Die „BIESDORFER BEGEGNUNG“ am 28. August 2024 fand erstmals nicht im Schloss Biesdorf, sondern im Sportmuseum Marzahn-Hellersdorf in der Eisenacher Straße statt – einer kleinen, aber feinen, ehrenamtlich geleiteten Einrichtung, die immer einen Besuch wert ist. Das Thema des Abends war „Sportstadt Berlin“ – so kurz nach der Fußballeuropameisterschaft in Deutschland und Olympia in Paris eigentlich ein naheliegendes Thema. Die Veranstaltung wurde gemeinsam mit dem Bezirkssportbund Marzahn-Hellersdorf organisiert, die Mitarbeiter der Geschäftsstelle hatten den Abend perfekt vorbereitet.
Berlins Leistungs- und Breitensportszene ist riesig – hier befindet sich der größte deutsche Olympiastützpunkt, mehr als 800.000 Mitglieder aller Altersstufen sind in über 2.400 Sportvereinen aktiv. Sechs erfolgreiche Profi- Vereine kämpfen um Meistertitel und Medaillen. Großveranstaltungen im Spitzen- und Freizeitsport halten die Stadt über das ganze Jahr hinweg in Atem. Politiker, Sportwissenschaftler, Trainer, Ehrenamtliche in den vielen Vereinen – alle wirken an unterschiedlicher Stelle mit, dass der Sport eines der bedeutendsten und am stärksten wahrgenommenen Aushängeschilder für Berlin ist und bleibt.
In Vertretung der eigentlich für den Abend angekündigten Sportsenatorin Iris Spranger setzte die für den Sportbereich verantwortliche Staatssekretärin Franziska Becker in ihren einführenden Worten die Schwerpunkte für die nachfolgenden Gespräche und Diskussionen: eine erfolgreiche Leistungsbilanz der Berliner Spitzensportler, eine gut aufgestellte Infrastruktur für den Breiten- und Leistungssport, viel Unterstützung aus Wirtschaft und Sportwissenschaft. Aus aktuellem Anlass verwies sie auf das Interesse Berlins an einer Olympiabewerbung – die Stadt sei bereit dafür.
Mit Doris Nabrowsky vom Vorstand des Hellersdorfer Athletik Clubs Berlin (ACB), dem zweitgrößten Marzahn-Hellersdorfer Sportverein, konnte eine kompetente und sehr engagierte unmittelbar Beteiligte viele Punkte der Staatssekretärin bestätigen, verwies aber auch auf bestehende Probleme bei der Organisation der umfangreichen Angebote des Vereins für Leistungs- und Breitensport. Angefangenen beim (berlinweit) recht hohen Sanierungsbedarf für bestehende Sportanlagen, dem Nachholebedarf bei notwendigen Neubauten im Rahmen der wachsenden Stadt, dem Thema der Unterfinanzierung der Trainer und Übungsleiter bis zur zunehmenden Bürokratie bei der Beantragung von Fördergeldern im Sportbereich – eine breite Palette von Themen, mit denen sich die Sportverantwortlichen im Ehrenamt täglich an der Basis beschäftigen müssen. Und wenn dazu noch Probleme der ungeklärten Einbürgerung hoffnungsvoller Nachwuchstalente wie beim ebenfalls anwesenden Dreispringer Arsen Tschantshapayan (Norddeutscher Meister, Ranglistendritter in der deutschen U23) kommen, wird es noch komplizierter. Die Staatssekretärin hatte aufmerksam zugehört und sicher einige Themen mitgenommen …
Von den Besuchern der Veranstaltung wurde das Thema der aus ihrer Sicht ungerechten Verteilung der Gelder im Sportbereich angesprochen. Während im Profifußball bereits unterklassige mittelmäßige Spieler ein recht bekömmliches Auskommen mit ihrem Sport haben, ist das in fast allen anderen Sportarten nicht der Fall. Die wenigsten Sportler in anderen Sportarten, darunter auch viele Weltklasseathleten, sind mit den Geldern aus Förderung und Sponsoring ausreichend unterstützt, in vielen Fällen ist die Einheit von Sport und Ausbildung nicht umfassend gewährleistet. Christine Stüber-Errath, einzige Berliner Eiskunstlaufweltmeisterin, äußerte sich dazu mit Vehemenz und deutlich kritischem Akzent. Leistungen in Sportarten, die weniger im Rampenlicht stehen, werden aus ihrer Sicht zu wenig gewürdigt und gefördert, vielfach funktioniert der Nachwuchsbereich nur durch das Engagement der Eltern bzw. der ganzen Familie. Das Fördersystem im Leistungssport ist aus ihrer Sicht an vielen Stellen ungerecht und überholungsbedürftig, sie hofft auf positive Veränderungen im Rahmen der angedachten Reform der Sportförderung. Darüber hinaus verwies sie darauf, dass viele anerkannte Leistungen aus dem DDR- Sport ihrer Auffassung nach in Vergessenheit geraten sind bzw. nicht ausreichend gewürdigt würden und belegte dies an Beispielen aus ihrer Disziplin, dem Eiskunstlaufen.
Weitere Themen der Beiträge aus dem Publikum waren der Kinder- und Jugendsport, die Möglichkeiten der sportliche Betätigung bereits im Kita- Bereich, die Situation im Schulsport (insbesondere Schwimmunterricht) und die Möglichkeiten, die dem Bezirk zur Verfügung stehen, um breitenwirksam alle sportlichen Interessen zu unterstützen. Hierzu waren die Ausführungen der Bürgermeisterin Nadja Zivkovic und des Sportbezirksstadtrats Stefan Bley hilfreich und informativ. Einen Termin für die Fertigstellung des geplanten Kombibades für den Stadtbezirk Marzahn-Hellersdorf konnte die Bürgermeisterin – auch nach mehrfachem Nachfragen – aber noch nicht benennen …
Mit sehr persönlichen und detaillierten Beiträgen trug Alexander Teichmann, der Präsident von ttc eastside Berlin zum Gelingen des Abends bei. Den wenigsten dürfte bekannt sein, dass das Tischtennis- Frauenteam des ttc eastside die erfolgreichste Berliner Sportmannschaft ist (10facher Deutscher Meister, 9x Pokalsieger, 4x Triple-Gewinner von Meisterschaft, Pokal und Championsleague) – da kommt selbst Bayern München ins Staunen. Insbesondere die Stabilität und Langfristigkeit, mit der im nicht einfachen Umfeld des Leistungssports in Berlin im Frauentischtennis begeisternder Sport auf höchstem Niveau möglich gemacht wird, hat das Publikum beeindruckt. Die Championsleague-Spiele der Mannschaft kann man übrigens auch in dieser Saison in der Halle im Freizeitforum Marzahn anschauen – ein Muss für jeden Fan …
Zum Abschluss des Abends berichtete Christine Stüber-Errath noch lebhaft und mit vielen Geschichten aus Ihrer Karriere – aufgrund der fortgeschritten Zeit leider viel zu kurz. Wir haben mit ihr vereinbart, dass wir ihr in 2025 einen separaten Abend im Schloss Biesdorf widmen werden. Ihr aktuelles Buch „Meine erste 6,0“ konnte erworben werden, natürlich mit persönlicher Widmung – davon wurde reichlich Gebrauch gemacht.
Alles in allem ein intensiver, diskussionsreicher Abend mit positivem Echo bei den Teilnehmern. Insbesondere das eindrucksvoll erlebte Engagement und die Motivation, ein Umfeld zu schaffen, in dem sportliche Betätigung für viele Menschen aller Altersstufen möglich ist, hat den Abend maßgeblich mitbestimmt. Und dies an vielen Stellen ehrenamtlich und trotz der deutlich genannten Probleme, die immer wieder neue Lösungen erfordern. Wir wünschen allen Teilnehmern der Veranstaltung und dem Bezirkssportbund alles Gute und viele weitere sportliche Erfolge – im Großen und im Kleinen!
PS: Eine am Schluss unter den Anwesenden der Veranstaltung durchgeführte Blitzumfrage, ob sich Berlin für die Olympischen Spiele bewerben solle, ergab keine Mehrheit für ein solches Projekt. Noch viel Überzeugungsarbeit also für die Verantwortlichen aus Politik und Sport, um dies zu ändern ….
Beeskow, die Kreisstadt von Oder-Spree, verfügt mit dem Kunstarchiv Beeskow über einen außergewöhnlichen Schatz. Das Kunstarchiv ist Bestandteil des Museums Utopie und Alltag, das das Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR in Eisenhüttenstadt und das Kunstarchiv Beeskow vereint. Es bewahrt mit 170.000 Objekten der Alltagskultur und 18.500 Werken der bildenden und angewandten Kunst sowie des Laienschaffens einen in seinem Umfang und in seiner Zusammensetzung außergewöhnlichen Bestand zur Kulturgeschichte der DDR. Nicht zu vergessen die Burg selbst mit ihren zahlreichen Veranstaltungen und Ausstellungen sowie dem Regionalmuseum.
Nun erhalten der Landkreis und die Stadt einen weiteren Schatz. Die Günter-de-Bruyn-Stiftung, gegründet 2021, wird Sitz und Geschäftsstelle in Beeskow ansiedeln. Der Schriftsteller hatte in einem notariellen Testament aus dem Jahre 2014 von Todes wegen verfügt, dass der Sohn Dr. Wolfgang de Bruyn sein Erbe wird und ihn mit der Auflage beschwert, eine gemeinnützige, unselbständige Stiftung zu errichten. Die Stiftung hat die Aufgabe, die ideellen und gegenständlichen Zeugnisse der Wohn- und Arbeitsstätte des märkischen Schriftstellers Günter de Bruyn, die ehemalige Schäferei im Tal des Blabbergrabens, unter literarischen wie zeitgeschichtlichen Aspekten als Gesamtkomplex für die Nachwelt zu bewahren, werterhaltend zu pflegen und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Die Stiftung soll in das Einzeldenkmal Brandstraße 38 ziehen, das dafür grundlegend saniert und im Frühjahr 2025 bezogen werden soll. Das Archiv und die Forschungsbibliothek von Günter de Bruyn, darunter 12.000 Bücher, werden dann vielfältige Recherchemöglichkeiten für die wissenschaftliche Arbeit zu Leben und Werk des Autors sowie für bildungspolitische Vorhaben bieten. (Ein Vorlaß de Bruyns befindet sich bereits im Deutschen Literaturarchiv Marbach.) Eine Gästewohnung für Forschende wird im Obergeschoss ausgebaut.
In de Bruyns ehemaligem Wohnhaus bei Görsdorf an der Blabber, seinem Refugium abseits der Welt, oder besser Fluchtort, wird von nun an das Stipendium „Abseits“ vergeben und realisiert.
Es wird jährlich für zehn Wochen von August bis Mitte Oktober angetreten und ist mit je 3.000 Euro dotiert. Es ist als Tandem-Stipendium ausgeschrieben und ermöglicht so den direkten kreativen Austausch unterschiedlicher Genres miteinander: ob literarisch, publizistisch, wissenschaftlich, foto- und bildkünstlerisch oder auch handwerklich. Die Ortsbindung ist Pflicht. Das erste Tandem, Judith Zander und Sven Gatter, sie Dichterin, er Fotograf, hat das Stipendium 2023 bereits erfolgreich absolviert. Das Stipendium schreibt die Günter-de-Bruyn-Stiftung gemeinsam mit der Stiftung Kleist-Museum, Frankfurt (Oder), der Burg Beeskow (Landkreis Oder-Spree) und dem Literarischen Colloquium Berlin (LCB) aus.
Man muss dem Landkreis Oder-Spree ein Kompliment machen. In finanziell angespannten Zeiten haben die verantwortlichen LokalpolitikerInnen Mut bewiesen und für die Günter-de-Bruyn-Stiftung votiert. Dazu war es erforderlich, erhebliche Fördergelder für die Restaurierung des denkmalgeschützten Fachwerkgebäudes Brandstraße 38 einzuwerben.
Bereits 2017 hatte der Landkreis Mut bewiesen. Als damals die Länder Berlin und Mecklenburg-Vorpommern nach 15 Jahren ihren Ausstieg aus dem gemeinsamen Projekt Kunstarchiv Beeskow verkündeten, steckten die Brandenburger den Kopf nicht in den märkischen Sand. Innerhalb von zwei Jahren wurden die Bestände generalinventarisiert und 2019 im Gebäude des ehemaligen Kreisarchivs als offenes Kunstdepot sachgerecht archiviert. Mit Unterstützung des Landes Brandenburg übernahm der Landkreis dann beherzt die alleinige Betreiberschaft und garantierte die Zukunft des Kunstarchivs Beeskow. Nun beherbergt der Landkreis einen weiteren überregional wirkenden kulturellen Leuchtturm.
Günter de Bruyn (1926 bis 2021) war ein herausragender deutscher Schriftsteller, der zunächst in der DDR publizierte und nach dem Beitritt Leserinnen und Leser aus dem vereinigten Deutschland in Scharen in den Bann zog. Er beschäftigte sich zunehmend mit preußischer und märkischer Geschichte, nachdem er 1968 die Blabberschäferei nahe Görsdorf, ein ödes Anwesen etwa 15 Kilometer westlich von Beeskow, gekauft hatte. Erstes Ergebnis dieser Neuorientierung war der Roman „Märkische Forschungen“, der 1978 im Mitteldeutschen Verlag erschien.
De Bruyn setzte sich in den 1980er Jahren für die christliche Friedensbewegung ein und kritisierte wiederholt die Zensur vor Buchveröffentlichungen. Nach 1990 genoss er die Freiheit des Wortes und mischte sich wiederholt in kulturpolitische Diskurse ein. Er veröffentliche zahlreiche Bücher, die brandenburgische Regional- und Kulturgeschichte und das romantische Berlin ab 1800 zum Thema hatten. De Bruyn wurde mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnet, darunter der Heinrich-Mann-Preis (DDR), der Thomas-Mann-Preis, der Heinrich-Böll-Preis und der Jean-Paul-Preis. Zu seinem 90. Geburtstag beschenkte er sich mit dem Roman „Der neunzigste Geburtstag“.
Schließlich wurde er kurz vor seinem Tod 2019 zum Ehrenbürger der Gemeinde Tauche und des Landkreises Oder-Spree ernannt. Der Essayist Gustav Seibt schrieb eine sehr originelle Wertung über Günter de Bruyn, darüber, was ihn ausmache: „Am ehesten wohl ein skeptischer, sündenbewusster, untrüglicher Blick auf die Menschen, ein zurückhaltender, unüberhörbar katholischer Ton, der sich bei de Bruyn aufs Glücklichste mit stadtberliner Nüchternheit, mit Humor und altmodischem Patriotismus verbindet. De Bruyn war Katholik, ein in Berlin nicht seltenes, aber doch Exklusivität bedeutendes Herkommen. Es machte ihn immun gegen die Verlockungen irdischer Ideologien und bewahrte ihm den ideologiefreien Blick auf zwischenmenschliche Verhältnisse.“ (SZ vom 8.10.2020)
Welche gemeinsamen Schnittmengen die Günter-de-Bruyn-Stiftung und das Kunstarchiv Beeskow finden werden, bleibt abzuwarten. Günter de Bruyn hat den Staat DDR eher ertragen als getragen. Andererseits war Sohn Wolfgang de Bruyn, der nun Treuhänder der Stiftung ist, langjähriger Kulturamtsleiter in Oder-Spree. Er kennt die Geschichte und die Geschichten des Kunstarchivs bestens und aus eigenem Erleben. Die Stiftung wird ein Publikum anlocken, das bisher noch nicht da war. Daraus werden sich für die Stadt und das kulturelle Leben ganz neue Perspektiven entwickeln.
Als die reguläre Mitgliederversammlung des „Freunde Schloss Biesdorf“ e.V. am 10. Juni 2024 zusammen trat war klar, dass der langjährige Vorsitzende Dr. Heinrich Niemann nicht mehr kandidieren würde. Nach 16 Jahren endete eine Ära. Der stellvertretende Vorsitzende des Vereins, Prof. Gernot Zellmer, würdigte dessen Leistung.
„Am 28. Mai 2008 wurdest Du zum Vorsitzenden der damaligen „Stiftung Ost-West-Begegnungsstätte Schloss Biesdorf“ gewählt. Der Verein war von 2002-2007 Bauherr der denkmalgerechten Sanierung der Außenhülle des Erdgeschosses, des Turms und des Portikus. Schon 2005 hatte das Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf unserem Verein das Mandat zur Wiederherstellung des Obergeschosses und der Grundsanierung von Sockel‐ und Erdgeschoss des Schlosses erteilt. Im Zuge der Gewinnung notwendiger Fördermittel wurde Ende 2008 beschlossen, das Schloss künftig als Bildergalerie zu nutzen.
Deine Vision vom wieder aufgebauten Schloss Biesdorf wurde Leitlinie deines Handelns als Vorstandsvorsitzender: Im Schloss werden in einer Galerie die Kunstwerke aus dem Kunstarchiv Beeskow an einem attraktiven Standort und mit modernen Mitteln der Kommunikation einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Berlin erhält eine neue, innovative und touristisch attraktive Stätte für Kunst und Kultur. Hier werden auch Werke von Otto Nagel Platz finden.
Das denkmalgeschützte Ensemble Schloss und Park Biesdorf wird im Osten Berlins seine volle Schönheit entfalten, das in der näheren und ferneren Umgebung seinesgleichen sucht. Die Raumstruktur und Ausstattung der Galerie wird auch künftig vielfältige Veranstaltungen nicht nur ermöglichen, wie sie Bürger Biesdorfs und die Besucher aus nah und fern heute kennen, sondern auch erforderlich machen.
Als 2010 der Bezirk die Verantwortung für den Wiederaufbau des Schlosses übernahm, musste der Verein eine neue Rolle bei der Verwirklichung der Vision finden. Du hast sie in einer aktiven Öffentlichkeitsarbeit gesehen, um Kenntnisse zur Geschichte des Denkmalensembles zu vermitteln, die Sanierung nachvollziehbar zu machen und Perspektiven für die künftige Entwicklung und Nutzung aufzuzeigen.
Wir haben Führungen zum Tag der Gärten und Parks und zum Tag des offenen Denkmals angeboten. Du hast damals wie heute Vorträge an diesem Tag gehalten. Ende 2008 erschien der erste Band einer Schriftenreihe zur Geschichte von Schloss und Park, das Vorwort stammte von dir. Solche Publikationen als Form der Öffentlichkeitsarbeit lagen und liegen dir immer sehr am Herzen.
Du hast großartige Unterstützung von Oleg Peters bekommen, der Leben und Werk von Heino Schmieden erforscht und beschrieben hat. Daraus ist ein dickes Buch entstanden.
