch das Werk Otto Nagels zu drei Viertel dem Bombenfeuer zum Opfer fiel, hat er wohl das Haus aus der Erinnerung erneut gezeichnet.
Otto Nagel, Blick auf das Gasthaus „Nussbaum“. Um 1954 (Abb. AdK)
Abschließend die Erinnerung eines Berliners aus dem Jahre 1925: „Wir biegen in die Fischerstraße und sind wie in einer Stadt für sich. Das war hier einmal die älteste Straße des Fischerdorfes Cölln, und sie hat sich bis zum heutigen Tage von ihrer Eigenart manches bewahrt. Da steht gleich ein kostbares Häuschen, das »Gasthaus zum Nußbaum«, spitzgieblig über die Maßen, von seinem Nußbaum halb verdeckt; der Kellerhals im Innern zeigt die Jahreszahl 1571.“ (Zitiert nach: Adolf Heilborn, Die Reise nach Berlin. Berlin 1925)
Der „Nussbaum“ ist heute fester Bestandteil jedes Touristenbesuches im Nikolaiviertel.
Am Köllnischen Fischmarkt, 1965
Dieses Pastell erscheint vielen Betrachtern als vollbrachte Geschichte: der Köllnische Fischmarkt ist nicht mehr und kaum jemand weiß, wo er sich befand. Die frontal abgebildeten vier schmalen Häuser werden irgendwo gestanden haben, die auf der rechten Bildseite erkennbaren Bauarbeiten lassen darauf schließen, dass sie keine längere Lebensperspektive hatten. Und doch ist das Gegenteil der Fall.
Die stadtgeschichtliche Aufarbeitung gerade dieses Pastells ist hochinteressant. Es zeigt die Perspektive zwischen Breite Straße und Gertraudenbrücke entlang der Gertraudenstraße und endet bei den Häusern, die, ich nehme es vorweg, an der Kleinen Gertraudenstraße stehen. Die Strecke ist durch den Krieg völlig leer geräumt, sie war vorher prall überbaut.
Otto Nagel, Am Köllnischen Fischmarkt. 1965 (Abb. AdK)
Um diese historische Perspektive nachvollziehen zu können, ist ein Blick auf den historischen Stadtplan unersetzlich.
Ausschnitt aus dem Berlin-Plan des Straube-Verlages von 1910
Der Köllnische Fischmarkt schloss sich unmittelbar dem Mühlendamm an. Weiter westlich, auf der anderen Seite der Breite Straße, erhob sich das Cöllnische Rathaus. An ihm vorbei führte dann die Gertraudenstraße Richtung Gertraudenbrücke.
Der Cöllnische Fischmarkt mit dem Cöllnischen Rathaus. Im Hintergrund die barocke Petrikirche. Gouache von Johann Georg Rosenberg, 1784.
Der gleiche Ort im Jahre 1880, nun mit der neugotischen Petrikirche
Man sieht dem Foto an, dass das Rathaus seinen Charme verloren hatte. Seine eigentliche Funktion hatte es niemals angenommen, es wurde lange Zeit als Gymnasium und zuletzt als Museum genutzt. Im Jahr 1899/1900 wurde das Cöllnische Rathaus abgerissen.
Wenn man aber die Gertraudenstraße von der anderen Seite, vom Spittelmarkt aus, betrachtete, entstand sofort ein anderer Eindruck.
Blick vom Spittelmarkt in die Gertraudenstraße (li.) Richtung Petrikirche und Fischmarkt
Der Architekturhistoriker Prof. Dr. Harald Bodenschatz hat den Wert der Gertraudenstraße im späten 19. Jahrhundert so eingeschätzt: „Der Spittelmarkt diente als Sammelpunkt des Verkehrs vor dessen Eintritt in die Altstadt und vermittelte zugleich den Schwenk des Hauptstraßenzuges nach Nordost. Nach Passieren der Gertraudenbrücke erreichte man bald den Petriplatz, das Herz des mittelalterlichen Cölln, mit der die Bürgerhäuser überragenden Petrikirche. Kurz darauf folgte der Köllnische Fischmarkt mit dem alten, 1899 abgebrochenen Rathaus von Cölln. Der Fischmarkt schließlich mündete in das Nadelöhr des Mühlendamms, der zum Molkenmarkt auf der Berliner Seite der Spree führte. Wie bei keinem zweiten Straßenzug der Altstadt entfaltete diese Folge von unregelmäßigen Stadträumen das für eine lebendige Stadt typische Ineinandergreifen von Passage und Halte-Plätzen. Hier war ‚Haus für Haus ein Laden zu finden‘, hier erhob sich eines der größten Einkaufszentren Berlins, das 1839 gegründete Kaufhaus Hertzog.“ (s. Homepage Harald Bodenschatz: Berlin – Auf der Suche nach dem verlorenen Zentrum)
Berlin hatte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts rasant entwickelt. Die Industrialisierung hatte die Stadt mit Urgewalt ergriffen und einen riesigen Bedarf an Arbeitskräften erzeugt. Das hatte Auswirkungen auf den Stadtverkehr. Der Mühlendamm war zum Nadelöhr geworden. In einer Verkehrszählung von 1891 zählte man in 16 Stunden mehr als 60.000 Wagen aller Art und über 40.000 Passanten. Deshalb begann ein umfangreiches Abrissprogramm, in dessen Ergebnis die Brücke erweitert wurde. Aber bereits 1930 veröffentlichte die Bauverwaltung des Magistrats eine Denkschrift, die für einen neuerlichen Umbau des Mühlendamms eine Gesamtbreite von 37 Metern vorsah. Diese Planung wurde dann 1968 realisiert. So war Otto Nagels alte Stadt weit vor dem 2. Weltkrieg als Hindernis für die moderne Stadt taxiert worden.
