„Junge Kunst im Auftrag“ – unter diesem Titel veröffentlichte der Zentralrat der Freien Deutschen Jungend (FDJ) im Jahre 1986 eine Dokumentation über ein Kunstprojekt. Dieses Projekt hatte zum Inhalt die „Bildkünstlerische Ausgestaltung der Jugendhochschule ‚Wilhelm Pieck‘“ am Bogensee, die von der FDJ betrieben wurde. Wie immer gab es auch einen notwendigen historischen Hintergrund: Ende Mai 1946 war am Bogensee der erste Lehrgang durchgeführt worden. Anfang der 1980er Jahre hatte der Gebäudekomplex eine grundlegende Sanierung nötig, mit dem Kunstprojekt wurden auch bauliche Maßnahmen verbunden. Der Koordinator seitens des Zentralrates war Bernd Ludewig. Derselbe hielt am 12. Januar 2015 einen Vortrag in der Reihe zur Wiedereröffnung des künftigen Bilderschlosses Biesdorf, die von der Volkshochschule Marzahn-Hellersdorf und unserem Verein organisiert werden.
Rahmenbedingungen des Auftrages
In einer ersten Reaktion wird man bei diesem Thema vielleicht nostalgische Reminiszenzen an vergangene Zeiten gewärtigen. Dieser Verführung entging Bernd Ludewig: er hielt sich an die Fakten. Angesprochen wurden vom Zentralrat bezüglich der Projektrealisierung sieben Hoch- und Fachkunstschulen der DDR: die Hochschule der Bildenden Künste Dresden, die Kunsthochschule Berlin-Weißensee, die Hochschule für industrielle Formgestaltung Halle, die Hochschule für Graphik und Buchkunst Leipzig, die Fachschule für angewandte Kunst Schneeberg und die Fachschule für angewandte Kunst Heiligendamm. Mehr als 100 Diplomanden, Aspiranten und jüngere Mitarbeiter_innen – Maler, Bildhauer, Graphiker, Keramiker, Innenarchitekten, Gebrauchsgraphiker, Fotografen, Textil-, Metall-, Email- und Holzgestalter – bewarben sich um einen Auftrag. Die Auswahl und Reduzierung auf ca. 70 Teilnehmer_innen trafen letztlich ausschließlich die Hoch- und Fachschulen. Diesem Findungsprozess schlossen sich Verträge an – einen konkreten zwischen dem Zentralrat der FDJ und der Kunsthochschule Berlin-Weißensee dokumentieren wir hier gewissermaßen idealtypisch für Auftragskunst in der DDR. Die Unterzeichneten sind Persönlichkeiten der damaligen Zeitgeschichte.
Hinzu traten politisch-ideologische Erwartungen seitens des Auftraggebers. So hieß es in der Projektausschreibung:
“Die Jugendhochschule ‘Wilhelm Pieck’ wird bis 1985 umfassend rekonstruiert und erweitert. Gleichlaufend dazu wird sie […] bildkünstlerisch ausgestaltet. Der Einsatz von Kunstwerken und die Realisierung einer einheitlichen Gestaltungskonzeption hat zum Ziel, die Erziehung standhafter, der Partei ergebener Funktionäre der FDJ sowie die Vertreter ausländischer Jugendorganisationen zu unterstützen und ihr ästhetisches Empfinden zu schulen. Ziel ist, die bildkünstlerische Ausgestaltung bis zum 22. Mai 1986, dem 40. Jahrestag der Schule, abzuschließen.”
Das besondere Augenmerk lag auf der Gestaltung des Innenhofes, während man in anderen Bereichen eher großzügig verfuhr: “In den Bereich des Appellplatzes sind Standort und Form der Wilhelm-Pieck-Ehrung so zu erarbeiten, dass eine spannungsvolle Gesamtanlage entsteht.” Die Bilder, die für die Wohnhäuser, das Kulturhaus, die Schulungsräume usw. in Auftrag gegeben wurden, stellte man unter die Themen: “Revolutionäre Traditionen”, “Kommunistische Zukunft” sowie “FDJ und Gegenwart”. Anders als bei vergleichbaren Aufträgen in der frühen DDR wurden den Künstlern keine großen Einschränkungen bei der Bildfindung auferlegt. (Siehe: Jörn Schütrumpf, Zweierlei Maß. Kunst am Bogensee. In: Monika Gibas/Peer Pasternack (Hrsg.), Sozialistisch behaust & bekunstet. Hochschulen und ihre Bauten in der DDR. Leipziger Universitätsverlag 1999)
Das Motiv für eine Bewerbung lag oft weniger beim künstlerischen Auftrag als in der Hoffnung der Bewerber, vielleicht eine Auslandsreise zu ergattern oder wenigstens anständig mit Arbeitsmaterial – Farben, Pinseln, Spachteln, Meißeln usw. – versorgt zu werden. Bernd Ludewig betonte wiederholt, dass er sich überhaupt nicht als ideologischer Aufpasser sah, sondern als der Macher, der die erforderliche „materielle Basis“ für das gewaltige Projekt sicherstellt. Einige Diplomanden erklärten auch, dass es für sie sehr attraktiv gewesen wäre, drei Jahre lang an einem Thema arbeiten zu können.