Tatkräftige Hilfe erfuhrst du auch von Frank Holzmann, der die Tagebücher des Wilhelm von Siemens besser als jeder andere kennt und mit seinem Verein BALL e.V. die praktische öffentliche Nutzung des Schlosses vorgelebt hat. Frank war es 2012 gelungen, eine Ausstellung mit Werken von Otto Nagel ins Schloss zu holen, wobei die Akademie der Künste keine Einwände gegen die vorhandenen klimatischen Bedingungen hatte.
Und für unsere Homepage hattest du Axel Matthies an deiner Seite, der gestützt auf sein profundes Wissen über Kunst und gesellschaftliche Prozesse interessante Artikel über Ausstellungen im Schloss und anderswo, über Künstler und – entsprechend deinem immer wieder vorgetragenen Wunsch – über Vorträge veröffentlicht, die in unseren Veranstaltungen gehalten wurden.
Du hast ein Faible für Jubiläumsdaten in Lebensläufen von Menschen, die eng mit der Geschichte des Schlosses verbunden sind – Albrecht Brodersen, Wilhelm von Siemens, Heino Schmieden u. a. – und für Jahrestage von Ereignissen bei der Entstehung und Nutzung des Denkmalensembles. Daraus resultierten Vorschläge für Vortragsthemen z. B. in unserer Veranstaltungsreihe mit der Volkshochschule Marzahn-Hellersdorf, die es dank deiner Initiative seit 2011 gibt.
Gemeinsam mit Klaus Freier hast du unser Veranstaltungsformat „BIESDORFER BEGEGNUNG“ erfolgreich ausgestaltet: Die Liste der Gesprächspartner reicht von Klaus Lederer über Matthias Platzeck und Monika Grütters bis zu Wolfgang Berghofer.
In deine Amtszeit fällt 2018 die Veränderung unserer Satzung und die Umwandlung der Stiftung in den Verein „Freunde Schloss Biesdorf“, denn mit Wiedereröffnung des Schlosses waren die Ziele der Stiftung erfüllt.
Lieber Heiner, dieser kurze Rückblick zeigt, dass du deutliche Spuren im Leben unseres Vereins hinterlassen hast, für die wir dir sehr dankbar sind, und wir hoffen sehr, dass weitere hinzukommen. Ganz besondere Spuren sind auch deine literarischen Werke; so die Zueignung für das neue Schloss Biesdorf anlässlich der feierlichen Eröffnung am 9. September 2016. Deinem Beispiel folgend habe ich mich an einen Vierzeiler gewagt:
Dir, lieber Heiner, nochmals vielen Dank, für das Wirken an des Vorstand’s Spitze. Und bleib, wir sagen es ganz frei und frank, dem Vereine weiter eine Stütze!“
Langer und herzlicher Beifall der Mitglieder des Vereins und der Gäste drückte die Zustimmung zu Gernot Zellmers Worten aus.
Anschließend wurde Gernot Zellmer als neuer Vorsitzender gewählt. Stellvertretende Vorsitzende sind Klaus Freier und Axel Matthies. Schatzmeisterin bleibt Marianne Schmidt ebenso wie Annette Nieczorawski und Ninon Suckow auch künftig Beisitzerinnen sind.
Im Mai/Juni 2023 und im März dieses Jahres fanden zwei Ausstellungen zu Otto Nagel im Wedding und im Schloss Biesdorf statt. Initiator und Gestalter war der Leistungskurs Kunst erst der 11. Klassenstufe und nun der 12. Klassenstufe des Otto-Nagels-Gymnasiums unter Leitung der Kunstlehrerin Frau Wolfram-Gagel. Beide Ausstellungen, die sich verschiedenen Themen stellten, waren inhaltsreich und aussdrucksstark. Die öffentliche Anteilnahme im Wedding war eher gering, im Schloss Biesdorf dagegen stark, was sich auch im Gästebuch manifestierte.
Die Eröffnung der Ausstellung mit Werken Otto Nagels aus einer Privatsammlung am 17. Mai 2023 im Weddinger Kurt-Schumacher-Haus war eindrucksvoll verlaufen. Um die 60 Menschen, vor allem Schülerinnen und Schüler des Biesdorfer Otto-Nagel-Gymnasiums, gaben der Vernissage einen würdigen Rahmen. Joachim Günther, der Vorsitzende des gastgebenden Kulturforums Stadt Berlin der Sozialdemokratie e.V., und Nadja Schallenberg, eine Enkelin Otto Nagels, eröffneten mit prägnanten kurzen Redebeiträgen die Ausstellung. Sie sagten, sie seien sehr froh, dass Otto Nagel in seinen Wedding zurück kehre.
Frau Wolfram-Gagel, die verantwortliche Lehrerin im Kunst-Leistungskurs, stellte das Projekt ihrer Schülerinnen „Lebenskreise – Otto Nagel“ vor. Aufgabe und Ziel war eine eingehende Auseinandersetzung mit den ausgestellten Werken Otto Nagels. Diese waren in Themen aufgeteilt, die als Lebenskreise bezeichnet wurden:
Nagel als Ehemann: Im Dialog mit Walli. Werk: Walli in der Waschküche, 1934
Nagel als Kurator in Saratow: Ein Dialog mit der Zeichnung. Werk: Gleisbau in Saratow, 1925
Nagel als Politiker in der DDR: Im Dialog mit der Zeichnung. Werk: Tagesordnung Volkskammer, 1950
Armut und Arbeitslosigkeit: Im Dialog mit der Grafik. Werk: Bettelleute, 1921
Der Hungerwinter in Berlin: Im Dialog mit Arbeitern. Werk: Passant im Regen an der Litfaßsäule, 1947
Armut und Hunger zur Zeit der Weimarer Republik: Im Dialog mit den Bettelnden in der Grafik. Werk: Städtisches Arbeitslosenzentrum im Wedding, 1926
Im Ergebnis, so erklärten die Schülerinnen, seien eigene Malereien und Grafiken sowie Podcasts entstanden, die einen fiktiven Austausch mit den Werken und den darin abgebildeten Menschen präsentieren. Die in den Podcasts erzählten Geschichten basierten sowohl auf einer Literatur- und Internetrecherche als auch auf Interviews mit Zeitzeugen und Zeitzeuginnen. Die Werke selbst hatten ansprechende Qualität, nicht wenige eine sehr gute.
Am 6. März 2024 wurde dann im Heino-Schmieden-Saal des Schlosses Biesdorf die Ausstellung „Werte Weitergabe Solidarität“ des Leistungskurses Kunst der 12. Klassenstufe eröffnet. Mit kleineren Arbeiten Otto Nagels aus Privatbesitz hatten sich die Schülerinnen und Schüler auseinander gesetzt und sie insbesondere auf den Wert Solidarität hinterfragt. Dazu hatten sie intensiv recherchiert, ihre Familien und Freunde interviewt und ganz individuelle Grafiken, Malereien und Fotos geschaffen – etwa 30 Arbeiten. Die Vernissage war hervorragend organisiert und mit Leidenschaft durchgeführt.
Ein Höhepunkt: gemeinsam sangen Schülerinnen des Leistungskurses Kunst und der Marzahner Kammerchor das Solidaritätslied von Brecht/Eisler. Ein Lied, das den Älteren sehr vertraut ist, aber nicht mehr zur aktuellen Lebenswelt gehört.
Vorwärts und nicht vergessen
und die Frage konkret gestellt
beim Hungern und beim Essen:
Wessen Morgen ist der Morgen?
Wessen Welt ist die Welt?
Ein Lied, das anrührte; man sah den Jungen und den Älteren die Emotion, vielleicht sogar aufgewühlte Stimmung an…
Mit diesen beiden Ausstellungen brachte der Leistungskurs Kunst des Otto-Nagel-Gymnasiums ihren Namensgeber wieder in die Gegenwart – und dies in dem Bezirk, in dem der Maler und Grafiker seinen Lebensabend verbrachte und die Schülerinnen und Schüler ihre Schulausbildung gerade beenden.
Nagels Werte in seinen Arbeiten sind von hoher Aktualität – so zeigt sich die Solidarität in Nagels ausgestellten Grafiken in der Darstellung der Schwächsten der Gesellschaft. Ähnliche Motive fanden sich auch in den Arbeiten der Schülerinnen und Schüler wieder. Sie setzten Nagels Werke malerisch in Farbe um und entwickelten die Themen weiter, indem sie z.B. die Porträts eines Bettlers bzw. einer Prostituierten in eine moderne Stadtlandschaft einfügten.
Neben dem Schlüsselwert der Solidarität spielten die Werte Heimat, Freundschaft, Demokratie, Familie und Nachhaltigkeit eine bedeutende Rolle für den Kurs, diese setzten sie sowohl grafisch auch als malerisch in realistischer bis expressiver Manier um. Diese Arbeiten boten Anlass für den Austausch. In sehr persönlichen, offenen Interviews mit der Generation der Großeltern wurden Brücken zwischen den Generationen geschlagen. Ein Teil der Schülerarbeiten rief zur Solidarität auf für eine demokratische und nachhaltige Gesellschaft für alle Menschen. Die Arbeiten stehen für einen offenen und zugleich verbindenden Diskurs – für eine lebenswerte Welt. In Kunstgesprächen über die Arbeiten brachten die jungen Künstlerinnen und Künstler ihre Werte und ihre Anliegen an die Besucher weiter.
„Mit der Ausstellung wurde deutlich“, so Frau Wolfram-Gagel, „dass es wichtig ist, Verantwortung für das eigene Leben und somit für die Gesellschaft zu übernehmen. Unsere Schülerinnen und Schüler zeigten Verantwortung, indem sie in ihren Malereien und Grafiken ausdrucksstark darstellten, was ist – ganz wie ihr Namensgeber Otto Nagel vor einem Jahrhundert.“
(Hier können Sie weitere Informationen zu den Ausstellungen abrufen.)
Eine Frage, die im Raum stehen bleibt: Was wird aus den vielen künstlerischen Arbeiten, aus den Interviews und Podcasts, die entstanden sind? Es steckt sehr viel Anstrengung und Aufwand in den beiden Ausstellungen. Es wäre schade, wenn alles nur im Archiv landete. Es gibt dazu Austausch und Überlegungen zwischen unserem Verein und dem Gymnasium. Für uns als „Freunde Schloss Biesdorf“ waren die beiden Ausstellungen eine große Freude. Otto Nagel, einer der großen realistischen Künstler aus Berlin, der Ehrenbürger seiner Stadt, muss in ihr kulturelles Gedächtnis zurück kehren. Berlin war die industrielle Hauptstadt Europas und Nagel einer ihrer großen Chronisten. Nagel hat die Kehrseite von Babylon Berlin, die tägliche harte Arbeit und den Kampf ums Überleben gezeigt. Diese Sicht aus der proletarischen Perspektive dürfen wir niemals vergessen. Sie gehört immer noch zur DNA Berlins.
Vielleicht lässt sich eine Anregung formulieren: Können nicht alle Absolventen des Otto-Nagel-Gymnasiums in den oberen Klassenstufen einen kleinen Lehrblock zu Otto Nagel absolvieren? So lässt sich am Ende der Schulbildung eine besondere Beziehung zum Namenspatron herstellen, die über die Erinnerung an die Schulzeit hinaus reicht und viele Ehemalige des ONG weiter vereint. Wir „Freunde Schloss Biesdorf“ könnten dazu einen eigenen Beitrag leisten.
Die Pflegearbeiten am Schlossteich im Frühjahr dieses Jahres zeitigten umgehend positive Folgen: ein Teichrallenpaar brütet, es waren (am 24. Mai) 7 Küken zu besichtigen. Über die Teichralle berichtet Wikipedia: „Die europäische Brutpopulation wird auf mindestens 900.000 Paare geschätzt. In den meisten Staaten Europas sind die Bestände stabil. In Deutschland wurden Bestandsrückgänge und Arealeinbußen festgestellt, so dass das Teichhuhn hier zurzeit (seit 2006) in der Vorwarnstufe der Roten Liste gefährdeter Arten geführt wird.“
Gezielte engagierte Maßnahmen haben die Qualität des Gewässers erheblich verbessert und die Teichralle zum Brüten motiviert. Hoffen wir, dass alle Küken durchkommen. Die Teichralle brütet meist zwei Mal – viel Glück.
Diesen Gastbeitrag stellte uns die Autorin Annette Voigt zur Verfügung. Er illustriert die Wege der Familie von Siemens in Deutschland. Anna Zanders ist eine Tochter Werner von Siemens‘ und eine Schwester Wilhelm von Siemens‘.
Albert Brodersen und Anna Zanders gestalteten von 1898 bis 1910 gemeinsam den Park Haus Lerbach in Bergisch Gladbach. Anna Zanders war zwar in der Großstadt Berlin aufgewachsen, liebte aber die Natur mehr als die Stadt. Die Neugestaltung des Parkgeländes lag ihr sehr am Herzen, sodass sie daran maßgeblich aktiv beteiligt war. Anna Zanders war passionierte Gärtnerin und stets sprach sie mit Wärme von ihrem Park. Im Park-Wald kannte sie jeden Baum, so berichteten ihre Gäste. Sie selbst pflanzte Bäume und verpflanzte aber auch große, ausgewachsene Bäume. „Die Axt ist das wichtigste Gerät des Gärtners“ oder „Man muss dicht pflanzen und dann durchforsten“, so soll sie sich öfters in punkto Parkpflege geäußert haben.
Ihren straffen Arbeitsalltag begann sie morgens früh mit einem ausgedehnten Rundgang durch den Park. Danach tauschte sie sich regelmäßig sowohl mit ihren Gärtnern als auch mit ihrem Parkgestalter Albert Brodersen aus. Die erörterten Aufgaben hielt sie in Kladden fest. Eine Notiz von August 1930 lautet z. B.: „Östlich vom Gartenhaus eine Fliedergruppe gepflanzt, großen trockenen Nussbaum geschlagen, zwei neue Pflanzen rechts vom ‚Milchweg‘, im kleinen Waldstück Sträucher und Bäume geschlagen“ oder von Juli 1932: „Erdbeeren in den Sorten König Albert und Sankt Josef sind zu pflanzen“.
Nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes Richard 1906 tat ihr der Park und die Leitung des Gutes gemäß ihrer eigenen Aussage in dieser schweren Zeit gut und brachten ihr „wohltuende Ablenkung“. Um den Park-Umbau, der für sie zur Lebensaufgabe wurde, kümmerte sie sich nun alleine. Bis zu ihrem 81. Lebensjahr kurz vor ihrem Tod 1939, so berichtete ihre Schwester Hertha, war sie mit Verbesserungen in ihrem Park beschäftigt. Im Park halfen ihr eine Vielzahl an erfahrenen Gärtnern. Bis 1910 hatte sie den Gartengestalter Albert Brodersen an ihrer Seite, wobei Brodersen sich an den Grundsatz hielt, das Schöne mit dem Nützlichen zu verbinden. Dies kam Anna Zanders gelegen und gemeinsam legten sie den Nutzgarten, den Obst- und Gemüsegarten an, geometrisch und mit Natursteinmauern terrassiert. Die Terrassierung glich die bestehenden Höhenunterscheide in dieser Gartenpartie aus. Ab 1906 wuchsen hier viele verschiedene Apfel- und Birnbäume. Bei den Birnen wählte Anna Zanders gerne französische Sorten aus wie „Gute Luise“ (seit 1778 kultiviert) „Alexander Lucas“ (Züchtung von 1874) oder „Gräfin von Paris“ (1889 in einer französuscgeb Gartenfachzeitschrift vorgestellt). Bei den Äpfeln bevorzugte sie regionale Sorten, u.a. „Boskop“, „Ontario“ (1922 von der „Deutschen Obstbau-Gesellschaft empfohlen), „Freiherr von Berlepsch“ und die „Rheinische Winterrambur“.
Anna Zanders war überzeugte Vegetarierin und versorgte sich mit frischem Gemüse und Obst aus ihrem hauseigenen Garten. Das Obst, neben Äpfeln und Birnen unter anderem Pflaumen, Reineclauden (spezielle, meist grüne Mirabellensorte), Pfirsiche und Kirschen verwendete man zum direkten Verzehr, Einmachen, Saften und Backen. In der Nähe des Gemüsebeets befanden sich die Kräuterbeete, die von hochstämmigen Beerensträuchern eingerahmt waren Es gab einen Walnussbaum in der Mitte eines kleinen Rondells und einen Maulbeerbaum am Eingang zum Wirtschaftsbereich, zu dem die Glas-Gewächshäuser für Wein, das Gärtnerhaus und der Geräteschuppen zählten. Im Gärtnerhaus wurden die Blumen für die Terrassenbeete gezogen und in der Arbeitshalle überwinterten die Kübelpflanzen. Der mächtige Ginko-Baum am Haupteingang in der Nähe des Turms stammt, so sagt man, von Albert Brodersen. Anna Zanders hatte oft Gäste in Haus Lerbach, die auch den Park schätzten. Ihr häufiger Gast Friedrich Paulsen mochte besonders die frühmorgendliche friedliche Stimmung im Park. Er schrieb in den 1930er Jahren u.a.: „Der Garten war 40 Jahre lang Gegenstand sorgsamer Pflege. Er lag in einem Tal, das ein nicht eben wasserreicher Bach durchzog, ein Teich war von jeher aufgestaut, einen zweiten hatte man im vergangenen Jahr auf einer feuchten und wenig ertragreichen Wiese angelegt“.
Viele stellten und stellen sich die Frage, warum Anna Zanders ausgerechnet einen Landschaftsgärtner aus Berlin mit der Parkumgestaltung beauftragte, der nach ihren Worten „den Park sehr einfühlsam gestaltete“. Anna Zanders kannte Albert Brodersens deutschlandweiten guten Ruf. Zuerst begegnete sie Brodersen auf dem Berliner Gut Biesdorf ihres Bruders Wilhelm von Siemens. Wilhelm war 1888 mit seiner Familie nach Biesdorf gezogen, dessen Gutspark Albert Brodersen ebenfalls in einen englischen Landschaftsgarten umwandelte. Biesdorf befand sich da seit einem Jahr im Besitz der Familie von Siemens und war Mittelpunkt für gesellige Treffen, Gartengesellschaften und Familienfeiern, an denen auch Anna Zanders teilnahm. In einem Brief vom 24.05.1889 erwähnte ihre Schwester Herta Harries Anna eine solche Gartenfeier in Biesdorf, zu denen auch Albert Brodersen häufig eingeladen war. Am regelmäßig stattfindenden „Kreativen Netzwerk“, in dem es um die Belange der Gemeinde Biesdorf ging, nahmen sowohl Brodersen als auch Anna Zanders teil. Dies belegt eine der erhaltenen Teilnahmelisten.
