Neues Leben auf dem Rittergut – mit historischem Respekt

 

Unlängst hatte das Mitglied des Abgeordnetenhauses Frau Regina Kittler in ihrem Wahlkreis zu einem Spaziergang zum ehemaligen Rittergut zwischen B 1 und Weißenhöher Straße geladen, um interessierte Biesdorfer Bürgerinnen und Bürger über die künftigen Bauarbeiten der STADT UND LAND Wohnbauten GmbH zu informieren. Dafür war der Geschäftsführer Herr Ingo Malter persönlich erschienen. Wenige Tage später gab es noch einen Besuch im ehemaligen Kuhstall. 

Malter erinnerte, dass der historische Gutshof Biesdorf im 19. Jahrhundert in Form eines großen Vierseithofes errichtet wurde. Die 3 denkmalgeschützten Gebäude Kuhstall, Speicher und Pferdestall werden saniert, ein Nutzungskonzept ist in Arbeit. Sie werden jedoch aus den Kosten des Projektes herausgenommen, um dieses nicht zu belasten.

Mitte 2016 geht es mit den Wohnbauarbeiten los: die Hochbaumaßnahmen für rund 500 Mietwohnungen mit einer Wohnfläche von 26.800 qm für eine generationenübergreifende Bewohner­schaft auf dem Gut Alt-Biesdorf beginnen. Rund 30 Prozent der Wohnungen werden gefördert errichtet, woraus sich dann eine anfängliche Nettokaltmiete von 6,50 Euro pro Quadratmeter ergibt. Malter rechnet damit, dass die Hälfte der künftigen Mieter Senioren sein werden, die überwiegend altersbedingt ihre Grundstücke in der Umgebung aufgeben. Um Lärmbelastungen durch die B 1 zu reduzieren, wird die Bebauung zur Straße hin eine kompakte sein; dort werden vorwiegend Funktionsräume der Wohnungen eingeordnet. Die Häuser werden überwiegend dreigeschossig gebaut. Die ersten Wohnungen sollen Mitte 2017 fertig werden. Die Baumaßnahmen werden sich allerdings bis zum Jahr 2019 hin erstrecken. Südlich der Weißenhöher Straße schließt sich das NCC-Baufeld „Biesdorfer Stadtgärten“ an. Mit der Schließung dieser Brachen wird Alt-Biesdorf erheblich aufgewertet. Unlängst hat NCC Modellfotos veröffentlicht.

ncc biesdorfer stadtgärten

(Foto: NCC)

 

Die neuen Wohnungen werden gebraucht, denn nach verschiedenen Studien und nach Schätzungen von Wirtschaftsstadtrat Christian Gräff könnte Marzahn-Hellersdorf in den nächsten 15 Jahren um rund 22.000 Einwohner wachsen. Diese Prognose sorgte dafür, dass der lange darnieder liegende Geschosswohnungsbau am Stadtrand aus dem Dornröschenschlaf erwacht. Wurden noch bis 2014 gerade einmal zehn Prozent der Genehmigungen für mehrgeschossige Wohngebäude erteilt, so liegt dieser Anteil inzwischen bei rund 50 Prozent. Das individuelle Eigenheim steht nicht mehr so unangefochten im Vordergrund.

Für diesen Paradigmenwechsel gibt es vor allem einen Grund: Die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften haben den Stadtrand als Ort für neue Projekte wiederentdeckt. Ein Beispiel dafür ist das Vorhaben der STADT UND LAND am Gut Biesdorf. Wichtig: wertvolle Blickbeziehungen zu Schloss und Park Biesdorf bleiben erhalten. Die geplanten neuen, qualitativ hochwertigen Mietwohnungen sollen einen wesentlichen Beitrag zur Deckung des steigenden Wohnungsbedarfs leisten, gleichzeitig die Urbanität und Zentralität der Ortslage stärken. Hier eine Planzeichnung des Quartiers.