Realisierung des Projektes
Betrachtet man die Ergebnisse des Auftrages, wird man sich die Augen reiben: auch mit Blick von heute sind viele der Arbeiten schlechthin anders und differenzierter als der Auftraggeber gefordert hatte. Nichtsdestotrotz wurden alle Arbeiten angenommen und gehängt bzw. aufgestellt. Das ist vielleicht ein Geheimnis der DDR-Auftragskunst überhaupt: nur eine Minderheit aller Arbeiten, die man im Kunstarchiv Beeskow besichtigen kann, folgten den politisch-ideologischen Erwartungen der Auftraggeber. Vielmehr setzten sie sich mit Themen auseinander, die in den 1980er Jahren in der DDR und weltweit auf der Tagesordnung standen: Krieg und Frieden, Menschenbild, Umwelt, Utopie und Wirklichkeit, individuelle Lebensperspektiven…
Einige Arbeitsergebnisse
Zuerst die beiden Skulpturen für den Innenhof/Appellplatz.
Claus Lindner, Völkerfreundschaft
Burghardt Draßdo, Liebespaar
Einige Gemälde für die Schulungs- und Wohnbauten.
Barbara Burck, Jugend
Kostas Sissis, Spanien 36
Andreas Schmidt, Kinder
Matthias Friedrich, Tanz
Hartmut Piniek, Familie unterwegs
Bruno Griesel, Diskussion
Neo Rauch, Die Kreuzung
In allen Diplomarbeiten ist bereits ein eigener Stil der noch jungen Künstler zu erkennen. In ihnen dominiert die Individualität. Themen wie Völkerfrieden oder das Glück der Menschen, wie sie noch in den 1960er und 1970er Jahren durchaus häufig zu besichtigen waren, fehlen jetzt. Diese Generation glaubte nicht mehr an die glückliche Zukunft, nicht an die Kraft des Kollektivs oder die Verheißung in der Arbeit. Sie glaubte an sich selbst und eine private Perspektive. Die Argumente der Alten waren verschlissen.
So sind insbesondere bei Hartmut Piniek, Bruno Griesel und Neo Rauch Themen und Gestaltungselemente zu sehen, die sie in den folgenden Jahren weiter ausformten und sie heute zu den Protagonisten der Neuen Leipziger Schule machen. Sie haben sich am Kunstmarkt durchgesetzt und können heute von ihrer Kunst leben. Das ist nicht allen Teilnehmer_innen dieses FDJ-Kunstprojektes geglückt. Wir zeigen ein paar Beispiele der drei „Leipziger“.
Hartmut Piniek
Hartmut Piniek, ohne Titel
Hartmut Piniek, Grab 805
Bruno Griesel
Bruno Griesel, Der Tag danach
Bruno Griesel, Die Ballettstunde
Neo Rauch
Neo Rauch, Etappe (Dieses Gemälde ging 2009 durch die Presse. Es wurde auf einer Auktion in Basel von dem Schauspieler Brad Pitt für 1 Million $ erworben)
Resümee
Junge Kunst aus den 1980er Jahren ist überwiegend eigen und künstlerisch plural. Hatten die älteren Künstler in den 1970er Jahren die Enge künstlerischer Arbeit unter dem Motto „Weite und Vielfalt“ aufgebrochen und überwunden, stand den Jungen nun eine künstlerische Welt offen.
Sowohl Hermann Raum (Hermann Raum, Bildende Kunst in der DDR. Die andere Moderne. Berlin 2000) als auch Lothar Lang (Lothar Lang, Malerei und Grafik in Ostdeutschland. Leipzig 2002) kennzeichnen in ihren Standardwerken die 1980er Jahre in der bildenden Kunst mit zwei wesentlichen Veränderungen:
- Erstens vollzieht sich eine Trennung von Künstlern und Verband,
- zweitens bildet sich eine informelle außerakademische Künstlerszene, die vorwiegend von jungen Leuten geprägt wird.
Raum beschäftigt sich intensiv mit dem Thema Künstler und Verband bzw. Verband und Staats- und Parteiführung. Die Zeit sei vorbei gewesen, so Raum, dass Vorgaben nach Maßstab eines starren sozialistischen Realismus von der Künstlerschaft hingenommen wären. Er macht das an der vorletzten IX. Kunstausstellung 1982 in Dresden fest: „Die vollmundig aus alten Losungen montierten thematisch-ideologischen Vorgaben für die Ausstellung wurden von der großen Mehrzahl der Künstler einfach ignoriert. Und das vor über einer Million Besuchern, die, wie Soziologen ermitteln konnten, mit ungewöhnlicher Aufmerksamkeit und Ausdauer eine Bilderwelt betrachteten, in der ihnen vieles schwer verständlich und befremdend bleiben musste… Trotz einiger Versuche, der Schau ideologische Korsettstangen einzuziehen, wurde die Ausstellung von der bildnerischen Eigenmächtigkeit der Künstler beherrscht.“ (ebenda S. 198f.)
Hinzu kam die zunehmende Einrichtung freier Galerien, so in Berlin „Weißer Elephant“ und in Leipzig „eigen + art“, sowie die Herausgabe von Grafikmappen in privaten Pressen. „Es entstand eine Flut von Klein- und Kleinstauflagendrucken als Graphik-Lyrik-Band, als Siebdruckbuch, als Ausstellungsbegleitbuch. Kunst stand dabei nicht im Zentrum des Interesses, eher der Rausch des produktiven Machens, das Ans-Licht-Bringen neuer Gedanken und Bilder“ fasst Lang diesen Prozess zusammen (ebenda S. 218/222).
Eine Wertung einer einzelnen Ausstellung oder eines einzelnen Kunstprojektes kann natürlich immer nur im Spiegel der Gesamtentwicklung der bildenden Kunst in der DDR vorgenommen werden. Ob das Kunstprojekt am Bogensee dann als ein herausragendes Ereignis Bestand hätte, kann hier nicht bewertet werden. Es wird aber in diesem Jahr eine große Ausstellung zur jungen Kunst in der DDR in den 1980er Jahren geben, die dafür eine Folie bildet: im Museum Junge Kunst Frankfurt/O.
(Axel Matthies)