Eine weitere Verbindung zu Haus Lerbach besteht darin, dass Brodersen mit Gabriel von Seidl, dem Architekten von Haus Lerbach, gut bekannt war. Ludwig Bopp, Seidels Bauleiter von Haus Lerbach, entwarf übrigens 1902 für Gut Biesdorf das Beamten-Wohnhaus mit sechs Mitarbeiterwohnungen und erbaute auf Empfehlung Anna Zanders 1904 das Obergärtnerhaus im Park von Biesdorf. Als Anna Zanders Albert Brodersen mit der Neugestaltung des Parkes Lerbach beauftragte, war der selbständiger Landschaftsgärtner. Seit 1894 betrieb er zusammen mit seinem Schwager Gustav Körner die Landschaftsgärtnerei seines Schiegervaters. Diese Landschaftsgärtnerei „Körner & Brodersen“ gestaltete seinerzeit über zwanzig Parkanlagen und Villengärten unter anderem im Rheinland, in Berlin, im heutigen Polen und am Wannsee, dort z. B. den Villenpark des Malers Max Liebermann. Alfred Lichtwerk, Direktor der Hamburger Kunsthalle, bemerkte Liebermann gegenüber, dass Brodersen „ein Landschaftsgestalter sei, dem es Spaß mache, Probleme zu wälzen und aus dem Zeichnen ins Bauen zu kommen“. Man schätzte also Albert Brodersen als sehr versierten Landschaftsgärtner, der sich im Gartenbau exzellent auskannte und der die bestehende Schönheit einer Landschaft dazu nutzte, diese in seinen Parkgestaltungen klar sichtbar zu machen.
Brodersen veröffentlichte im damals einflussreichen Magazin „Die Gartenkunst“ und vergrößerte somit sein Renommee. 1910 verfasste er hier einen Artikel zum Park Haus Lerbach. Diese von der Gartenfachwelt geschätzte Zeitschrift wurde seit 1899 von der Deutschen Gesellschaft für Gartenkunst und Landschaftskultur (DGGL) herausgegeben, die auch heute noch besteht. Brodersen beschrieb in diesem Artikel, dass im Lerbacher Park von 1898 -1910 immer wieder viel an Gehölzen und Pflanzen verändert wurde. Große Bodenmodellierungen waren erforderlich. Da die alte Burg am Weiher wenig Ausblick in die Umgebung des Parks bot, wurde diese daher in Form eines Landsitzes an anderer Stelle erhöht errichtet; „mit einer herrlichen Fernsicht“ wie Brodersen bemerkte. Pflanzungen umschlossen zur Zeit der Parkentstehung eine Wiese, und das Landhaus (später als Schloss bezeichnet) hatte gemäß Brodersen einen zentralen Einfluss auf die Umgebung der Landschaft. Brodersen beendete seinen Bericht wie folgt: „Bei der Betrachtung der Parkbilder wird erkannt werden, dass die gute Wirkung von Haus und Park erreicht wurde durch die sorgsame Rücksichtnahme auf vorhandene alte Bäume“. In seiner „Skizze zum Englischen Gärten“ (1899 ebenfalls im Magazin „Gartenkunst“ veröffentlicht) äußerte er sich sowohl zu englischen als auch zu deutschen Parks. Im Winter hielt er die englischen für „mannigfaltiger und freundlicher auf Grund der Anpflanzung vieler immergrüner Pflanzen“. Die deutschen Gartenkünstler kritisierte er, dass diese „zu einseitig in eine bestimmte Richtung, nur nach einer Schule“ agierten. In Deutschland, so Brodersen, würden zu wenig Gartenkünstler „Schule machen“, d.h. „solche Werke zu schaffen, denen man nacheifert“. Eine Schullandschaft war für Brodersen eine Musterlandschaft, „in dem alles harmonisch zusammenstimmt und deren Schönheitsgefühl stark entwickelt ist“. Brodersen lehnte Parkgestalter ab, die Pflanzen ohne Rücksicht auf die Umgebung anordneten und ohne die Gesamtwirkung eines Parks zu berücksichtigen.
Brodersen stammte nicht wie viele seiner Gärtnerkollegen, z. B. Peter Lenné, aus einer Gärtnerdynastie. Er musste sich sein fundiertes Fachwissen erst an Hand vielschichtiger Ausbildungen erwerben. Er absolvierte unter anderen Ausbildungen am „Königlichen Pomologischen Institut in Proskau/Schlesien, in renommierten Gärtnereien wie in der „Eichbornschen Gärtnerei“ in Breslau, der „Dannemannschen Handelsgärtnerei“ in Görlitz, den Berliner Gärtnereien „August Borsig“ oder „Schütt“. 1884 bestand er sein Examen als Königlicher Obergärtner im Potsdamer Wildpark. Zahlreiche Studienreisen nach England, Italien, Frankreich, Wien, Moskau oder Budapest vervollständigten seine Qualifizierung als Landschaftsgärtner. Seine Bekanntheit, sein guter Ruf und seine Verdienste um den deutschen Gartenbau verhalfen ihm 1909 zum Titel als Königlicher Gartendirektor. 1910 berief man ihn zum städtischen Gartendirektor der Reichhauptstadt Berlin. Im Nachruf im Magazin „Die Gartenwelt“ (24.01.1930) zu seinem Tode 1930 lobte man ihn als Gartenkünstler „mit einem klaren Blick für die gegebene Schönheit eines Geländes und der wusste, diese mit einfachen Mitteln in geschicktester Weise zu nutzen und zu steigern.“ Der Verfasser dieses Nachrufes, Prof. E. Barth, würdigte ihn als einen Menschen mit einem großen Herzen, kinderlieb, humorvoll, hilfsbereit und als Familienmensch. Anna Zanders und Albert Brodersen verband in ihrer gemeinsamen Parkgestaltung die Liebe zum natürlich gestalteten Garten. Beide besaßen diesen Blick für die bestehende Landschaft. Sie schufen gemeinsam dieses grüne Refugium, den Park Haus Lerbach.
(Annette Voigt)
Anmerkung: Ausgangspunkt für den fruchtbaren Kontakt mit Frau Annette Voigt aus der nordrheinwestfälischen Stadt Bergisch-Gladbach waren die von Albert Brodersen gestalteten englischen Landschaftsgärten in Biesdorf und am Haus Lerbach in Bergisch-Gladbach. Als engagierte Kennerin der Gartenkunst – Frau Voigt ist u.a. regelmäßig als ehrenamtliche Helferin in den historischen Parks in Wörlitz und Branitz tätig – suchte sie vor etwa zwei Jahren den Kontakt zu unserem Verein. Die Geschichte des Parks Lerbach ist in vielem vergleichbar mit Biesdorf: Er war im Besitz von Anna Zanders, geb. Siemens (1858-1939), einer Schwester von Wilhelm von Siemens. Sie hat den Park bis zu ihrem Tod erhalten und entwickelt. Sein Schicksal wurde später ungewiss; 2021 erfolgte ein Besitzerwechsel. Anna Zanders hatte Brodersen in Berlin kennengelernt, so bei Treffen im Schloss Biesdorf, und für den Park Lerbach gewonnen. Wir konnten Frau Voigt unser Wissen über Brodersen und die Geschichte des Biesdorfer Gartendenkmals vermitteln. Wir unsererseits haben so interessante Details über Albert Brodersen und diesen anderen Ort der Siemens-Familie erfahren.
Am 16. Februar 2024 fand ein erstes Gespräch des Vereinsvorstandes mit Herrn Stefan Bley, dem seit der Wiederholungswahl des Berliner Abgeordnetenhauses verantwortlichen Stadtbezirksrat für Kultur in Marzahn-Hellersdorf statt. In einer persönlichen Führung durch Park und Schloss Biesdorf konnten wir sein Interesse an der Geschichte des Schlossensembles wecken und ihm die wichtigsten Ereignisse und Personen aus der über 150jährigen Geschichte dieses Kleinods der Berliner Architekturgeschichte nahebringen.
Gleichzeitig konnten wir die Gelegenheit nutzen, Herrn Bley die umfangreichen Leistungen unseres Vereins (2001 als „Stiftung Ost-West-Begegnungsstätte Schloss Biesdorf“ gegründet) beim Wiederaufbau dieser Biesdorfer Sehenswürdigkeit nahe zu bringen. Anschließend war Zeit für ein Gespräch mit Herrn Bley und der Bezirksbürgermeisterin Frau Zivkovic. Die im Gespräch von Frau Scheel vorgetragene beeindruckende Bilanz der Entwicklung der Galerie im Schloss Biesdorf seit Übernahme in die kommunale Verantwortung zeigt die Möglichkeiten, die für den Bezirk Marzahn-Hellersdorf und darüber hinaus mit diesem neuen Ort der Kultur, Geschichte und Begegnung entstanden sind. Ausgehend von den viel beachteten Ausstellungen der Vergangenheit freuen wir uns auf das für 2025 angekündigte große Ausstellungsprojekt mit dem Kunstarchiv Beeskow.
Hinsichtlich der geplanten Klimatisierung der Ausstellungsräume im Schloss (als Voraussetzung zur Einhaltung der klimatechnischen Forderungen potentieller Leihgeber für empfindliche Kunstexponate) mussten wir leider zur Kenntnis nehmen, dass die Bemühungen, Fördermittel der Stiftung Klassenlotterie zu akquirieren, bisher ohne Erfolg geblieben sind. Herr Niemann hat in unserer Vorstandssitzung angeregt, dass unser Verein – gestützt auf seine Erfahrungen bei der Beantragung von Fördermitteln – hierbei Unterstützung anbietet.
Wir stehen hinter dem Anliegen der Galerieleitung, einen festen Ansprechpartner aus dem Bereich Facility Management genannt zu bekommen, der sie regelmäßig zu notwendigen baulichen und Instandhaltungsmaßnahmen berät. Bezüglich des Projektes „Instandsetzung der Fontäne im Parkteich und Reinigung des Gewässers“ hoffen wir, dass uns Frau Zivkovic – wie zugesagt – Erfreuliches zum Stand der Realisierung mitteilen kann.
Wir drücken auch die Daumen, dass die angedachte Wiederbelebung des Biesdorfer Blütenfestes Anfang Mai 2024 erfolgreich realisiert werden kann und haben unsere Unterstützung angeboten.
Erneut bekräftigten wir unsere im Gespräch vorgetragene Position, dass unter dem Punkt „Prominente, Bekannte und Künstler“ im Kurzporträt Marzahn-Hellersdorf auf der Webseite des Bezirks auch der Name des Berliner Ehrenbürgers Otto Nagel genannt werden sollte, der von 1951 bis 1967 in Biesdorf lebte und wirkte. Wir haben zum Ausdruck gebracht, dass wir uns über gemeinsame Aktivitäten mit dem Bezirk freuen würden (u.a. auch gegenüber dem Bezirk Mitte/Wedding, der Senatskulturverwaltung und der Akademie der Künste), um für den verdienten Künstler, Kulturpolitiker und Publizisten in seiner Vaterstadt Berlin wieder einen Ort zur dauerhaften öffentlichen Präsentation seiner Werke zu finden.
Wir konnten beim Gespräch das Ziel unseres Vereins erläutern, das 10jährige Jubiläum der denkmalgerechten Wiederherstellung des Schlosses Biesdorf 2026 und das 100jährige Jubiläum der Übernahme des Schlossensembles in kommunales Eigentum der Stadt Berlin im Jahre 2027 zu nutzen, um gemeinsam mit allen Beteiligten den Dokumentations- und Informationsstand zu Schloss und Park Biesdorf auf einen neuen Stand zu bringen.
In dem ersten Gespräch mit dem neuen verantwortlichen Bezirksstadtrat und der Bürgermeisterin konnten wir nach übereinstimmender Auffassung der teilnehmenden Vorstandsmitglieder ein hohes Interesse an der Weiterentwicklung des Denkmalensembles Schloss und Park Biesdorf feststellen. Dieses Interesse und die übermittelten Informationen seitens des Bezirksamtes lassen uns hoffen, dass in naher und ferner Zukunft weitere gemeinsame Projekte und Vorhaben umgesetzt werden können, um die Entwicklung von Schloss Biesdorf als Kultur- und Begegnungsort mit regionaler und überregionaler Strahlkraft weiter zu gestalten.
Wir möchten Sie auf eine Ausstellung im Schloss Biesdorf aufmerksam machen, die fünf KünstlerInnen mit Arbeiten zeigt, die im Kunstarchiv Beeskow (Museum Utopie und Alltag) deponiert sind. Die fünf sind: Linde Bischof, Volker Henze, Walter Herzog, Wolfgang Leber und Ursula Strozynski. Alle haben ihren Platz in der Kunstgeschichte der DDR.
Das Besondere an dieser Ausstellung, die im Erdgeschoss stattfindet ist, dass alle fünf in Gesprächen zum Thema „Einen Ausdruck finden für dieses Leben“ bereit gestanden haben. Format dafür sind die Berliner Zimmer des Stadtmuseums Berlins. Die Künstlerin Sonya Schönberger hat das Berliner Zimmer entwickelt: ein interaktives, seit 2018 fortlaufendes wachsendes Archiv aus Videointerviews mit Berliner*innen ganz unterschiedlicher Herkunft, Hintergründe und Generationen. Sie sprechen an von ihnen selbst gewählten Orten von ihrer Biografie und dem, was sie aktuell bewegt. Die Klammer ist die Stadt, in der sie leben. Leider ist von den fünf KünstlerInnen nur jeweils eine Grafik zu sehen. Kuratorin Dr. Angelika Weißbach begründet dies mit der Konzentration auf die Videoerzählungen. Zwei Grafiken seien gezeigt:
Im Rahmen unserer gemeinsam mit der VHS Marzahn-Hellersdorf organisierten Veranstaltungsreihe gab es am 17. Januar 2024 im restlos gefüllten Heino-Schmieden-Saal des Schlosses Biesdorf einen Vortrag zu diesem Thema. Die Spuren wurden in den „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ gesucht. Dieses in vier Bänden erschienene Werk hat Theodor Fontane (1819-1898) in den Jahren 1862 bis 1882 geschrieben. Die Spurensuche bezog sich auf die Gemeinden des 1815 gegründeten Landkreises Niederbarnim, die 1920 in Berlin eingemeindet wurden und überwiegend den damaligen Stadtbezirken Pankow, Weißensee, Prenzlauer Berg und Lichtenberg zugeordnet wurden. Der Vortragende Prof. Gernot Zellmer wollte die Frage beantworten, welche dieser Orte Fontane bei seinen Wanderungen besucht hat, was ihn an diesen Orten interessierte und was er Erinnerungswertes für die Nachwelt aufgeschrieben hat.
Der Landkreis Niederbarnim war damals, wie die Reichshauptstadt Berlin, eine extrem dynamisch wachsende Region. Die industrielle Revolution war insbesondere seit der Reichsgründung auf einem Höhepunkt angelangt: die Produktion wuchs unaufhörlich und mit ihr die Suche nach Arbeitskräften. Mit speziellen Kärtchen wies Prof. Zellmer darauf hin, wie die von Fontane besuchten Orte expandierten.
Die Frage, wann und warum Fontane die Orte im Niederbarnim besuchte, lässt sich für sechs Dörfer leicht beantworten, denn Fontane hatte ihnen in seinem Werk einen speziellen Aufsatz gewidmet. Sehr ausführlich hat er über seine Besuche (1862 und 1870) in Friedrichsfelde (das bis 1699 noch Rosenfelde hieß) berichtet, das für ihn als „Charlottenburg des Ostens“ gelten durfte. Fontane schreibt – vor 1700 beginnend – über die Besitzer des Gutes, über die in diesen Jahren erfolgten Umgestaltungen des 1719 erbauten Schlosses und des Parks. Detailliert schildert er die Innenausstattung des Schlosses zum Zeitpunkt seiner Besuche, die zum großen Teil auch heute noch zu bewundern ist.
Anlass für die Fahrt nach Malchow im Jahre 1878 war die Aussage in einem Essay über den brandenburgisch-preußischen Staatsmann Paul von Fuchs (1640 – 1704), dass dieser in der Gruft zu Malchow beigesetzt wurde. Fontane gesteht, dass dieser Hinweis eine „Malchow-Sehnsucht“ in ihm weckte. Er beschreibt zunächst den Reiseweg: Omnibusfahrt bis zum Alexanderplatz, Pferdebahn bis Weißensee und dann per pedes nach Malchow. (Ein anschauliches Beispiel, wie Fontane zu seinen Wanderzielen gelangte, wobei er auch mit der Postkutsche, dem Schiff und später der Eisenbahn unterwegs war.) Zu seinem Bedauern war die Gruft zugeschüttet, aber mit Hilfe des Pfarrers Albert Hosemann (1840 – 1906), der ab 1885 Superintendent in Biesdorf war, erhält er anhand des Kirchenbuches und des Taufregisters einen Einblick in die Lebensumstände des Paul von Fuchs. Eine Berliner Ehrentafel am ehemaligen Gutshaus erinnert noch an dessen Besitzer. Die Kirche wurde 1945 von der Waffen-SS gesprengt und später nicht wieder aufgebaut.
Im Juni 1860 wandert Fontane mit seinem Verleger Wilhelm Hertz nach Buch, das 15 Kilometer entfernt liegt. Er beschreibt den Park und das Schloss, dessen große Einfachheit er hervorhebt: „Das Haus gleicht einem einfachen altmodischen Kleid, aber der Park, der es einfasst, ist ein reicher Mantel, der die Frage nach dem Schnitt des Kleides verstummen lässt.“ Neben der Kirche interessiert ihn insbesondere die Gruft, deren Besichtigung er zum Anlass nimmt, um über die märkischen Adelsfamilien zu erzählen, die über fünf Jahrhunderte die Entwicklung des Dorfes Buch geprägt haben. Das Schloss wurde 1964 abgerissen, während die Kirche Anfang der 1950er Jahre rekonstruiert wurde (allerdings ohne den Turm, dessen Wiederaufbau gegenwärtig im Gange ist). Im wunderschönen Park gibt es seit 2023 wieder das von Fontane beschriebene Grabmal für Julie von Voß (1766-1789) zu sehen, das 1956 mutwillig zerstört wurde.
Nach Falkenberg reiste Fontane, um in der Leichenhalle der Dorfkirche die Särge der Eltern des Bruderpaares Wilhelm und Alexander von Humboldt zu besichtigen. Auch diese Kirche wurde 1945 von der Waffen-SS gesprengt. Eine 1969 errichtete Gedenkmauer erinnert an die Familiengruft der von Humboldts.