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Die Sichtachsen sind erkennbar        (Abb.: Holzwarth)

 

Aus der Ausschreibung der STADT UND LAND gehen wichtige Details des aktuellen Zustandes des ehemaligen Rittergutes hervor. Wir zitieren hier Kernsätze:

  • Das Gewerbe-Gelände mit seinen 16 Gebäuden gehört zum Denkmalensemble Alt-Biesdorf, wobei es sich bei den Häusern ehemaliger Pferdestall (Haus 4021), ehemaliger Speicher (Haus 4020) und ehemaliger Kuhstall (Haus 4012) um Baudenkmale handelt. Im Vorfeld einer Neubebauung soll das Grundstück für eine Neubebauung und für Instandsetzungsmaßnahmen an den Baudenkmälern verwendbar gemacht werden. Im Teil 1 sollen 7 Häuser und kleinere bauliche Anlagen im südlichen Grundstücksbereich, an der Weißenhöher Straße, abgebrochen und die anfallenden Baustoffe aus der abzubrechenden Bausubstanz entsorgt werden. Die Gebäude wurden ursprünglich als Büro-, Lager- und Werkstatträume genutzt. Sie sind eingeschossig und nicht unterkellert.
  • Schadstoffbelastete Baustoffe: Abbruch asbesthaltiger Baustoffe gem. TRGS 519 und Entsorgung nach AVV 170605*: Menge 520 t Abbruch FCKW-haltiger Dämmung gem. TRGS 524 und Entsorgung nach AVV 170603*: Menge 25 t Abbruch alte Mineralwolle gem. TRGS 521 und Entsorgung nach AVV 170603*: Menge 150 t Abbruch kohleteerhaltiger Stoffe gem. TRGS 551 und Entsorgung nach AVV 170603*: Menge 12 t 3) Abbruch nicht schadstoffbelasteter Bauteile: Abbruch mineralischer Baustoffe aus Wänden, Decken, Böden, Schornsteinen und Entsorgung nach AVV 17 01 01, 17 01 02, 17 01 07: Menge 3.600 t Abbruch von Bitumenbahnen aus Abdichtungen in Böden und Entsorgung nach AVV 17 03 02: Menge 25 t Abbruch von Gipshaltigen Baustoffen aus Wand- und Deckenbekleidungen und Entsorgung nach AVV 17 08 01*/02: Menge 130 t Abbruch von gemischten Bau- und Abbruchabfällen aus Bauelementen und Entsorgung nach AVV 17 09 04: Menge 150 t.

Diese gewaltige Menge von belasteten und nicht belasteten Baustoffen ist inzwischen entsorgt worden.

 

Der nun freie Blick auf das Gelände des ehemaligen Rittergutes ist uns Anlass, einmal konzentriert auf die Entstehung und auf Details dieses wichtigen historischen Quartiers von Biesdorf zu blicken.

 

Das historische Grundstück bindet sich heute in die Adressen: Weißenhöher Straße 73-89, Stawesdamm, Alt-Biesdorf 21 ein. Das Gut wurde angelegt vom ersten Schlossbesitzer Hans-Hermann von Rüxleben. Sein wichtigster Beitrag zum Gut war wohl der Bau einer Brennerei. Denn die im Jahr 1914 vom Dorfschullehrer Johannes Lehmann vorgelegte Chronik „Rittergut und Schloß Biesdorf“ bezeichnet die Beschaffenheit des Gutes bei der Übernahme durch die Familie Siemens im Jahre 1887 als „zumeist alt und im baufälligen Zustande“. Daher musste modernisiert werden und die drei nun bei der STADT UND LAND zu sanierenden Gebäude gehören zu den Neubauten der Siemens‘.

Speicher und Pferdestall – beide liegen unmittelbar an der B 1 östlich der jetzigen Tierklinik – wurden 1888 vom Maurermeister Wilhelm Liesegang errichtet. Liesegang war in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts eine gefragte Adresse. Er hat beispielsweise auch in Alt-Blankenburg denkmalgeschützte Gebäude gemauert. Chronist Johannes Lehmann beschreibt den Pferdestall aus der Sicht des Jahres 1914 folgendermaßen: „Der Stall ist luftig und praktisch angelegt und folglich sind in 25 Jahren keinerlei epidemische Krankheiten vorgekommen. Der darüber befindliche Schüttboden ist gleichfalls praktisch, trocken und luftig angelegt und mit Holz-Zement-Dach abgedeckt, welches bisher noch nie eine Reparatur erfordert hat. Die Baukosten für dieses Gebäude betrugen in Summa 17.000 M einschließlich Lieferung und Anfuhr sämtlicher Materialien, auch des Holzes.“ Der Verweis auf epidemische Krankheiten hat den Hintergrund, dass im Jahr des Baus die Gutspferde allesamt an Rotz erkrankt waren, einer damals geläufigen Pferdekrankheit, die das Lymphsystem gefährlich angreift. Sie wurden daraufhin gekeult. Der daneben liegende Speicher wurde mit denselben Daten wie der Stall errichtet.