Nach Ende des 2. Weltkrieges war die Gegend nicht wiederzuerkennen. Zwar war eine gewisse Bausubstanz erhalten geblieben, aber das städtische Leben war aus der Altstadt gewichen. Die systematischen Bombardierungen und die letzten Kämpfe um Berlin hatten die Stadt hilflos hinterlassen. Die Gegend um den Petriplatz sah um 1954 einfach leer aus.
Die Petrikirche vom Spittelmarkt aus gesehen
Schließlich wurden große Teile der alten Stadt abgetragen, um auf ihren Fundamenten ein modern konzipiertes Wohngebiet mit der notwendigen sozialen Infrastruktur zu errichten. Heute wird auf das verantwortungslose und unhistorische Agieren der DDR-Regierung verwiesen. Sie hätte den historischen Kern Berlins zerstört und die Gertraudenstraße zu einer seelenlosen Betonstraße funktioniert. Nach dem Krieg ging es überall in Deutschland darum, schnell neue Wohnungen zu schaffen und ein Alltagsleben wieder herzustellen. Wer die Stadtautobahnen in Westberlin kennt, darf sich die Frage stellen, ob Mühlendamm und Gertraudenstraße unter anderer Besatzung nicht Kern einer verbindenden Autobahn zwischen City Ost und West geworden wären. Für den heutigen Autoverkehr reicht die Kapazität des Mühlendamms gerade aus, in der Rush Hour ist die Strecke überlastet. Nicht zu vergessen: die Substanz von Alt-Berlin und Alt-Cölln war bereits vor dem Krieg seit Jahrzehnten derart verschlissen, dass eine Instandsetzung einer grundsätzlichen Sanierung gleichgekommen wäre. Dafür waren weder Zeit noch Ressourcen vorhanden.
Die Gertraudenstraße nach Neubeplanung und Umbau
Es wäre allerdings möglich gewesen, mehr erhaltenswerte und sogar denkmalgeschützte Einzelgebäude zu restaurieren und in die neuen Stadtlandschaften einzubetten.
Zurück zu unserem Ursprung – dem Pastell „Am Köllnischen Fischmarkt“ von Otto Nagel. Vor wenigen Wochen stieß ich bei meinen Recherchen auf ein Foto in der Märkischen Oderzeitung.
Archäologische Führung am Petriplatz in Berlin-Mitte. Archäologin Claudia Melisch zeigt die freigelegten Fundamente der Petri-Kirche (Foto: moz.de)
Ich war wie vom Blitz getroffen: das ist genau derselbe Blick, den Nagel 1965 auf diese Häuser hatte. Diesmal allerdings im Jahre 2019. Die Archäologin Claudia Melisch hatte mit ihrem Team den ehemaligen Petriplatz erforscht. Sie war dabei, als 3000 Gräber des Petri-Kirchhofs entdeckt wurden. Anhand der über 800 Jahre alten Skelette forschte sie gemeinsam mit Charité-Wissenschaftlern nach den Ureinwohnern der Doppelstadt. „Anhand der Knochen kann man etwas über die Lebensbedingungen und die Herkunft der Menschen erfahren“, erklärte Melisch damals. Weil die 40 ältesten männlichen Toten nicht miteinander verwandt waren, gehe man davon aus, dass die Gegend nicht mit Familien besiedelt wurde. Die Menschen, die sich vor mehr als 800 Jahren auf dem Handelsweg zwischen Magdeburg und Frankfurt (Oder) an der Spree niederließen, stammten ähnlich wie heute aus verschiedenen Gegenden. (s. moz.de vom 15.5.2019)
So sind über den Umweg der archäologischen Erforschung des Petriplatzes und der Neubebauung der Strecke zwischen Breite Straße und Jungfernbrücke die Lokationen des Pastells „Am Köllnischen Fischmarkt“ auf neue Weise deutlich geworden. Die Spuren Alt-Berlins sind weitgehend, aber nicht völlig verwischt. Der Senat von Berlin will daher in geeigneter Weise zur Wiedererkennung beitragen. Zum Petriplatz schreibt er in einem Plaungsdokument: „Städtebauliches Ziel ist es, die besondere Bedeutung dieses Ortes unter Einbeziehung archäologischer Spuren wieder erlebbar zu machen. Der Petriplatz soll in historischer Kontur, aber zeitgemäßer Gestaltung neu entstehen.“ (s. Petriplatz/Breite Straße bei www.stadtentwicklung.berlin.de) Am Ort der früheren Petrikirche ist ein interkonfessionelles Bet- und Lehrhaus – nunmehr House of One – geplant. Der Platz wird umgeben sein mit einer urbanen Mischung aus Wohnungen, Läden, Gaststätten und Büros sowie einem archäologischen Besucherzentrum.