In seinem Aufsatz über den Müggelsee, den er 1860/61 mehrmals aufsuchte, erwähnt Fontane auch das aus wendischen Zeiten stammende Rahnsdorf. Viele Jahre später erschien ein Aufsatz mit dem Titel „Rahnsdorf“, in dem er feststellt, dass „Rahnsdorf … seiner schönen Lage halber, immer eine Anziehungskraft für die Residenzler (hatte), die hier, in einer zerstreuten Villenkolonie, die heiße Jahreszeit zuzubringen liebten.“ Fontane erzählt dann im Weiteren allerdings die Geschichte des Fähnrichs Alexander Andersen, der unter dem Vorwurf der Spionage 1870 von einem französischen Kriegsgericht zum Tode verurteilt worden war.
Auslöser für Fontanes Reise 1860 nach Blankenfelde war die Beschreibung der dortigen Kirche in einer Chronik aus dem Jahre 1707, die Joachim Ernst von Grumbkow (1637 – 1690) als Erbbegräbnis seiner Familie ausgewählt hatte. Aus der Beschriftung des Grabsteins, den er neben der zugeschütteten Gruft entdeckte, zieht Fontane den richtigen Schluss, dass von Grumbkow woanders beerdigt sein muss. Der Grabstein ist heute an der Nordseite der Kirche angebracht. An dem von Grumbkow finanzierten Anbau der Kirche findet man noch eine Sandsteinplatte mit dem Familienwappen aus jener Zeit.
Auf der weiteren Spurensuche findet man dann Orte, über die Fontane berichtet, ohne ihnen einen speziellen Aufsatz zu widmen. In seinem Essay über den Müggelsee stellt er auch das Dorf Friedrichshagen vor. Er berichtet dann allerdings ausführlich nur über die Müggelbaude, ein Gasthaus am anderen Ufer der Spree. (Seit 1872 stand an dieser Stelle das „Müggelschlößchen“, das im April 1945 zerbombt wurde.) Der große märkische Dichter schreibt: „Die Spree, sobald sie sich angesichts der Müggelberge befindet, bildet ein weites Wasserbecken: den Müggelsee, der mit zu den größten und schönsten unter den märkischen Seen zählt.“ Und weiter: „Am Müggelsee selber, den nichts wie Sandstreifen und ansteigende Fichtenwaldungen einfassen, erhebt sich ein einziges Haus: die Müggelbude. Auf einer vorspringenden Sanddüne gelegen, die sich vom Westufer aus in die Müggel hinein erstreckt, ist sie der geeignetste Punkt, um den See und seine Ufer zu überblicken; ist Leuchtturm, Fischerwohnung und Fährhaus zugleich, aber vor allem ist sie doch Gasthaus.“
Julie von Voß, über die Fontane im Aufsatz „Buch“ erzählt, hat viele Jahre im Schloss Niederschönhausen verbracht. In den „Wanderungen“ gibt es zahlreiche Hinweise auf diese königliche Residenz, aber keine detaillierte Beschreibung.
Ebenfalls im Aufsatz „Buch“ beschreibt Fontane in einer Fußnote Stücke der Ausstattung der Dorfkirche in Hohenschönhausen (heutige Taborkirche), die nur noch in geringem Maße erhalten sind.
Mehrfach verweist Fontane in den „Wanderungen“ auf den Turm der Kirche zu Stralau, den er als „malerische Feinheit Schinkels“ beschreibt. Untersuchungen im Jahre 1886 ergaben allerdings, dass der Turm kein Werk von Schinkel, sondern von Langerhans ist. Friedrich Wilhelm Langerhans war seit 1805 Baustadtrat in Berlin und spezialisiert auf die Rekonstruktion von Kirchenbauten.
Spuren führen auch nach Französisch Buchholz, Pankow und Weißensee, die Fontane als Zwischenstationen auf seinen Wander- und Reisewegen benennt.
Die Dörfer Blankenburg, Karow, Marzahn und Wartenberg verdanken zum Beispiel ihre Erwähnung in den „Wanderungen“ dem Umstand, dass sie im wechselnden Besitz märkischer Adelsfamilien waren, von denen Fontane erzählt. Biesdorf und Lichtenberg werden von Fontane als Ausflugsziele der Herren von Schloss Friedrichsfelde genannt.
1883 – nach der Vollendung der „Wanderungen“ – trug sich Fontane mit dem Gedanken, ein vierbändiges Werk „Geschichten aus Mark Brandenburg“ zu schreiben. Bei den vielfältigen Überlegungen zum möglichen Inhalt spielten auch Kirchen- und Kirchhofsdenkmäler in den märkischen Dörfern eine Rolle. Auf diese Weise hätten neben den schon genannten niederbarnimschen Dörfern auch Spuren nach Heinersdorf, Kaulsdorf und Rosenthal geführt. Aber durch die 1878 begonnene Arbeit an seinem erzählerischen Werk (über 20 Romane) hatte Fontane keine Zeit, seine Brandenburger Geschichten zu vollenden.
Anlässlich des Tages des Ehrenamtes werden in unserem Bezirk seit 2003 Menschen geehrt, die sich langjährig, kompetent und mit großem persönlichen Engagement um Sachverhalte und Dinge kümmern, für die im Alltag der Ämter und Verwaltungen oft kein Platz oder keine Zeit ist, ohne die aber ein vielfältiges gesellschaftliches Leben nicht denkbar ist.
In diesem Jahr wurde am 1. Dezember auch unser langjähriger stellvertretender Vorstandsvorsitzender Dr. Klaus Freier mit dem Ehrenamtspreis der BVV Marzahn-Hellersdorf ausgezeichnet. Und wie bei den vielen anderen Ausgezeichneten gab es auch bei ihm gute Gründe für diese Ehrung.
Dr. Klaus Freier prägt unseren Verein „Freunde Schloss Biesdorf“ durch die Organisation von Führungen durch das Schlossensemble und die Gestaltung des Veranstaltungsformats „Biesdorfer Begegnung“. 2019 koordinierte er maßgeblich unser gemeinsames Projekt „Initiativkreis Otto Nagel 125“, das mit vielen Partnern das Ziel verfolgt, den Berliner Ehrenbürger und großen Künstler Otto Nagel wieder in das Gedächtnis der Berliner zurück zu holen. Mit seiner wesentlichen Initiative und unter seiner Federführung entstand das in diesem Jahr erschienene Buch „Otto Nagel (1894 – 1967) – Maler Publizist Kulturpolitiker“.
Die Feier im Talcenter Marzahn klang bei vielen guten Gesprächen und einem sehr ansprechenden Musikprogramm angenehm aus. Wir wünschen Klaus weiterhin viel Kraft und ein glückliches Händchen bei unseren kommenden Projekten.
Einen außergewöhnlichen Abend in einem besonderen Ambiente gab es am 17. November 2023 im Schloss Biesdorf. Der langjährige stellvertretende Vorsitzende des Vereins „Freunde Schloss Biesdorf“, Gernot Zellmer, war anlässlich seines 80. Geburtstages von seinem Verein „Freunde Schloss Biesdorf“ zu einer „Biesdorfer Begegnung“ eingeladen worden.
Die Familie, Freunde, viele ehemalige Kollegen und Mitstreiter sowie Vereinsmitglieder waren der Einladung gefolgt und feierten gemeinsam mit dem Jubilar. Nachdem Professor Zellmer seinen „Weg nach Biesdorf“ humorvoll und mit vielen Episoden und Dokumenten gespickt vorgetragen hatte, würdigte unser Verein sein Vorstandsmitglied mit einer Ballade, die weiter unten nachzulesen ist. Zum Schluss des Vortrages wurde Herr Zellmer zum „echten Biesdorfer“ ernannt und ein entsprechender Pokal überreicht.
Von seinen ehemaligen Kollegen und Mitstreitern der Hochschule für Ökonomie wurde Prof. Zellmer anschließend hochnotpeinlichst zu seinem fachlichen und ehrenamtlichen Lebenslauf befragt. Mit seinen Antworten auf die im Rahmen einer „Promotion C“ gestellten Fragen wies er mit viel Humor Lebenserfahrung, Klugheit und immer wieder großem Einsatz für die von ihm bearbeiteten Themen und Aufgaben die gebotene Sachkunde und Erfahrung nach – die „Promotion“ wurde ihm zu Recht mit dem Prädikat „summa cum laude“ zuerkannt.
Freunde und Familienmitglieder gratulierten Gernot Zellmer in sehr herzlichen und berührenden Worten und betonten vor allem, dass er neben seiner großen beruflichen Belastung immer Zeit für Familie, Freunde und Geselligkeit hatte – als Familienmensch, Sportler, DJ, Skatspieler, Büttenredner… Zum Abschluss des Abends gab es die Möglichkeit, dem Jubilar persönlich zu gratulieren und mit den anderen Teilnehmern ins Gespräch zu kommen. Und sicher wurden dabei auch Themen und Projekte besprochen, in die sich Gernot Zellmer mit seiner Erfahrung, seiner Tatkraft und seinem Engagement weiterhin einbringen wird – im Verein und anderswo…. Herzlichen Dank, lieber Gernot – und weiterhin alles Gute für Dich und Deine Familie.
Am Beginn der Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung von Marzahn-Hellersdorf am 21. September 2023 übergab, verbunden mit einer kleinen Ansprache an die Bezirksverordneten, der Vereinsvorsitzende Dr. Heinrich Niemann dem Vorsteher der BVV, Herrn Stefan Buck (CDU), ein Exemplar unserer Publikation „Otto Nagel (1894 – 1967) Maler – Publizist – Kulturpolitiker“. Otto Nagel, der Maler des Berliner Proletariats und des „alten“ Berlin und Berliner Ehrenbürger, lebte von 1951 bis zu seinem Tode 1967 in der heutigen Otto-Nagel-Straße in Biesdorf. Das Buch entstand aus einer Idee des 2019 zu seinem 125. Geburtstag gebildeten „Initiativkreis Otto Nagel 125“ und vereint Texte aus dessen Arbeit. Es kommen 13 Autoren zu Wort, darunter aus unserem Bezirk und aus dem Geburtsort Otto Nagels, dem Berliner Wedding. Eine Schülerin schildert die beeindruckende Arbeit des Biesdorfer „Otto-Nagel-Gymnasiums“ mit ihrem Namenspatron. Der Sohn der Haushälterin des Künstlers erinnert sich an die würdige Strenge des „Professors“. Dr. Niemann erinnerte an die Aufgabe, in Berlin wieder einen Ort zu finden, wo die Werke Otto Nagels ständig zu sehen sind. Begrenzte Ausstellungen sind kein Ersatz. Er würdigte den Beitrag der Vereinsmitglieder Prof. Gernot Zellmer, Dr. Klaus Freier und Axel Matthies zum Entstehen des Buches und wünschte, daß das Buch helfen möge, in unserem Bezirk die Erinnerung an Otto Nagel wach zu halten.
Der schon länger in unserer Reihe mit der Volkshochschule geplante Vortrag am 31. Mai 2023 hatte auch einen aktuellen Bezugspunkt. In den ersten Maitagen war gerade als Teil des seit einigen Jahren geplanten neuen Wegeleitsystems im Schlosspark Biesdorf auch eine kleine Metalltafel in der Nähe der drei jungen Birken installiert worden. Sie erinnert nun endlich die Besucher neben dem 2021 gelegten Stein an den sowjetischen Militärfriedhof, der von 1945 bis zu seiner Umbettung 1957/58 in der südlichen Hälfte des Schlossparks bestand. Auf insgesamt vier Grabfeldern für Offiziere, Soldaten, Zivilpersonen und Kinder waren bis 1955 mehr als 450 Menschen bestattet worden. Neben Gefallenen der letzten Kämpfe in Berlin sind es nach dem Ende des Krieges verstorbene Soldaten und Zivilpersonen der sowjetischen Militärgarnison in Berlin. Die Beerdigten kamen aus acht Sowjetrepubliken, vier autonomen Republiken und vier selbständigen Gebieten.
Nachdem am 21. April 1945 die Rote Armee in Marzahn die Grenze Berlins erreicht hatte, waren in den letzten Kriegstagen in den Grenzen der Stadt noch etwa 20.000 sowjetische Soldaten gefallen. An ungezählten Orten wurden diese Toten auf sogenannten Notfriedhöfen (d.h. außerhalb von regulären Friedhöfen) bestattet. Allein im heutigen Bezirk Marzahn‐Hellersdorf gab es neben dem Schlosspark Biesdorf (46 Gräber), dem als Lazarett genutzten Krankenhaus Wuhlgarten (134) oder dem stillgelegten Friedhof in der Kaulsdorfer Brodauer Straße (185) noch etwa zehn weitere solche Bestattungsorte, die später aufgelöst wurden. So wurden die Gräber an dem 1946 gebauten Obelisken an der Brodauer Straße 1948 zum Ehrenmal im Treptower Park verlegt. Im Vortrag konnten namentliche Beispiele von gefallenen Offizieren genannt werden, die schon im Mai 1945 im Schlosspark Biesdorf beerdigt wurden.
Den Schlosspark Biesdorf als Friedhof für die Sowjetische Armee, insbesondere für die 295. Schützendivision, auszugestalten, war Gegenstand verschiedener Befehle der Sowjetischen Militärverwaltung in Deutschland, so die Befehle 184 von 1945 und 582 von 1946. In einem gut dokumentierten, zum Teil sehr heftigen Briefwechsel sowjetischer Kommandeure mit den deutschen Dienststellen im damaligen Bezirksamt Lichtenberg über die verzögerte bauliche Einrichtung ist nachzulesen, wie wichtig und auch anspruchsvoll die Einrichtung dieses Friedhofs im Schlosspark Biesdorf für die sowjetische Seite wurde (vgl. auch die Beiträge von Lutz Heuer oder Oleg Peters in den Publikationen unseres Vereins sowie von Rolf Semmelmann im „Lesebuch Marzahn‐Hellersdorf“). So erfolgte im Auftrag der SMAD seit 1946 nach Plänen des Architekten und Mitarbeiters beim Bauamt des Magistrats Hassenteufel schrittweise die Instandsetzung des brandzerstörten Gebäudes des Schlosses Biesdorf (wahrscheinlich Brandstiftung der Nazis am 21. April 1945). Das Obergeschoss wurde abgetragen und eine stabile Zwischendecke eingezogen, eine Feierhalle und Verwaltungsräume eingerichtet. Um den südlichen Teil des Parks wurde eine Klinkermauer gezogen. Zeitweilig war auch die Rede von der Errichtung eines Ehrenmals im Schlosspark.
Das Bezirksamt in Lichtenberg (immer wieder wird Johannes Mielenz als Leiter des damaligen Garten‐ und Friedhofsamtes genannt) wollte den Park Schritt für Schritt zu einem Volkspark gestalten. Dazu zählt die 1955/56 errichtete Freilichtbühne mit etwa 2000 Plätzen. 1956 kam es zu einem Treffen in der sowjetischen Kommandantur in Karlshorst mit Vertretern des Bezirksamts Lichtenberg. Es wurde Konsens erzielt, im nördlichen Bereich des Friedhofs in Marzahn am Wiesenburger Weg (Parkfriedhof) einen sowjetischen Ehrenhain und Friedhof zu bauen und die Gräber aus Biesdorf umzubetten. So entstand der einzige ausländische Gefallenenfriedhof in Berlin, der nach deutschen Entwürfen (Bildhauer Erwin Kobbert) gestaltet wurde. Am 7. November 1958 konnte dieser neue Friedhof eröffnet und damit der südliche Teil des Schlossparks Biesdorf wieder Erholungszwecken zugeführt werden. In einem Protokoll von 1992 der zuständigen Berliner Senatsverwaltung und der sowjetischen Garnison von Berlin zum Friedhof Berlin‐Marzahn, Wiesenburger Weg, zu dem eine Liste der bestatteten Menschen gehört, wird vermerkt: „Im Jahre 1957 wurden auf den Friedhof 486 Menschen, die im Zeitraum von 1945 bis 1957 gefallen und gestorben sind, vom sowjetischen Militärfriedhof Berlin‐Biesdorf umgebettet.“
Wie wichtig und aktuell für das Schlossensemble die Erinnerung an diesen Zeitabschnitt ist, sprach Dr. Heinrich Niemann am Ende seines Vortrags an. So bleibt das Gedenken in unserem Bezirk an die Befreiung Deutschlands vom Faschismus lebendig und die Aufgabe, den Krieg als Mittel der Politik zu ächten und zu verhindern. In diesem Fall trug darüber hinaus der zeitweilige Friedhof entscheidend zum Erhalt dieses historischen Ortes bei. Sonst wäre wohl das brandzerstörte Schloss Biesdorf unmittelbar nach dem Krieg nicht erhalten geblieben. Mit seinem noch intakten „provisorischen“ Dach konnte es fast 70 Jahre später in seiner historischen Gestalt wieder aufgebaut werden. Auch der kostbare Altbaumbestand des Parks aus der Entstehungszeit blieb durch die geschützte Friedhofnutzung weitgehend erhalten.
Nachbemerkung: Auch auf der Informationstafel vor dem Schlosseingang sollte nun an den Friedhof erinnert werden. Der Erinnerungsstein mit seiner Inschrift, dessen Beschmutzung inzwischen von Bürgern beseitigt wurde, bedarf einer baldigen Instandsetzung. Dr. Lutz Prieß stellte wertvolle historische Quellen zu Verfügung.
Die Eröffnung der Ausstellung mit Werken Otto Nagels aus einer Privatsammlung am 17. Mai 2023 im Weddinger Kurt-Schumacher-Haus ist wunderbar verlaufen. Um die 60 Menschen, vor allem Schülerinnen und Schüler des Biesdorfer Otto-Nagel-Gymnasiums, gaben der Vernissage einen würdigen Rahmen.
Joachim Günther, der Vorsitzende des gastgebenden Kulturforums Stadt Berlin der Sozialdemokratie e.V. und Nadja Schallenberg, eine Enkelin Otto Nagels, eröffneten mit prägnanten kurzen Redebeiträgen die Ausstellung. Sie seien sehr froh, dass Otto Nagel in seinen Wedding zurück kehre.
Anschließend brachten zwei Schülerinnen und zwei Schüler mit Songs von Bertolt Brecht und Kurt Weill den Zeitgeist der 1920er Jahre in die Ausstellung. Das war eine sehr gut einstudierte Performance, die viel Beifall bekam.