Speicher Gut

Speicher und Stall von der Gutseite

Speicher Straße

Speicher und Stall von der Straße

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Der Website Ziegelstempel ist zu entnehmen, dass die Ziegel aus Rathenow angeliefert wurden

 

Bauherr für diese Gebäude war noch Werner von Siemens. Bauherr des Kuhstalles von 1902 indes war bereits Sohn Wilhelm von Siemens. Der Name Siemens stand inzwischen weltweit für diverse Anwendungen mit Schwach- bzw. Starkstrom, wie Telefonie und Telegraphie sowie elektrisch betriebene Lokomotiven, Bussen und U-Bahnen und natürlich Glühbirnen. Wilhelm von Siemens sorgte daher auch in Biesdorf für einen Modernisierungsschub. Konstrukteur des Kuhstalles war Karl Janisch.

Kuhstall Gut Biesdorf

 

Karl Janisch ist Jahrgang 1870, ein ehrgeiziger junger Bauingenieur, der 1897 zu Siemens kam. Im Sommer 1899 wurde Janisch zum Bauleiter für sämtliche Neubauvorhaben ernannt. Endgültig zum Hausarchitekten von Siemens & Halske avancierte er, als ihm 1902 das „Dezernat für sämtliche bau- und betriebstechnischen Fragen des gesamten Siemens Conzerns mit all seinen Zweigstellen und Tochtergesellschaften“ übertragen wurde. Unter seiner Leitung entstand in den kommenden Jahren die Siemensstadt, die 1913 sage und schreibe 24.000 Menschen beschäftigte.

Verwaltungsgebäude Siemensstadt2

Karl Janisch 1921

Karl Janisch 1921         (Abb.: Siemens)

 

Der Architekt des Biesdorfer Gutskuhstalles ist also schon eine Berliner Berühmtheit. Er baute später auch die Luftschiffhalle in Biesdorf. Auch für den Kuhstall hat Chronist Johannes Lehmann eine knappe und korrekte Beschreibung hinterlassen: „Er enthält Platz für 70 Stück Milchkühe, und den nötigen Boden-Futterraum, alles hell, luftig und gut ventiliert. Es ist ein moderner Stallbau mit freitragender Decke aus Stampfbeton, alle Räume sind richtig und praktisch berechnet. Die Baukosten betrugen 40.000 M.“

Kuhstall Gut Biesdorf3

Die freitragende Decke wird durch diese Konstruktion im Dachgeschoss gehalten. Zur Sanierung gehört, dass der trägerlose Stallbereich wieder hergestellt wird.

 

Auch wenn das ehemalige Gut durch die Wohnbebauung eine neue Zweckbestimmtheit erhält: das historische Grundstück mit den drei zu sanierenden Baudenkmälern wird dann seine Zugehörigkeit zum historischen Biesdorf strukturell besser demonstrieren können. Mit seiner Begehbarkeit wird es wieder sinnlich erfahrbar. Biesdorf war in der Siemens-Zeit nah dran am globalen Rhythmus – Wilhelm von Siemens versorgte Gut und Schloss sehr schnell mit selbst produziertem Strom und experimentierte erfolgreich mit der drahtlosen telegraphischen Datenübertragung. Dennoch blieb Biesdorf die  Idylle vor der Stadt, in die die Berliner zum Entspannen kamen.

Bahnhofsgaststätte Heese 1911

Gaststätte Heese         (Sammlung Karl-Heinz-Gärtner)

 

 

(Axel Matthies)

 

 

 

 

 

 

 

vom: 06.06.2016