Das House of One entsteht nach Plänen des Berliner Architekturbüros Kuehn Malevizzi. Beim Bau soll große Rücksicht auf die archäologischen Überreste der einstigen Petrikirchen genommen werden. Im Untergeschoss wird eine acht Meter hohe Halle die Überreste der historischen Gebäude angemessen präsentieren.
Ob dieser produktive Ansatz realistisch ist, nämlich die alte Stadt in der neuen wieder zu erkennen, wird beim Besuch der Lokationen als Problem offenbar. Das Cöllnische Rathaus soll seine Kubator im Hotel Capri spiegeln. Dies ist an der Kreuzung Gertraudenstraße/Breite Straße einfach nicht erkennbar. Der ehemalige Cöllnische Fischmarkt ist eine banale Anhäufung von Straßenverkehr. Die umstehenden Gebäude sind mit den üblichen Betonfassaden verhüllt und schüchtern ein oder stoßen ab.
Hotel Capri als nachgebildete Kubator des Cöllnischen Rathauses? Die gesamte überbaute Fläche bietet keinen menschlichen Zugang.
Kommen wir zum Schluss auf den Punkt und entschlüsseln die vier Häuser an der Kleinen Gertraudenstraße.
Die Häuser an der Kleinen Gertraudenstraße unlängst…
Links das Geschäftshaus Gertraudenstraße 10-12, auch bekannt als Juwel-Palais. Es wurde 1897-98 von Georg Roensch und Max Jacob als Pfeilerbau mit Sandsteinfassade in gotisierenden Formen errichtet. Die Sichtbeziehung zur Petrikirche hat vermutlich bei der Wahl des gotischen Stils eine Rolle gespielt. Das Haus hatte nur leichte Kriegsschäden und wurde nach dem Krieg als Bürohaus genutzt. Dieses eindrucksvolle Gebäude ist das letzte erhaltene von vielen hochkarätigen Geschäftshäusern entlang der Gertraudenstraße, die den Krieg nicht überstanden haben. Aus jüngerer Zeit ist es bekannt durch das Geschäft Hochzeitsausstatter.
Mittig das Wohnhaus Kleine Gertraudenstraße 3/4. Es wurde um 1862 errichtet, Bauherr war Carl Eduard Achilles, ein umtriebiger Unternehmer. Das Haus dient heute als Hotel.
Schließlich auf der rechten Seite das Wohnhaus Scharrenstraße 17 aus dem Jahre 1780. Das Landesdenkmal beschreibt diesen Komplex:
Das erhaltene Ensemble historischer Bauten an der Gertraudenstraße 10-12 umfasst einen Baublock südwestlich des ehemaligen Standorts der Petrikirche und das Pfarrhaus von St. Petri an der Friedrichsgracht, darüber hinaus die alte Gertraudenbrücke, die noch den ursprünglichen Verlauf der Gertraudenstraße markiert. Der Wohn- und Geschäftshauskomplex zwischen Scharren-, Gertrauden- und Kleiner Gertraudenstraße sowie Friedrichsgracht besteht aus drei Gebäuden, die im 18. und 19. Jahrhundert erbaut und 1975 als „Traditionsinsel“ saniert worden sind. Im Inneren sind die Wohnhäuser komplett umgebaut, an den Fassaden wurden sie zum Teil frei rekonstruiert. Trotzdem vermitteln sie auf dem Gebiet des historischen Zentrum Köllns noch ein Bild von der ehemaligen kleinteiligen Bebauungsstruktur.
Nun wird die Häuserzeile aus historischen Berliner Zeiten gnadenlos abgedrängt zu Gunsten einer konfektionierten Architektur, die die Hauptstadt massenhaft überschwemmt.
So wird nach den Plänen des Stadtentwicklungssenats der einstige Petriplatz einmal aussehen: links das Archäologische Zentrum mit Anbau, rechts das House of One, dazwischen ein Aufenthaltsraum mit Baum.
Die alte Stadt Otto Nagels erscheint nun als unendliche, zubetonierte Trostlosigkeit. Eine Wiedererkennung des historischen Petriplatzes will sich nicht einstellen. Er ist nun eingeklemmt zwischen House of One und Scharrenstraße und umfasst 823 qm. Otto Nagel sind diese Peinlichkeiten erspart geblieben. Seine Phantasie wäre überfordert worden.
Der am meisten reale und menschliche Ort am Petriplatz ist: das „Café am Petriplatz“. Es öffnet trotz ungemütlicher Umstände und lässt sich in den sozialen Medien von seinen Gästen loben.