Sodann stellte Frau Wolfram-Gagel, die verantwortliche Lehrerin im Kunst-Leistungskurs (11. Klassenstufe), das Projekt ihrer Schülerinnen vor. Aufgabe und Ziel war eine eingehende Auseinandersetzung mit den ausgestellten Werken Otto Nagels. Diese waren in Themen aufgeteilt, die als Lebenskreise bezeichnet wurden:
Nagel als Ehemann: Im Dialog mit Walli. Werk: Walli in der Waschküche, 1934
Nagel als Kurator in Saratow: Ein Dialog mit der Zeichnung. Werk: Gleisbau in Saratow, 1925
Nagel als Politiker in der DDR: Im Dialog mit der Zeichnung. Werk: Tagesordnung Volkskammer, 1950
Armut und Arbeitslosigkeit: Im Dialog mit der Grafik. Werk: Bettelleute, 1921
Der Hungerwinter in Berlin: Im Dialog mit Arbeitern. Werk: Passant im Regen an der Litfaßsäule, 1947
Armut und Hunger zur Zeit der Weimarer Republik: Im Dialog mit den Bettelnden in der Grafik. Werk: Städtisches Arbeitslosenzentrum im Wedding, 1926
Im Ergebnis, so erklären die Schülerinnen, seien eigene Malereien und Grafiken sowie Podcasts entstanden, die einen fiktiven Austausch mit den Werken und den darin abgebildeten Menschen präsentieren. Die in den Podcasts erzählten Geschichten basierten sowohl auf einer Literatur- und Internetrecherche als auch auf Interviews mit Zeitzeugen und Zeitzeuginnen. Hierkönnen Sie die Podcasts hören.
Als Beispiel sei hier die Hängung zum Lebenskreis “ Nagel als Ehemann: Im Dialog mit Walli“ gezeigt:
Unter den Gemälden und Zeichnungen der Schülerinnen war wirklich eine Menge an guter Qualität zu besichtigen. Mir sprang eine Zeichnung von Carla ins Auge, die eine Straßenszene zeigt. Die Zeichnung hat eine expressionistische Note und besticht durch eine sehr gute Komposition und gedimmte Farbigkeit, die den Blick klar über das Kunstwerk führt. Man blickt auf eine komplexe Arbeit, die dennoch Details inkludiert. Respekt.
Zum Abschluss überreichte Frau Wolfram-Gagel ihren Schülerinnen eine Rose. Der Abend klang bei vielen Gesprächen aus. Er war eine gelungene Symbiose von Heimkehr in den Wedding des Künstlers Otto Nagel und tiefgreifender Beschäftigung seines Werks durch Schülerinnen des Biesdorfer Gymnasiums.
Die Ausstellung ist noch bis zum 14. Juni im Wedding zu sehen. Es ist vereinbart, dass die Ausstellung im Frühjahr 2024 im Schloss Biesdorf präsentiert wird. Dann mit weiteren Arbeiten des jetzigen Kunst-Leistungskurses in der 12. Klassenstufe.
Am 24. Mai 2023 wurde innerhalb der Ausstellung „Lebenskreise – Otto Nagel. Nagels Werk aus der Sicht von Schülerinnen und Schülern“ in der Galerie Kurt-Schumacher-Haus in der Weddinger Müllerstraße 163 die Publikation
Otto Nagel (1894 – 1967). Maler – Publizist – Kulturpolitiker
vorgestellt. Herausgeber ist unser Verein „Freunde Schloss Biesdorf“. Im Vorwort des neuen Buches heißt es u.a.:
Die hier versammelten Autorinnen und Autoren eint nicht nur ihre Beziehung zu Otto Nagel als Maler, der auf ganz eigene Weise mit seinen Menschenbildern die Lebenslage des Proletariats besonders in den 1920er Jahren festgehalten und mit seinen Ansichten das „alte“ Berlin festhielt, auch mit der Vorahnung seiner Zerstörung. Sie führte auch das Motiv zusammen, die anderen Seiten des Lebens von Otto Nagel genauer zu beleuchten. Seine andauernde Tätigkeit als Publizist, politischer Netzwerker und Kulturorganisator in der Weimarer Republik und in kulturpolitischen Funktionen der jungen DDR, so als Präsident der neu gegründeten Akademie der Künste, macht sein Leben so besonders…
Dem Aufspüren, Nachgehen und Aufschreiben vor allem dieser Lebensphasen dienen die vorliegenden Texte. Unausbleibliche Wertungen aus dem geschichtlichen Nachhinein erfolgen mit Sorgfalt und Respekt vor dem Lebenswerk Otto Nagels. Dabei festigten sich die Kontakte und Bindungen zwischen den Akteuren der wichtigen Lebensorte Otto Nagels in Berlin: dem Wedding und Biesdorf.
Die Schutzgebühr für den Band beträgt 8,00 Euro. Er ist erhältlich bei der Buchhandlung Kohs am S Kaulsdorf, im Café Schloss Biesdorf, voraussichtlich bei Thalia im Eastgate, im Bezirksmuseum Marzahn-Hellersdorf im Dorf Marzahn und auch über den Verlag Walter Frey. Über weitere Vertriebswege informieren wir Sie demnächst.
Wie einer Pressemitteilungdes Bezirksamtes Marzahn-Hellersdorf vom 3. Mai 2023 zu entnehmen ist, wurde bereits im Jahre 2013 begonnen, eine Ausschilderung des Schlossparks Biesdorf vorzubereiten. Im November 2020 fand ein Gespräch von zwei Mitgliedern unseres Vereins Freunde Schloss Biesdorf e.V. mit dem Leiter des Fachbereichs Grün im Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf von Berlin zum Thema Beschilderungskonzept für den Schlosspark Biesdorf statt. Das dezente Design war schon erarbeitet. Wir befürworteten den Ansatz, an allen Zugängen des Parks Übersichtspläne aufzustellen und an sinnvollen Stellen Wegweiser im Park zu installieren. Außerdem sollte als Außenwerbung ein von den Straßen aus gut sichtbares Willkommensschild an der Ecke Alt-Biesdorf/Blumberger Damm hinter der Parkmauer aufgestellt werden.
Wir nahmen gerne das Angebot zu einem Ortstermin im Park an, bei dem die konkreten Aufstellorte und deren Beschriftungen festzulegen waren. Diese Begehung fand auf Einladung des Bauleiters Landschaftsbau des Bezirksamtes zusammen mit der Gruppenleiterin der Unteren Denkmalschutzbehörde und der Firma eckedesign im November 2021 statt. Die Vertreterin der Firma eckedesign protokollierte die gemeinsam abgestimmten Aufstellpunkte für Übersichtspläne und Wegweiser und deren Ausrichtung. In den folgenden Wochen bis Anfang 2022 fand ein reger Mail-Austausch zu den Inhalten der Wegweiser und deren Optimierung statt.
Wir konnten durch unsere Ortskenntnis für die Aktualisierung des Wegeplans sorgen (eine im Plan noch enthaltene alte Wegverbindung gab es schon seit einiger Zeit nicht mehr und an den Neubauten neben der westlichen Parkgrenze war inzwischen der Kleine Parkweg entstanden).
Nach längerem Warten ist
nun in den letzten Apriltagen 2023 das Leitsystem verwirklicht worden. An allen
fünf Zugängen befinden sich die Übersichtspläne. Die Wegweiser sind gut zu
erkennen, fügen sich in den Park ein und werden hoffentlich ausreichend
Orientierung für die Besucher sowohl zu den interessanten Punkten des Parks als
auch zurück zu den Ausgängen und Verkehrsanbindungen (S- und U-Bahn, Bus) bieten.
Neu wurde eine sehr informative Hinweistafel in der Nähe der Anfang Mai 2020 gepflanzten drei Birken aufgestellt, die an den einstigen sowjetischen Friedhof erinnern.
In Berlins historischer Mitte ist in den letzten Jahren viel gegraben und vermessen worden. Es gibt Debatten über die Gestaltung des ehemaligen Molkenmarktes, neu gebaute Häuser verbuchen für sich, über dem ehemaligen Cöllnischen Fischmarkt oder dem Petriplatz zu residieren. Fast alle lebenden Menschen kennen die historische Mitte nur von Fotos; ihnen fehlt in der Regel die Vorstellungskraft für diese versunkene Welt. Als Ende der 1960er Jahre die Bausubstanz des Fischerkietzes abgetragen wurde, war Berlin als mittelalterliche Doppelstadt praktisch unhistorisch geworden. Heutige Debatten sind geprägt vom Willen, die alte Stadt ein wenig sichtbarer werden zu lassen.
Am 2. April ging im Museum Eberswalde eine Ausstellung mit Berlin-Bildern von Otto Nagel zu Ende, die auch an die alte Mitte erinnert. Sie trug den Titel „Otto Nagel – Menschensucher und Sozialist“ und zielte vor allem auf geschärfte biografische Details, die sich aus einer gesicherten Quellenlage im Archiv der Akademie der Künste ergaben. Ich nehme drei Werke des Künstlers zum Anlass, um die historischen Lokationen zu erkunden.
Ausgewählt habe ich:
Hauseingänge in der Friedrichsgracht II, 1965
Blick auf das Gasthaus „Nussbaum“, um 1954
Am Köllnischen Fischmarkt, 1965
Hauseingänge in der Friedrichsgracht II, 1965
Als im Jahre 2019, anläßlich des 125. Geburtstages seines Namensgebers, das Otto-Nagel-Gymnasium die Pastellzeichnung „Hauseingänge in der Friedrichsgracht II“ erwarb, bewegte mich die Frage, ob die originale Lokation noch rekonstruierbar sei und ob das Internet eine entsprechende Recherche hergäbe.
In der Erinnerung war mir der historische Fischerkiez präsent. Mein Vater hatte mich um 1960 ein oder zwei Mal dort nach der Maidemonstration hingeführt. Das Viertel erschien mir schäbig und ungemütlich. Die Häuser waren verfallen und nicht selten blickten trübe Gestalten aus den Fenstern. Ich wollte nur schnell weg. Mein Vater stammte vom Gesundbrunnen, er war dem Weddinger Otto Nagel nahe und kannte alle Bildmotive, die der Maler dort gefertigt hatte. Bald wurde der Fischerkiez endgültig abgerissen und Hochhäuser an seine Stelle gesetzt. Die Zeitungen feierten die Veränderungen. Mir war durch eine Kommilitonin der Komfort der Hochhäuser bekannt. Ich konnte mich für die Bilder Otto Nagels und die Welt dahinter nicht begeistern.
Nun, Jahrzehnte später, erinnerte ich mich wehmütig. Um so größer wurde der Wunsch, Dinge zu entschlüsseln, sie zurück zu holen, die leichter zu haben gewesen wären.
Otto Nagels Pastellbild „Hauseingänge in der Friedrichsgracht II“ zeigt zwei Hauseingänge, beide mit Doppeltüren und Oberlicht ausgestattet. Zu beiden führen zwei steinerne Stufen. Die linke Tür ist rotbraun gestrichen, die rechte grün. Zu erkennen sind außerdem zwei Zugänge in das Souterrain und ein Kellerfenster.
Gibt es Bilder von Nagel, die diese Motive in breiterer Perspektive zeigen? Natürlich. Zuerst wäre da das Titelbild auf dem Band „Berliner Bilder“: das Panorama der Fischerinsel.
Vorne ist ein Kanal zu sehen und hinter den verschachtelten kleinen Häusern ragen die Türme der Nikolaikirche und das Rote Rathaus hervor. Finden sich hier die beobachteten zwei Hauseingänge? Wenn man das Panorama genau betrachtet, stehen in der Bildmitte sogar vier Häuser mit Doppeltüren und Oberlicht. Die Häuser stehen relativ nahe zum Mühlendamm, also am Anfang der historischen Friedrichsgracht. Die Inselbrücke ist nicht zu sehen, aber sie muss nah sein. Otto Nagel hatte für die Skizzierung des Panoramas das Gewerkschaftshaus in der Wallstraße genutzt. Das Haus lag genau gegenüber und war der ideale Aussichtspunkt. Das Gewerkschaftshaus war Anfang der 1920er Jahre von dem Architektenbüro Max Taut und Franz Hoffmann entworfen und 1932 von Walter Würzbach erweitert worden.
Nagels Motto als Künstler war stets: zeigen, was ist! Man kann also davon ausgehen, dass alles, was Nagel zeichnet oder malt, auch existiert. Bald fand ich im Netz noch ein weiteres Bild dieses Teils der Friedrichsgracht. Es ist ein Gemälde von Anna Gumlich-Kempf aus dem Jahre 1910. Bei ihr gibt es noch keine grüne Tür.
Wie nun weiter mit der Feststellung der Doppeltüren? Das Beste wäre, nach historischen Fotos zu suchen, die die Friedrichsgracht zeigen. Davon gibt es im Netz viele Angebote. So bietet etwa die Homepage „Historischer Hafen Berlin“ reichlich Anschauungsmaterial. Bald fand ich Fotos mit den Häusern und lernte, dass diese Häuser, es sind vier, aus der Zeit des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg stammen: sie wurden in der Periode nach Ende des 30jährigen Krieges 1648 und bis zum Tod des Kurfürsten 1688 errichtet.
Nun kann man auch die gesamte Häuserzeile zwischen Inselbrücke und Fischerstraße identifizieren: Es sind die Adressen Friedrichsgracht 1 bis 11. Das war offensichtlich Otto Nagels Lieblingsplatz, denn hier ist das Foto mit ihm als Künstler im Fischerkiez entstanden. Er sitzt hier vor den Kurfürstenhäusern, wie diese umgangssprachlich genannt wurden.
Die weitere Recherche wird nun einfacher. Am Ende erkennt der Suchende, dass das Pastell „Hauseingänge in der Friedrichsgracht“ die Hauseingänge der historischen Adresse Friedrichsgracht 8 und 9 abbildet.
Abschließend ein Vergleich der Zeile Friedrichsgracht 1 bis 11 im frühen 20. Jahrhundert und heute.
Blick auf das Gasthaus „Nussbaum“, um 1954
Die Gaststätte „Nussbaum“ ist heute bekannt als Nachbau im Nikolaiviertel. Das Nikolaiviertel bildet im Wesentlichen Alt-Berlin ab. In Wirklichkeit lag der „Nussbaum“ in Alt-Cölln in der Fischerstraße, also auf der südwestlichen Spreeseite, etwa 800 Meter entfernt. Die Fischerstraße gibt es heute nicht mehr. Sie lag aber gleich um die Ecke, wie der Berliner sagt, von den gerade besprochenen Kurfürstenhäusern. Sie ging von der Friedrichsgracht ab.
Direkt neben dem Eckhaus schließt sich die Adresse Fischerstraße 21 an.
Der „Nussbaum“ war die Lieblingskneipe von Heinrich Zille und er wird einige Male mit Otto Nagel den Staub der Straßen hier herunter gespült haben. Zille arbeitete 15 Jahre am Dönhoffplatz als Lithograph und lief nach der Arbeit oft durch den Fischerkietz. In den 1920er Jahren, in denen Zille und Nagel befreundet waren, war Pinselheinrich allerdings schon recht krank, der Arzt hatte ihm zum Alkoholverzicht geraten. Dennoch wurde der „Nussbaum“ auch für Otto Nagel, wie für viele Berlin-Maler, ein besonderes Motiv. Das hier gezeigte Pastell stammt nach Einschätzung des Archivs der Akademie der Künste aus dem Jahre 1954. Das Gasthaus wurde bereits 1943 bei schweren Bombenangriffen zerstört, wie auch ein Teil der vorderen Friedrichsgracht. Da auch das Werk Otto Nagels zu drei Viertel dem Bombenfeuer zum Opfer fiel, hat er wohl das Haus aus der Erinnerung erneut gezeichnet.
Abschließend die Erinnerung eines Berliners aus dem Jahre 1925: „Wir biegen in die Fischerstraße und sind wie in einer Stadt für sich. Das war hier einmal die älteste Straße des Fischerdorfes Cölln, und sie hat sich bis zum heutigen Tage von ihrer Eigenart manches bewahrt. Da steht gleich ein kostbares Häuschen, das »Gasthaus zum Nußbaum«, spitzgieblig über die Maßen, von seinem Nußbaum halb verdeckt; der Kellerhals im Innern zeigt die Jahreszahl 1571.“ (Zitiert nach: Adolf Heilborn, Die Reise nach Berlin. Berlin 1925)
Der „Nussbaum“ ist heute fester Bestandteil jedes Touristenbesuches im Nikolaiviertel.
Am Köllnischen Fischmarkt, 1965
Dieses Pastell erscheint vielen Betrachtern als vollbrachte Geschichte: der Köllnische Fischmarkt ist nicht mehr und kaum jemand weiß, wo er sich befand. Die frontal abgebildeten vier schmalen Häuser werden irgendwo gestanden haben, die auf der rechten Bildseite erkennbaren Bauarbeiten lassen darauf schließen, dass sie keine längere Lebensperspektive hatten. Und doch ist das Gegenteil der Fall.
Die stadtgeschichtliche Aufarbeitung gerade dieses Pastells ist hochinteressant. Es zeigt die Perspektive zwischen Breite Straße und Gertraudenbrücke entlang der Gertraudenstraße und endet bei den Häusern, die, ich nehme es vorweg, an der Kleinen Gertraudenstraße stehen. Die Strecke ist durch den Krieg völlig leer geräumt, sie war vorher prall überbaut.
Um diese historische Perspektive nachvollziehen zu können, ist ein Blick auf den historischen Stadtplan unersetzlich.
Der Köllnische Fischmarkt schloss sich unmittelbar dem Mühlendamm an. Weiter westlich, auf der anderen Seite der Breite Straße, erhob sich das Cöllnische Rathaus. An ihm vorbei führte dann die Gertraudenstraße Richtung Gertraudenbrücke.
Man sieht dem Foto an, dass das Rathaus seinen Charme verloren hatte. Seine eigentliche Funktion hatte es niemals angenommen, es wurde lange Zeit als Gymnasium und zuletzt als Museum genutzt. Im Jahr 1899/1900 wurde das Cöllnische Rathaus abgerissen.
Wenn man aber die Gertraudenstraße von der anderen Seite, vom Spittelmarkt aus, betrachtete, entstand sofort ein anderer Eindruck.
Der Architekturhistoriker Prof. Dr. Harald Bodenschatz hat den Wert der Gertraudenstraße im späten 19. Jahrhundert so eingeschätzt: „Der Spittelmarkt diente als Sammelpunkt des Verkehrs vor dessen Eintritt in die Altstadt und vermittelte zugleich den Schwenk des Hauptstraßenzuges nach Nordost. Nach Passieren der Gertraudenbrücke erreichte man bald den Petriplatz, das Herz des mittelalterlichen Cölln, mit der die Bürgerhäuser überragenden Petrikirche. Kurz darauf folgte der Köllnische Fischmarkt mit dem alten, 1899 abgebrochenen Rathaus von Cölln. Der Fischmarkt schließlich mündete in das Nadelöhr des Mühlendamms, der zum Molkenmarkt auf der Berliner Seite der Spree führte. Wie bei keinem zweiten Straßenzug der Altstadt entfaltete diese Folge von unregelmäßigen Stadträumen das für eine lebendige Stadt typische Ineinandergreifen von Passage und Halte-Plätzen. Hier war ‚Haus für Haus ein Laden zu finden‘, hier erhob sich eines der größten Einkaufszentren Berlins, das 1839 gegründete Kaufhaus Hertzog.“ (s. Homepage Harald Bodenschatz: Berlin – Auf der Suche nach dem verlorenen Zentrum)
Berlin hatte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts rasant entwickelt. Die Industrialisierung hatte die Stadt mit Urgewalt ergriffen und einen riesigen Bedarf an Arbeitskräften erzeugt. Das hatte Auswirkungen auf den Stadtverkehr. Der Mühlendamm war zum Nadelöhr geworden. In einer Verkehrszählung von 1891 zählte man in 16 Stunden mehr als 60.000 Wagen aller Art und über 40.000 Passanten. Deshalb begann ein umfangreiches Abrissprogramm, in dessen Ergebnis die Brücke erweitert wurde. Aber bereits 1930 veröffentlichte die Bauverwaltung des Magistrats eine Denkschrift, die für einen neuerlichen Umbau des Mühlendamms eine Gesamtbreite von 37 Metern vorsah. Diese Planung wurde dann 1968 realisiert. So war Otto Nagels alte Stadt weit vor dem 2. Weltkrieg als Hindernis für die moderne Stadt taxiert worden.
Nach Ende des 2. Weltkrieges war die Gegend nicht wiederzuerkennen. Zwar war eine gewisse Bausubstanz erhalten geblieben, aber das städtische Leben war aus der Altstadt gewichen. Die systematischen Bombardierungen und die letzten Kämpfe um Berlin hatten die Stadt hilflos hinterlassen. Die Gegend um den Petriplatz sah um 1954 einfach leer aus.
Schließlich wurden große Teile der alten Stadt abgetragen, um auf ihren Fundamenten ein modern konzipiertes Wohngebiet mit der notwendigen sozialen Infrastruktur zu errichten. Heute wird auf das verantwortungslose und unhistorische Agieren der DDR-Regierung verwiesen. Sie hätte den historischen Kern Berlins zerstört und die Gertraudenstraße zu einer seelenlosen Betonstraße funktioniert. Nach dem Krieg ging es überall in Deutschland darum, schnell neue Wohnungen zu schaffen und ein Alltagsleben wieder herzustellen. Wer die Stadtautobahnen in Westberlin kennt, darf sich die Frage stellen, ob Mühlendamm und Gertraudenstraße unter anderer Besatzung nicht Kern einer verbindenden Autobahn zwischen City Ost und West geworden wären. Für den heutigen Autoverkehr reicht die Kapazität des Mühlendamms gerade aus, in der Rush Hour ist die Strecke überlastet. Nicht zu vergessen: die Substanz von Alt-Berlin und Alt-Cölln war bereits vor dem Krieg seit Jahrzehnten derart verschlissen, dass eine Instandsetzung einer grundsätzlichen Sanierung gleichgekommen wäre. Dafür waren weder Zeit noch Ressourcen vorhanden.
Es wäre allerdings möglich gewesen, mehr erhaltenswerte und sogar denkmalgeschützte Einzelgebäude zu restaurieren und in die neuen Stadtlandschaften einzubetten.
Zurück zu unserem Ursprung – dem Pastell „Am Köllnischen Fischmarkt“ von Otto Nagel. Vor wenigen Wochen stieß ich bei meinen Recherchen auf ein Foto in der Märkischen Oderzeitung.
Ich war wie vom Blitz getroffen: das ist genau derselbe Blick, den Nagel 1965 auf diese Häuser hatte. Diesmal allerdings im Jahre 2019. Die Archäologin Claudia Melisch hatte mit ihrem Team den ehemaligen Petriplatz erforscht. Sie war dabei, als 3000 Gräber des Petri-Kirchhofs entdeckt wurden. Anhand der über 800 Jahre alten Skelette forschte sie gemeinsam mit Charité-Wissenschaftlern nach den Ureinwohnern der Doppelstadt. „Anhand der Knochen kann man etwas über die Lebensbedingungen und die Herkunft der Menschen erfahren“, erklärte Melisch damals. Weil die 40 ältesten männlichen Toten nicht miteinander verwandt waren, gehe man davon aus, dass die Gegend nicht mit Familien besiedelt wurde. Die Menschen, die sich vor mehr als 800 Jahren auf dem Handelsweg zwischen Magdeburg und Frankfurt (Oder) an der Spree niederließen, stammten ähnlich wie heute aus verschiedenen Gegenden. (s. moz.de vom 15.5.2019)
So sind über den Umweg der archäologischen Erforschung des Petriplatzes und der Neubebauung der Strecke zwischen Breite Straße und Jungfernbrücke die Lokationen des Pastells „Am Köllnischen Fischmarkt“ auf neue Weise deutlich geworden. Die Spuren Alt-Berlins sind weitgehend, aber nicht völlig verwischt. Der Senat von Berlin will daher in geeigneter Weise zur Wiedererkennung beitragen. Zum Petriplatz schreibt er in einem Plaungsdokument: „Städtebauliches Ziel ist es, die besondere Bedeutung dieses Ortes unter Einbeziehung archäologischer Spuren wieder erlebbar zu machen. Der Petriplatz soll in historischer Kontur, aber zeitgemäßer Gestaltung neu entstehen.“ (s. Petriplatz/Breite Straße bei www.stadtentwicklung.berlin.de) Am Ort der früheren Petrikirche ist ein interkonfessionelles Bet- und Lehrhaus – nunmehr House of One – geplant. Der Platz wird umgeben sein mit einer urbanen Mischung aus Wohnungen, Läden, Gaststätten und Büros sowie einem archäologischen Besucherzentrum.
Das House of One entsteht nach Plänen des Berliner Architekturbüros Kuehn Malevizzi. Beim Bau soll große Rücksicht auf die archäologischen Überreste der einstigen Petrikirchen genommen werden. Im Untergeschoss wird eine acht Meter hohe Halle die Überreste der historischen Gebäude angemessen präsentieren.
Ob dieser produktive Ansatz realistisch ist, nämlich die alte Stadt in der neuen wieder zu erkennen, wird beim Besuch der Lokationen als Problem offenbar. Das Cöllnische Rathaus soll seine Kubator im Hotel Capri spiegeln. Dies ist an der Kreuzung Gertraudenstraße/Breite Straße einfach nicht erkennbar. Der ehemalige Cöllnische Fischmarkt ist eine banale Anhäufung von Straßenverkehr. Die umstehenden Gebäude sind mit den üblichen Betonfassaden verhüllt und schüchtern ein oder stoßen ab.
Kommen wir zum Schluss auf den Punkt und entschlüsseln die vier Häuser an der Kleinen Gertraudenstraße.
Links das Geschäftshaus Gertraudenstraße 10-12, auch bekannt als Juwel-Palais. Es wurde 1897-98 von Georg Roensch und Max Jacob als Pfeilerbau mit Sandsteinfassade in gotisierenden Formen errichtet. Die Sichtbeziehung zur Petrikirche hat vermutlich bei der Wahl des gotischen Stils eine Rolle gespielt. Das Haus hatte nur leichte Kriegsschäden und wurde nach dem Krieg als Bürohaus genutzt. Dieses eindrucksvolle Gebäude ist das letzte erhaltene von vielen hochkarätigen Geschäftshäusern entlang der Gertraudenstraße, die den Krieg nicht überstanden haben. Aus jüngerer Zeit ist es bekannt durch das Geschäft Hochzeitsausstatter.
Mittig das Wohnhaus Kleine Gertraudenstraße 3/4. Es wurde um 1862 errichtet, Bauherr war Carl Eduard Achilles, ein umtriebiger Unternehmer. Das Haus dient heute als Hotel.
Schließlich auf der rechten Seite das Wohnhaus Scharrenstraße 17 aus dem Jahre 1780. Das Landesdenkmal beschreibt diesen Komplex:
Das erhaltene Ensemble historischer Bauten an der Gertraudenstraße 10-12 umfasst einen Baublock südwestlich des ehemaligen Standorts der Petrikirche und das Pfarrhaus von St. Petri an der Friedrichsgracht, darüber hinaus die alte Gertraudenbrücke, die noch den ursprünglichen Verlauf der Gertraudenstraße markiert. Der Wohn- und Geschäftshauskomplex zwischen Scharren-, Gertrauden- und Kleiner Gertraudenstraße sowie Friedrichsgracht besteht aus drei Gebäuden, die im 18. und 19. Jahrhundert erbaut und 1975 als „Traditionsinsel“ saniert worden sind. Im Inneren sind die Wohnhäuser komplett umgebaut, an den Fassaden wurden sie zum Teil frei rekonstruiert. Trotzdem vermitteln sie auf dem Gebiet des historischen Zentrum Köllns noch ein Bild von der ehemaligen kleinteiligen Bebauungsstruktur.
Nun wird die Häuserzeile aus historischen Berliner Zeiten gnadenlos abgedrängt zu Gunsten einer konfektionierten Architektur, die die Hauptstadt massenhaft überschwemmt.
Die alte Stadt Otto Nagels erscheint nun als unendliche, zubetonierte Trostlosigkeit. Eine Wiedererkennung des historischen Petriplatzes will sich nicht einstellen. Er ist nun eingeklemmt zwischen House of One und Scharrenstraße und umfasst 823 qm. Otto Nagel sind diese Peinlichkeiten erspart geblieben. Seine Phantasie wäre überfordert worden.
Der am meisten reale und menschliche Ort am Petriplatz ist: das „Café am Petriplatz“. Es öffnet trotz ungemütlicher Umstände und lässt sich in den sozialen Medien von seinen Gästen loben.
Die BIESDORFER BEGEGNUNG mit Daniela Dahn am 1. März 2023
Im wohl erstmals seit der Pandemie wieder voll besetzten Heino-Schmieden-Saal gestaltete sich die Lesung zu dem jüngsten Buch der bekannten Publizistin „Im Krieg verlieren auch die Sieger – Nur der Frieden kann gewonnen werden“ zu einem nachdenklichen und inhaltsreichen Abend. Am Beginn erinnerte Dr. Niemann für unseren Verein an die Biesdorfer Begegnung vor fast fünf Jahren, lange vor diesem Krieg, mit dem Thema „Deutschland – Russland – Europa: Brauchen wir einander?“ und die, aus heutiger Sicht beklemmend, mahnenden Aussagen des damaligen Gastes Matthias Platzeck (nachzulesen auf unserer Vereinshomepage). Als Eröffnung der Lesung wählte Daniela Dahn ihren kritisch-analytischen Beitrag zur tendenziösen Berichterstattung vieler Medien über die große von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer initiierte Kundgebung „Aufstand für Frieden“ am Brandenburger Tor (siehe Berliner Zeitung vom 2.3.23), in der u.a. eine unzureichende Abgrenzung gegen rechts und die AfD unterstellt wird.
Die im Anschluss von ihr gelesenen Abschnitte aus ihrem jüngsten Buch setzten sich mit der Vorgeschichte und Hintergründen dieses Krieges auseinander. Das betraf die Rolle und Ziele der USA und NATO ebenso wie des Aggressors Russland in diesem Konflikt, aber auch die Lage und Politik der Ukraine und den Einfluss des Westens auf diese. Anhand ausgewählter Beispiele – komplett nachzulesen in ihrem Buch – trug sie ihre Antworten auf kritische Fragen, auch Vorwürfe ukrainischer Bürger an sie als Mitunterzeichnerin des offenen Briefes „Deeskalation jetzt! Dem Schutz der Bevölkerung Vorrang einräumen!“ vom April 2022, wenige Wochen nach Kriegsbeginn, vor. Die zentrale Fragestellung ihres jüngsten Buches widerspiegelt folgender Gedanke: „Der gegenwärtige Krieg ist eine einzige Katastrophe – für die ganze Welt, aber vor allem für die Ukraine. Wer immer darüber nachdenkt, fragt sich, wie dem geschundenen Land und seinen Menschen am wirksamsten zu helfen ist. Von Anfang an standen sich zwei diametrale Sichtweisen über die zweckmäßige Unterstützung gegenüber – Waffen oder Waffenstillstand. Das unbestrittene Recht auf bewaffnete Verteidigung gegen einen Angriffskrieg oder bestreitbare diplomatische Lösung. Ein Kriegsende als Siegfrieden nach opferreichen Kämpfen auf dem Schlachtfeld oder mit Blick auf die allseitigen Fehler in der Vorgeschichte sieglos, mit beidseitigen Kompromissen am Verhandlungstisch.“
In dem sich anschließenden Gespräch, moderiert von der ehemaligen Bezirksbürgermeisterin, Frau Dagmar Pohle, brachten zahlreiche TeilnehmerInnen mit Fragen und Statements ein breites Spektrum ihrer Sorgen vor einer Ausweitung des Krieges und den Möglichkeiten, ihn zu beenden, zum Ausdruck. Fragen nach der Rolle der von Daniela Dahn bezeichneten „selbstgleichgeschalteten“ Medien, nach den Brzezinski-Doktrinen zu einer Vorherrschaft der USA, dem Sinn der Sanktionen gegen Russland, dem Widerstand gegen den Krieg in Russland selbst, nach Profiteuren an diesem Krieg bis hin zum gerade bekanntgewordenen 12-Punkte-Plan Chinas und vor allem aber nach dem „Wie weiter?“ waren von besonderem Interesse.
Daniela Dahn reflektierte in ihren Antworten auch kritisch die Situation in der Friedensbewegung und in der Linken und formulierte als Aufgabe, sich auf die zentralen Forderungen zu konzentrieren, den Krieg zu beenden und dafür den Druck auf diplomatische, auf Verhandlungslösungen zu verstärken. Zum Abschluss der Veranstaltung hatten die TeilnehmerInnen die Gelegenheit, am Tisch der Buchhandlung Kohs (S-Bhf. Kaulsdorf) Bücher der Autorin zu erwerben und am Ende der nachdenklich stimmenden BIESDORFER BEGEGNUNG von der Autorin Daniela Dahn signieren zu lassen, wovon reger Gebrauch gemacht wurde.
Die aktuelle Ausstellung im Schloss Biesdorf mit Arbeiten von Jürgen Wittdorf, die in der Öffentlichkeit sehr gut ankommt, wird von westlichen Kunstkritikern häufig aufgeladen mit einer politischen Komponente – schwul sein im Kommunismus. Wer genauer hinguckt und sich des täglichen Lebens in der DDR erinnert, stellt schnell fest: Wittdorf war einer von 17 Millionen. Er hat gearbeitet, er hat Ziele gehabt, er wollte auch leben und er ist Kompromisse eingegangen. Nun regt er mit seinem Werk an, sich entscheidende Abschnitte in der Geschichte der DDR genauer anzuschauen.
Jürgen Wittdorf, geboren 1932, stammt aus Karlsruhe. Die Familie zog bald nach Königsberg (Ostpreußen), weil der Vater dort Versicherungsdirektor geworden war. Ende 1944 begab sich die Familie auf die Flucht und landete im Erzgebirge; sicher auch, weil der Großvater Professor an der Dresdner Kunstgewerbeschule war. Neue Heimat wurde Stollberg, eine Kleinstadt zwischen Zwickau und Chemnitz. Hier absolviert Jürgen die 10. Klasse und belegt danach einen Zeichenkurs bei Walter Schurig. Er hatte schon als Kind viel und gut gezeichnet. Öfter fuhr er in die Dresdner Galerien, wo er sich zunächst für barocke Malerei interessierte. 1952 kann er an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig ein Studium aufnehmen, das er fünf Jahre später erfolgreich beendet. Er beginnt zu arbeiten, wird Mitglied des Verbandes Bildender Künstler und der SED.
Als Student in Leipzig ist Wittdorf oft im dortigen Zoo und zeichnet. Wir sehen von ihm vor allem große Tiere wie Elefanten und Flusspferde. Aus diesen Anfängen entsteht ein Auftrag des Kulturfonds: der Zyklus „Tiermütter und Kinder“, der in der Ausstellung ausgiebig gezeigt wird. Es sind viele gut beobachtete Szenen dabei, witzige und manchmal sogar erotische. Wittdorf erhält anschließend den Auftrag, die moderne Landwirtschaft in einem volkseigenen Gut zu beobachten: er sieht genau hin und zeichnet „Gepferchte Kälber“ und andere Szenen der Massentierhaltung. Im Gegenzug präsentiert er einen zufrieden grunzenden „Zuchteber“. Von Anfang an ist Jürgen Wittdorf den Motiven seiner Auftraggeber verbunden. Sie bestimmen sein Werk. Er will arbeiten und er will gut leben. Das ist seine Richtschnur.
Zu Beginn der 1960er Jahre bekommt Wittdorfs Karriere starken Auftrieb. Auch dieser ist den Umständen der Zeit geschuldet. Nach dem Mauerbau setzt in der DDR eine Debatte ein, wie nun, endlich, mit dem Aufbau des Sozialismus Ernst gemacht werde. Das alte Argument, dass der Feind immer und überall und die Erhaltung der Staatsmacht das Allerwichtigste sei, zählt nicht mehr. Die Mauer war da – nun mussten Versprechen eingelöst werden. Die Gründergeneration der DDR, die um 1930 Geborenen, die in den 1950er Jahren studiert hatte, drängte nach vorn. Wichtige informelle Prozesse fanden vor allem im „FORUM“, der Studentenzeitung der FDJ, statt.
Kaderentscheidungen befördeten den Fortgang. Alexander Abusch wurde 1961 als Kulturminister von dem 34jährigen Hans Bentzien ersetzt, als stellvertretender Ministerpräsident blieb er allerdings Bentziens Vorgesetzter. In seinem Buch „Die Osteutschen. Kunde von einem verlorenen Land“ beschreibt der Soziologe Wolfgang Engler diese Entwicklung: „Die energisch zupackenden Jungen fanden sich vielerorts, auf verschiedenen Ebenen, und sie fanden auch zusammen. Betriebs- und Fachdirektoren, die die Dreißig kaum überschritten hatten, waren zu Beginn der sechziger Jahre keine Seltenheit. Sie unterhielten enge Kontakte zu gleichaltrigen Ingenieuren, Städteplanern, Architekten, Kulturhausleitern, leitenden Redakteuren und Journalisten. Letzteren war es vornehmlich zu danken, dass der neue, unprätentiöse, sach- und erfolgsorientierte Stil dieser informellen Kreise Eingang in die umfassendere Öffentlichkeit fand.“
Die Emanzipationsbestrebungen artikulierten sich besonders im kulturellen Bereich. Allen voran der Spielfilm, dann Lyrik und Prosa, bildende Kunst und Musik, Dramatik und Theater erlebten in den frühen Sechzigern „eine bis dahin nicht gekannte und auch später in dieser Breite und Intensität nicht wieder erreichte Blüte“, wie Engler an anderer Stelle schreibt. Zur Erinnerung seien genannt: die Spielfilme „Der Fall Gleiwitz“ und „Der geteilte Himmel“ sowie der Auftakt der epochalen „Golzow“-Langzeitdokumentation. Im Lyrik-Bereich fanden öffentliche Lesungen vor hunderten jungen Leuten statt, aus denen Anthologien entstanden. Stephan Hermlin hatte diesen Prozess wesentlich angestoßen. Volker Braun, Wolf Biermann und die Kirsch’s waren hierfür Repräsentanten.
In der Prosa wurden Bücher wie „Ole Bienkopp“ von Erwin Strittmatter vorgelegt, ein Denkmal jener Jahre. Heiner Müller und Peter Hacks schrieben vieldiskutierte Theaterstücke. Als Walter Ulbricht in seiner Eigenschaft als 1. Sekretär des ZK der SED dem Chefredakteur der Studentenzeitschrift „FORUM“ Kurt Turba (34) den Vorschlag unterbreitete, sehr schnell die Leitung der Jugendkommission des Politbüros zu übernehmen und sofort ein Jugendkommuniqué zu schreiben und zu veröffentlichen, glich das bereits einer Palastrevolution gegen die Hardliner im Parteiapparat. Am Ende steht das, ansonsten öde, Jugendkommuniqué mit solchen Sätzen am 22.9.1963 im „Neuen Deutschland“:
Es geht nicht länger an, „unbequeme“ Fragen von Jugendlichen als lästig oder gar als Provokation abzutun, da durch solche Praktiken Jugendliche auf den Weg der Heuchelei abgedrängt werden.
Es muß ein für allemal Schluß damit gemacht werden, daß mancherorts Jugendliche durch bürokratisches Verhalten von Leitern und Erziehern, durch Unverständnis und Gängelei zum Opponieren verleitet werden.
Wir brauchen keine mit Thesen und Leitsätzen vollgestopften „Bücherwürmer“, sondern gebildete und vorwärtsdrängende Menschen, die sich nicht scheuen, mitten ins Leben zu greifen.
In diesem politischen und kulturellen Kraftfeld befindet sich Jürgen Wittdorf. In der bildenden Kunst gibt es Fortschritte in den Motiven und der Gestaltung allerdings zeitverzögert. Noch herrschen Ansichten von einem klassengebundenen Realismus, einer abzulehnenden künstlerischen Moderne und einer nötigen Reglementierung des Kunstbetriebs.
Dagegen stemmen sich Cremer, Sitte, Heisig und andere. Fritz Cremer etwa organisiert im Herbst 1961 die Ausstellung „Junge Künstler – Malerei“ und im darauf folgenden Frühjahr „Junge Künstler – Graphik und Plastik“ in der Akademie der Künste, die postwendend zu politischen Kontroversenführte. Otto Nagel, der sich für beide Ausstellungen als Präsident der Akademie der Künste stark gemacht hatte, wird als Präsident abberufen und auf den Stellvertreterposten geschoben. Wittdorf nimmt die Chance an, sich an der Auseinandersetzung zu beteiligen.
Nach seiner Tierepisode bezieht er sich nun auf Menschen; zuerst auf Kinder, die schwimmen lernen. Er erarbeitet sich viele Grundlagen, die er später in den Zyklus „Jugend und Sport“ fließen lässt. Wittdorf konzentriert sich zunächst auf die Darstellung von jungen Menschen. Junge Menschen, so das Bild der SED, lernen, studieren und arbeiten, um kühne Erbauer des Sozialismus zu werden. Wer anderen Lebensentwürfen folgte, war schnell ein Gammler oder Beatfan. Wittdorf sucht nach Allegorien, die die Jugendlichen in ihrer eigenen Welt, in ihrer eigenen Wahrnehmung zeigen. Er entdeckt den jungen Vater ohne Bart, das Liebespaar im Hauseingang oder das Motorrad mit der Sozia. Diese Bilder kommen an, sie werden aus den Zeitungen geschnitten und an die Wand gepinnt. Der Zyklus wird in der oben genannten Cremer-Ausstellung gezeigt. Ich erinnere mich noch gut, dass wir in der Schule über die Bilder sprachen und eine positive Resonanz zogen. Was an den Grafiken wichtig war – wir ahnten es meist nur -, ist die Pose bei Wittdorfs Leuten: wir nannten es damals lässig. Sie holten nicht weit aus, sie riefen nichts, sie standen einfach nur da und blickten aneinander vorbei. Mit dem Blick von heute: sie stehen da wie Models – cool. Mit dem Rückenwind des Jugendkommuniqués und dem bereits erarbeiteten Bekanntheitsgrad vor allem aus Buchillustrator wurde der Zyklus „Für die Jugend“ 10.000 Mal gedruckt und verkauft. Wittdorf war ein Star.
1963 wird er mit der Erich-Weinert-Medaille ausgezeichnet, dem Kunstpreis der FDJ. Mit ihm prämiert werden Manfred Krug, Armin Müller-Stahl, Barbara Dittus und Christel Bodenstein. 1964 sind es dann Volker Braun, Heiner Müller, Jens Gerlach und Benno Pludra. Für sie alle begann in diesen Jahren ihre eigentliche Karriere. Doch bereits im Dezember 1965 ist alles vorbei: das 11. Plenum des ZK der SED zerschlägt alle Vorhaben und Pläne zur Modernisierung der DDR. Gunnar Decker hat diese historische Episode in seinem Buch „1965 – Der kurze Sommer der DDR“ präzise seziert.
Der FDJ-Zentralrat unterdessen lädt Jürgen Wittdorf ein, sich an der Arbeit der Ideologischen Kommission zu beteiligen und in deren Arbeitsgruppe Kultur mitzuwirken.
Wie lange eine Mitarbeit dort anhielt ist, nicht bekannt. Wittdorf blieb auf alle Fälle der kulturpolitischen Arbeit verbunden. Er leitete seit 1970 die Zentrale Galerie der Freundschaft, eine Ausstellung von prämierten künstlerischen Arbeiten – Zeichnungen, Bildern, Keramiken u.a. – von Kindern und Jugendlichen aus der ganzen DDR. Die Galerie wuchs aus Wettbewerben in den Kreisen und Bezirken hin zur Zentralen Ausstellung. Die fanden alle zwei Jahre statt und durften in Häusern wie dem Alten Museum in Berlin oder im Dresdner Albertinum präsentiert werden. Diese Arbeit hat Wittdorf außerordentlich in Anspruch genommen. Im Schloss wird ein Foto präsentiert, das ihn bei der Eröffnung einer solchen Ausstellung an der Seite der damaligen Spitzenfunktionäre Margot Honecker, Eberhard Aurich und Helga Labs zeigt.
Zuvor, von 1967 bis 1969, hatte der junge Künstler ein Meisterstudium bei Lea Grundig absolviert. Anschließend zog Wittdorf nach Berlin. Er hatte nun ein gesichertes Einkommen, er konnte gut leben und sich ein ausgefülltes Privatleben leisten. Er begann Kunst und Antiquitäten zu sammeln. Wittdorf wird als Genußmensch erinnert.
Der Künstler kann nun in den verbleibenden zwanzig Jahren der DDR in Ruhe und Sicherheit arbeiten. Was hat er daraus gemacht? Neben seiner Arbeit für die Zentrale Galerie übernimmt Wittdorf einen Zirkel im Haus der Jungen Talente, wo er zudem Abteilungsleiter wird, und bald darauf einen weiteren Zirkel im Haus des Lehrers am Alexanderplatz. Von den Weltfestspielen 1973 fertigt er Kohlezeichnungen mit langhaarigen Jungs in Jeans und Mädchen in Miniröcken, dazu den NVA-Soldaten inmitten junger Rocker. Diesmal erscheinen diese Zeichnungen gedruckt zwei Jahre später. In den 1980er Jahren bekommt er dann Kontakt zur Volkspolizei und übernimmt auch dort einen Zirkel. Er erhält zudem den Großauftrag, in einer VP-Kantine am damaligen Kotikow-Platz (Petersburger Platz) in Friedrichshain, seiner unmittelbaren Heimat, eine Wand mit Keramiken zu gestalten. Mit Keramik wurde Wittdorf durch die Zentralen Galerien der Freundschaft bekannt. Es gefiel ihm, den Teller als Malgrund zu nutzen. Er fertigte für die Kantine etwa 100 Teller an. Leider wurden die Arbeiten nach der Wende zerstört. Auch für das Sportforum Hohenschönhausen schuf der Künstler Keramiken.
In den 1980er Jahren wandte Jürgen Wittdorf sich wieder verstärkt Porträts und Stilleben zu – Genres, die er in jungen Jahren ausgiebig bedient hatte.
Seinem Werk in den späteren Jahren der DDR fehlt indes der Glanz. Ganz offensichtlich, so mein Eindruck, sind ihm nicht mehr die großen Würfe gelungen. Er findet kaum eigene, gesellschaftlich relevante Themen, sondern lässt sich aus der Umgebung seiner Zirkelarbeit inspirieren. Seine kulturorganisatorische Arbeit bestimmt ihn. So bleibt ein Fazit zwiespältig, aber doch positiv: Nirgendwo läuft der Künstler, so der Kritiker Volkmar Draeger abschließend, der staatlichen Linie direkt zuwider und porträtiert doch auf seine eigene Weise, wie sich die Jugend in der DDR verhielt. Zu Recht gelte Jürgen Wittdorf deshalb als – vielleicht unabsichtlicher – Chronist des jungen Lebens im untergegangenen Sozialismus.
Dass Jürgen Wittdorf schwul war, ist zu DDR-Zeiten weniger aufregend als es heute dargestellt wird. 1968 strukturierte die DDR ihr Strafgesetz um, der §175 Strafgesetzbuch fiel weg – in der Bundesrepublik blieb er. Natürlich gab es deshalb in der DDR keinen Schwulen-Hype. Die Männer blieben unter sich und verzichteten auf Auffälligkeit. Dennoch entwickelte sich ab den 1970er Jahren, auch unter dem Einfluss der Schlussakte von Helsinki, ein aufgeklärteres Verhältnis zur Homosexualität. Die Akzeptanz nahm zu. Ostberlin wurde ein Zentrum für schwule Männer. Wer konnte, zog hierher. Dort, wo die Szene lebte, waren auch die Männer – im Prenzlauer Berg, in Friedrichshain, in Mitte. Kneipen und Treffpunkte gab es nicht nur dort, sondern sogar in den vornehmen Rathaus-Passagen. In den 1980er Jahren zog das Thema Homosexualität auch stärker in die gesellschaftlichen Diskurse. Die Zeitschrift „Deine Gesundheit“ spielte dabei eine Vorreiterrolle, auch der „Sonntag“ und das „Magazin“ diskutierten. Schon vor dem Film „Coming out“ erschien das Buch „Homosexualität. Herausforderung an Wissen und Toleranz“ von Professor Reiner Werner. Und es kommt 1990 zu der Konstellation, dass schwule Männer aus der DDR um ihre Freiheit fürchten müssen:
Der §175 Strafgesetzbuch wurde in der Bundesrepublik Deutschland erst im Jahre 1994 getilgt.
Mit dem Ende der DDR fällt Jürgen Wittdorf in ein sehr tiefes Loch. Alle seine Beschäftigungsverträge werden 1990 gekündigt. Er ist 58 Jahre alt und steht vor dem Nichts. Er, der von seiner sexuellen Orientierung nur selten Aufhebens gemacht hatte, ist auf sich selbst zurück geworfen und beginnt zu grübeln. Seine Homosexualität gestand er sich erst mit fast 30 Jahren ein, eigentlich wollte er nicht schwul sein. Mit seinen vielen Zeichnungen zu den Zyklen „Jugend“ und „Jugend und Sport“, so erinnert er sich später, habe er sein inneres Outing sublimiert. Vielleicht kommt daher die große Klasse dieser Arbeiten.
Im Alter findet der Künstler nun Halt bei Freunden, er zeichnet konsequent aus schwuler Perspektive, kokettiert mit Tom of Finland oder besucht Body-Building-Wettbewerbe, um dort zu zeichnen. Er sucht Kontakt zum Schwulen Museum und kehrt zurück in die Öffentlichkeit mit Ausstellungen dort und in Lichtenberger Galerien. Am Ende wird Jürgen Wittdorf dement, aber herzlicher. Er weiß, dass er als Künstler wieder anerkannt ist. Er setzt kein Testament auf. Die Bilder, die seine große Wohnung in der Kreutzigerstraße geschmückt hatten, landen nach seinem Tod im Jahr 2018 in einer Nachlassversteigerung. Der ehemalige Zeichenschüler Jan Linkersdorff kauft mit Unterstützung der Studio Galerie Berlin das Werk von Jürgen Wittdorf auf und stellt es der Öffentlichkeit zur Verfügung. Auch der Privatsammler Boris Kollek erwirbt eine Reihe von Arbeiten. Nun ist im Schloss Biesdorf die größte Wittdorf-Ausstellung anläßlich seines 90. Geburtstages zu sehen. Ein Besuch bis zur Finissage am 10. Februar 2023 ist sehr zu empfehlen.
Hin und wieder wird die Frage gestellt, von wem Wittdorf für seine nackten Körper inspiriert wurde. Bei meinen Recherchen bin ich auf einen sowjetischen Künstler gestoßen, den er gekannt haben wird. Jürgen Wittdorf war seit 1962 mehrere Male in der Sowjetunion. Bilder von Künstlern aus der Sowjetunion waren damals in Zeitschriften, Drucken und Büchern immer zu sehen. Der Mann heißt Alexander Deineka. Er hatte in den Jahren vor dem 2. Weltkrieg und danach eine Phase, in denen er junge Männer malte.
Von den vielen Rezensionen, die zur Ausstellung erschienen sind, gefiel mir die von Gustav Seibt in der „Süddeutschen“ am besten. Seibt schreibt dort: „Zu den etwas traumhaft anmutenden Aspekten der Kunstgeschichte der DDR gehört es, dass dort Zeichenkurse für Volkspolizisten angeboten wurden. Oder, dass Organisationen und Betriebe einzelne Künstler ‚adoptierten‘, denen sie Aufträge gaben und Werke abnahmen und so zu ihrem Lebensunterhalt beitrugen. Die dahinterstehende Idee war, die Kunst, das einst den herrschenden Klassen vorbehaltene Schöne, in die Lebens- und Arbeitswelt der Massen zu tragen. Aus Hofkünstlern wurden Betriebskünstler. Wenn man darüber nachdenkt, ist das alles andere als lächerlich.“
Zum Schluss eine Tusche-Zeichnung, die ich erst sehr spät entdeckt habe: das ist ganz offensichtlich Tadzio aus dem legendären Visconti-Film „Tod in Venedig“. Der Film kam 1974 in die Kinos der DDR, im gleichen Jahr fertigte Wittdorf diese Zeichnung.
Wir möchten alle Freunde Otto Nagels auf eine Ausstellung im Museum Eberswalde aufmerksam machen. Sie umfasst 19 Werke ist noch bis zum 2. April 2023 zu sehen. Die Ausstellung wird begleitet von einem ersten wissenschaftlichen Katalog zu Leben und Werk dieses herausragenden Realisten des 20. Jahrhunderts. Weiteres entnehmen Sie bitte dem untenstehenden Flyer.
Inzwischen ist der Katalog erschienen. Er ist im Buchhandel zum Preis von 10 Euro erhältlich.
Unser Verein „Freunde Schloss Biesdorf e.V.“ führte am 13. Oktober 2022 seine planmäßige Jahresmitgliederversammlung im Heino-Schmieden-Saal des Biesdorfer Schlosses durch. Versammlungsleiter Prof. Gernot Zellmer stellte eingangs die Wahlfähigkeit der Versammlung fest und übergab an den Vorstandsvorsitzenden Dr. Heinrich Niemann zu ergänzenden Bemerkungen am Bericht des Vorstandes an die Mitgliederversammlung.
Der 24 Seiten lange Bericht legt eine substanzielle bürgerschaftliche Leistung für das Ensemble Schloss und Park Biesdorf dar. Dr. Niemann nannte besonders diese Arbeitsfelder:
Festliche Erinnerung an das 5jährige Bestehen des wieder errichteten Schlosses Biesdorf und das 20Jährige Bestehen unseres Vereins im Jahre 2021
Würdigung der Kunstausstellungen im Schloss, insbesondere die Beteiligung des Kunstarchivs Beeskow bzw. des Museums für Utopie und Alltag. Dr. Niemann würdigte die aktuelle Ausstellung zu Jürgen Wittdorf, die eine breite Besprechung in der Berliner und überregionalen Presse und sogar im britischen „The Guardian“ fand.
In vielen Führungen konnten wir hochinteressierte Gäste von außerhalb des Bezirkes begrüßen. Das Interesse am Ensemble wächst immer mehr.
Otto Nagel steht weiterhin im Fokus unserer Vereinstätigkeit. Gemeinsam mit Vertretern der Initiative „Otto Nagel 125„ haben wir weitere Schritte vereinbart, um den Ehrenbüger Berlins in seiner Vaterstadt Berlin besser heimisch zu machen. Ein Buchprojekt zu Otto Nagel soll im Frühjahr 2023 realisiert werden.
Unser Verein erwartet vom Bezirksamt endlich eine Beschlusslage zur konzeptionellen Betreibung des Ensembles. Nach sechs Jahren ist das Pflicht.
Das Ensemble als historischer Ort wird durch Führungen, Vorträge und Veranstaltungen immer besser erfahrbar. Das beinhaltet auch seine temporäre Nutzung als Soldatenfriedhof. Unser Verein fordert, dass der verschmutzte Gedenkstein endlich gesäubert wird. Wir hatten unsere Hilfe angeboten.
Das Biesdorfer Blütenfest wird seit 2020 nicht mehr durchgeführt. Unser Verein sieht im Blütenfest eine herausragende kulturelle Veranstaltung, die dem Bezirk eine eigene Authentizität gegeben hat. Es ist erstrebenswert, diese Tradition fortzusetzen.
Der Vorsitzende schätzte die Finanzlage des Vereins als grundsolide ein.
Sodann trug Frank Holzmann den Bericht der Rechnungsprüfer vor. Beeindruckt habe der Finanzbericht insbesondere durch die Detailliertheit und Tiefe der Kostenanalyse. Er schlug vor, den Vorstand und die Schatzmeisterin zu entlasten.
In der Diskussion wurden weitere Fragen vorgetragen:
Weitere Bemerkungen zum verschmutzten Gedenkstein
Dr. Freier trug Ergebnisse zur Arbeit an Otto Nagel vor. Neben dem geplanten Buchprojekt erinnerte er an den bisher ein Mal vergebenen Otto-Nagel-Preis im Jahr 1984 durch den Bezirk Wedding von Berlin. Vierzig Jahre danach wäre ein Anlass, ihn erneut zu stiften. Frau Regina Kittler als Vorsitzende des Kulturausschusses der BVV Marzahn-Hellersdorf schlug vor, einen entsprechenden Antrag an die BVV zu formulieren.
Die Mitgliederversammlung sprach sich für eine Fortsetzung der bewährten Feste, insbesondere des Biesdorfer Blütenfestes, aus.
Es wurde über Mitgliederentwicklung diskutiert. Lutz Wunder vom Kulturring Berlin e.V. trug ein Problem aus seinem Verein vor. Da viele Nutzer von gemeinnützigen Einrichtungen nicht Mitglieder der Trägervereine werden, aber kostenlos Angebote und Ressourcen nutzten, sollte eine geeignete Form der Kostenbeteiligung erwogen und angewendet werden. Das beträfe auch die Unfallversicherung bei der Nutzung von Angeboten.
Es sollte geprüft werden, ob der Förderverein des Otto-Nagel-Gymnasiums Mitglied unseres Vereins werden könne. Damit ergebe sich die Möglichkeit der Synergie durch GymnasiastInnen in beiden Vereinen, die sicherlich beiden Seiten nutzen könnte.
Sodann übernahm Frau Regina Kittler die Leitung der Wahl des neuen Vorstandes. Im Prozedere wurde der Vorstand entlastet und ein neuer Vorstand gewählt:
Vorsitzender: Dr. Heinrich Niemann stellv. Vorsitzender: Prof. Dr. Gernot Zellmer stellv. Vorsitzender: Dr. Klaus Freier Schatzmeisterin: Marianne Schmidt Beisitzerin: Ninon Suckow Beisitzerin: Annette Nieczorawski Beisitzer: Axel Matthies
Günter Peters gilt als „Erbauer Marzahns“ und hatte als Stadtbaudirektor von Ost-Berlin in den 1960er und 1970er Jahren an der komplexen Gestaltung der damaligen Hauptstadt der DDR mitgewirkt und an den Planungen für die neue Großsiedlung Marzahn federführend gearbeitet. Günter Peters war der Motor für die Sicherung und den historischen Wiederaufbau des seit Jahrzehnten erheblich in Mitleidenschaft gefallenen Schlosses Biesdorf. Er setzte sich außerdem für die Rekonstruktion der Alten Dorfschule in Marzahn ein, die heute das Bezirksmuseum beherbergt.
Zum Vortrag mit Frau Hannelore Bündig am 16. Februar im Schloss Biesdorf waren 40 Menschen gekommen; vor allem alte Biesdorfer, die sich lebhaft erinnerten. Das war für die pandemiebedingten Besuchseinschränkungen nahezu sensationell und unterstrich das Bedürfnis vieler Menschen, sich des „normalen Lebens“ zu erinnern. Die erzählte Geschichte, anstatt der geschriebenen offiziellen, erlebte eine Sternstunde.
An Geschichten im Schlosspark gibt es eine Reihe von Erinnerungen. Eine Frau erzählte von den Ferienspielen. Im Park hätten ganz viele Zelte gestanden, bestimmt 30, in denen die einzelnen Gruppen untergebracht waren, bei schlechtem Wetter spielten und aßen. „Es war damals im Park viel heller als heute!“ Das kann sein, denn vor 50 Jahren waren die Bäume kleiner.
Eine andere Frau, die mit ihrer Familie in der Paradiessiedlung wohnte, war oft in der Kinderbibliothek im Schloss, wo sie viel las und Bücher entlieh. Ein ganz persönliches Moment ihrer Erinnerung: das Sofa der Familie Poerschke aus der Wohnung im Schloss zierte ihre erste Studentenwohnung.
Eine Reihe von Erinnerungen waren mit den „Russen“, den Soldaten und Offizieren der sowjetischen Armee, verbunden. Frau Bündig hatte über Bestattungen im Park berichtet, die sie als Kinder verfolgt hatten. Nach ihrer Erinnerung gab es Bestattungen nur von Offizieren am heutigen Albert-Brodersen-Weg. Bestattungen im Pleasure ground waren ihnen nicht erinnerlich. Das wird so gewesen sein, denn die Familie wohnte ja erst seit 1952 im Schloss. Die meisten Beerdigungen fanden aber in den Jahren nach Kriegsende statt. Wenn es Beerdigungen gab, so ein alter Biesdorfer, kamen sie aus ihrem Lager, das dort war, wo heute das Theater am Park steht, über den Anger und dann hoch zum Schloss. Die Paradiessiedlung war von der Roten Armee beschlagnahmt worden, das daneben befindliche Zwangsarbeiterlager zur Unterbringung der Mannschaften genutzt worden. Musik war bei den Bestattungen immer dabei.
Frau Bündig erzählte noch von zwei Frauen, die sie nach dem Krieg kennen gelernt hatte: Steffie Spira und Ella Pilzer. Beide waren 1947 aus der Emigration zurück nach Deutschland gekommen. Vertrieben hatte sie der rassistische Antisemitismus der Nazis. Als die Familie Poerschke in dem kleinen Zimmer in der Ketschendorfer Straße wohnte, kam die Schauspielerin öfter vorbei. Ihr gehörte wohl, so Frau Bündig, die Wohnung. Ella Pilzer hatte auf das Kind Hannelore wohl einen größeren Einfluss. Sie brachte Hannelore das gute Benehmen bei: wie man am Tisch ißt, sich die Haare bindet und die Kleider trägt. Frau Bündig ist ihr in der Erinnerung sehr dankbar dafür. Es habe sie geprägt.
Die Familie Poerschke bekam die Ehre, so Frau Bündig, kurz vor der Eröffnung des wiederaufgebauten Schlosses Biesdorf im Spätsommer 2016, das Haus exklusiv besuchen zu dürfen. Das habe die Familie sehr zu schätzen gewusst.
Vor einiger Zeit kam ich mit einer älteren Frau ins Gespräch, die während einer Veranstaltung im Biesdorfer Schloss aufgeregt ausrief: „Keiner redet darüber, dass hier einmal Familien gelebt haben.“
Durch zu viele schlecht recherchierte Medienberichte verbreitet sich bei Unwissenden in der letzten Zeit die Überzeugung, das Schloss wäre von 1945 bis zur Sanierung eine Ruine gewesen. Erst jetzt wäre alles schön, wie im Märchen…
Trotz eines miserablen Bauzustandes – das wissen wir seit der peniblen Sanierung dokumentarisch – wurde das Schloss immer genutzt: als Dorfklub, als Kreiskulturhaus, als Bibliothek und zuletzt als Soziales Stadtteilzentrum. Allen Widrigkeiten zum Trotz setzten viele Menschen ihre Kraft ein, das Schloss als gemeinnützige Einrichtung zu erhalten und zu betreiben.
Dennoch bleiben Wissenslücken. Eine wollen wir jetzt schließen. Sowohl nach dem 1. als auch nach dem 2. Weltkrieg waren im Schloss Zimmer bzw. Wohnungen eingerichtet worden, um die Wohnungsnot zu mildern. Die oben erwähnte Frau, Hannelore Bündig, hat ihre Erinnerungen aufgeschrieben und Fotos aus dem Familienalbum dazu gelegt. Wir wollen sie Ihnen präsentieren.
Für uns war das Schloss nichts Besonderes
Für meinen Bruder Werner und mich war das Schloss nichts Besonderes. Von 1952 bis 1982 war es unser Zuhause, unser Elternhaus. Unsere Adresse war: Alt-Biesdorf 55.
Vor dem Krieg wohnten wir in Biesdorf in der Annenstraße. Unsere Mutter fuhr dann mit uns nach Schlesien zu den Großeltern. „Da sind wir vor den Bomben sicher!“ 1945 mussten wir dann auf die Flucht, über viele Umwege zurück nach Biesdorf. Die Wohnung in der Annenstraße gab es nicht mehr, dann eine winzige Bleibe im Ketschendorfer Weg. Das Haus gehörte wohl der Schauspielerin Steffie Spira, die wir dort oft trafen.
1950 kam unser Vater aus russischer Kriegsgefangenschaft nach Hause. Nun wurde es wirklich eng bei uns. Dann die Riesenüberraschung: Wir bekamen 1952 eine große Wohnung im Schloss zugewiesen. Mein Vater hatte im Schlosspark bereits eine Anstellung als Gärtner. Er blieb auf dieser Stelle bis zum Renteneintritt. Die Wohnung: zwei Zimmer, Küche, Ofenheizung, Klo im Keller (Wendeltreppe), Waschküche im Keller, Zugang von außen, großer Boden – ein Restbestand der oberen ausgebrannten Etage. Hier hatte bald mein Bruder sein Reich.
Zu der Zeit wohnten im Schloss bereits die Familie Schütze auf der Südseite und im Souterrain der Parkwächter Jäckel mit seiner Frau. Etwa 1956 erfolgte dann der Einbau einer Zentralheizung und eines Badezimmers, das neben unserem Wohnzimmer eingerichtet wurde. Inzwischen war unsere Wohnung ein gemütliches Zuhause geworden, obwohl wir Kinder kein eigenes Zimmer hatten. Ich schlief im großen Schlafzimmer, mein Bruder im Wohnzimmer.
Natürlich haben wir dann im Laufe der Zeit mehr über das „Schloss“ bzw. die Villa und die Siemens‘ erfahren. Aber nach wie vor fanden wir es nicht erwähnenswert anderen zu erzählen, dass wir im „Schloss“ wohnen. Dazu war es viel zu einfach: Nordseite usw. Manche Schulkameraden lebten viel komfortabler. Erst Jahre später lernten wir Wohnung und Park schätzen und lieben.
Rodeln und Planschen im Park
Aber die Wiese vor unserer Wohnung gehörte uns. Hier lagerten wir auf dem Rasen, hier wurde die Wäsche getrocknet. Übrigens gab es das Rosenbeet schon damals, angepflanzt von meinem Vater.
Auf den Wegen spielten wir Hopse, Ball und Seilspringen. Der Teich war recht sauber, wir sprangen da im Sommer schon mal rein. Die Fontäne sprudelte auch immer. Da habe ich ein Bild mit meiner Freundin.
Im Winter, wenn der Teich mal zugefroren war, liefen wir darauf Schlittschuh. Gerodelt wurde von der Rückseite des Eiskellers, das war die höchste Stelle, und dann runter auf die Wiese. Ansonsten war der Eiskeller aber tabu! Das war eines der wenigen Verbote, das meine Mutter ausgesprochen hatte. Nur ein Mal haben wir ihn von innen gesehen. Als das Schwimmbassin gebaut wurde, das war Ende der 1950er Jahre, badeten wir dort. Das Wasser war sauber, man konnte die Fliesen am Boden erkennen.
Der Park gehörte uns und unseren Freunden im Sommer wie im Winter. Es gab ja nur wenige Besucher. So richtig eroberten wir das ganze Gelände aber erst, als die Gräber der russischen Soldaten nicht mehr da waren. Die Begräbnisse, die in den Jahren davor stattfanden, haben wir von unserem Küchenfenster aus mit Neugier und Beklemmung beobachtet.
Turmbesteigungen
Zu den ganz besonderen Ereignissen in den ersten Jahren zählt das Besteigen des Turms für mich, meinen Bruder und meine Freundinnen. Durch unsere Wohnung konnte man über den Boden (Teil der ehemaligen 1. Etage, provisorisch mit Brettern abgesichert) zum Turm gelangen und dort mit Leitern in mehreren Abschnitten hinaufsteigen. Es war herrlich! Es war bestimmt nicht ganz ungefährlich, aber toll. Mein Bruder hat dort oben oft allein gesessen und gelesen, wir Mädchen, damals um die 14 Jahre alt, hatten die Jungen unserer Klasse unter Vorwänden in den Park bestellt und dann von oben überraschen wollen. Es gab sogar ein „Turmlied“:
Denke man ja nicht, du gingest mir zu Herzen,
weil wir uns grüßen und miteinander scherzen.
Nein, ich bleibe gern allein,
Nein, ich bleibe gern allein,
Dies soll nur ein Wechselspiel und weiter gar nichts sein.
Wir waren oft auf dem Turm. Dort fühlten wir uns großartig. Das sind mit meine schönsten Erinnerungen. Spätestens 1958 war dann aber Schluss. Der Zugang wurde gesperrt.
Angst vor den Schlossgeistern
So um die Zeit als ich 14 Jahre alt war, gab ich doch manchmal an, dass ich im Schloss wohnen würde. Dabei vergesse ich nie die Angst, die ich hatte, wenn ich im Dunkeln nach Hause musste. Vom Bahnhof Biesdorf rannte ich durch den Park (nachdem die rote Mauer des Friedhofs weg war) im Dauerlauf. Es gab ja keine Lampen. Von der Straße Alt-Biesdorf durch den Säulengang (Haupteingang, Portikus): Angst, Angst, Angst! Oft musste mich mein Bruder abholen, aber dazu hatte er auch nicht immer Lust und Zeit. Auch das Fenster im Schlafzimmer, das zur Terrasse hinaus ging, erfüllte mich mit Angst. Da könnte ja jemand einsteigen. Denn der Park wurde immer belebter. Also, es hatte auch seine Schattenseiten, Schlossbewohner zu sein.
Kulturhaus und Familie
Die Zeit, als dann ab 1958 das Kulturhaus auf der Südseite langsam einzog, war toll. Die Familie Schütze war inzwischen ausgezogen. Jedes Wochenende spielte Live-Musik und wir tobten uns richtig aus. Meine Mutter Herta Poerschke war die „Frau für alle Fälle“: Hausmeisterin, Trösterin für Liebeskummer, sie schmierte die Schmalzstullen und vieles mehr. Mein Bruder regelte oft den Einlass und den Getränkeverkauf. Am Wochenende war das Kulturhaus ein bißchen wie Familienbetrieb.
In den Jahren 1959/60 hatte der Kulturhausleiter ein Atelier für zwei Künstler aus Pankow eingerichtet: Roland Spörl und Baldur Schönfelder. Spörl verstarb leider schon früh – er wird mit seinem Werk der Berliner Schule zugerechnet. Baldur Schönfelder studierte seinerzeit an der Kunsthochschule Weißensee und war später Meisterschüler von Waldemar Grzimek. Er war lange Jahre Professor in Weißensee. Als Bildhauer schuf er viele Plastiken im Auftrage des Magistrats von Berlin.
Randale gab es nicht, aber viele schöne Stunden. Eine Freundin von mir lernte dort ihren Mann kennen, sie sind heute noch verheiratet. Eine weitere, die sich in den Schlagzeuger verguckt hatte, wurde von ihrem wütenden Vater weggeschleppt. Sie hatte keine Erlaubnis erhalten, zum Tanzen zu kommen. Ich selbst verliebte mich in den Klubleiter. Im Kaminzimmer feierten wir noch 1978 ein Klassentreffen. Mutter sorgte für alles. Ohne sie lief eigentlich nichts: Ferienspiele, Hundeausstellung, Jugenclub. Alle verließen sich auf sie, die immer im Hintergrund blieb. Eigentlich war sie 30 Jahre lang die „Schlossherrin“.
Weitere Entwicklung ab 1970
Ab den 1970er Jahren begann sich der Betrieb aus dem familiären Milieu heraus langsam zu professionalisieren. Im Kaminzimmer wurde eine Gaststätte eingerichtet. Ich erinnere mich an die Faschingsveranstaltungen und die Bockbierfeste im Herbst. Im Turmzimer hatte die Abteilung Kultur des Stadtbezirkes ein Büro, das lange Zeit von Herrn Sell und anschließend von Herrn Kistenmacher geleitet wurde. Jeden Sonntag fand ein Briefmarkentausch statt. Donnerstags waren die Rentnernachmittage und freitags traditionell immer die Jugend-Disco. Auch Katzenausstellungen wurden nun organisiert. Im Park nahe der S-Bahn wurde der Indianerspielplatz erbaut. Am ehemaligen Gärtnerhäuschen nahe der heutigen B1 legte mein Vater einen Heidegarten an.
Geschäfte zum Einkaufen und Armeesiedlung
Mit dem Einkaufen war es damals in Biesdorf anders als heute. Die wichtigsten Geschäfte waren in Alt-Biesdorf und in der Oberfeldstraße. Von uns aus gingen wir zum Bäcker Glowania in der Straße Alt-Biesdorf, kurz vor der Ecke Oberfeldstraße. Mit dem Sohn Rudi ging ich in eine Klasse. Direkt an der Ecke war dann das Lebensmittelgeschäft Staaks. Es war ein tolles Familiengeschäft. Um die Ecke in der Oberfeldstraße waren dann ein Friseur, ein Arzt und gegenüber eine Kindereinrichtung. Dann weiter Richtung S-Bahn die Post und auf der gegenüber liegenden Seite der „Sachsenkonsum“. Die Armeesiedlung war 1952/53 gebaut worden. Dort zogen Offiziere ein, die in Strausberg stationiert waren. Zwei meiner Klassenkameraden wohnten dort. Mit beiden habe ich heute noch Kontakt. Sie können auch noch viel erzählen. Die Siedlung hieß bei uns nur Sachsensiedlung. Die Eltern meiner Freunde waren aber gar keine Sachsen. Also im „Sachsenkonsum“ gab es Lebensmittel, Fleisch und Gemüse.
Hinter der Bahnschranke lag links dann die Kneipe Neumann, die ja nun abgerissen wurde. Da trank auch mein Vater gerne sein Feierabendbier. Wenn meine Mutter aber das Abendbrot fertig hatte und Vater noch nicht zu Hause war, wurde unsere Hündin Bella losgeschickt: hol Herrchen nach Hause. Bella rannte los und Herrchen kam sofort!
Hinter der Bahnschranke rechts war dann noch die Eisdiele Orth. Dort trafen sich alle: Schüler, Jugendliche, Freundinnen. Hier gab es das beste Eis meines Lebens. Hier ließen wir unser ganzes Taschengeld.
Anfang, Mitte der sechziger Jahre haben mein Bruder und ich eigene Familien gegründet. Jetzt wurde das Schloss Mittelpunkt für unsere Kinder, die ihre Ferien und viele Wochenenden bei Oma und Opa verbrachten. Die Türen bei Familie Poerschke waren immer für alle Kinder, Enkel und Freunde offen.